Zu dünn, zu dick, zu groß, zu klein, zu haarig, zu faltig, zu durchtrainiert. Eigentlich kann man nie das richtige Aussehen erreichen, um es allen recht zu machen. Es gibt – vor allem in den sozialen Medien – immer jemanden, der etwas an einem auszusetzen hat. Das belegt auch ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Antidiskriminierungsstelle Steiermark. Eines der Hauptthemen darin: Bodyshaming. „Was früher als Verspottung, Beleidigung und Demütigung aufgrund des körperlichen Erscheinungsbildes galt, wird heute unter dem Schlagwort ‚Bodyshaming‘ zusammengefasst“, sagt Daniela Grabovac, Leiterin der Stelle.
Obwohl erwachsene Frauen laut dem Bericht am häufigsten von Bodyshaming betroffen sind, adressieren immer mehr Beleidigungen junge Menschen und im Speziellen junge Männer. Wenn durchtrainierte Männer mit breiten Schultern, 8-Packs und definierten V-Muskeln das mediale Idealbild darstellen, schlägt Jugendlichen, die diesem Typus nicht entsprechen, oft Hass im Netz entgegen.
Vor allem die sozialen Medien seien voll mit entwürdigenden Bemerkungen über Personen und deren Körper. Bodyshaming kann aber auch Menschen mit Behinderung, psychischen Störungen, Migrationshintergrund oder Abweichungen von der gesellschaftlichen Geschlechtsnorm betreffen. Die Körperlichkeit bestimmt dabei, welche gesellschaftliche Position wir einnehmen. Bodyshaming tritt aber nicht nur im Internet auf, sondern auch in engen zwischenmenschlichen Beziehungen, etwa bei Eltern, Freund:innen und Ärzt:innen.
Negative Folgen von Bodyshaming
Geht es nach Daniela Grabovac von der Antidiskriminierungsstelle, so muss die Jugend in ihrer Einzigartigkeit gestärkt und in Akzeptanz geschult werden. „Denn wer sich selbst nicht akzeptiert, kann auch keinen anderen akzeptieren“, sagt sie. Und es sei eine Sensibilisierung zum Thema Bodyshaming und dessen Folgen nötig. Die Folgen, das können Ess- und Schlafstörungen, Depressionen, Angstzustände und Panikattacken sein. Konkrete Konsequenzen zeigt eine Umfrage im Auftrag der Stadt Wien. Von den 15- bis 19-jährigen Interviewten gaben hauptsächlich die weiblichen Jugendlichen an, durch negative Kommentare in den sozialen Medien unzufrieden mit ihrem Äußeren geworden zu sein und an Selbstbewusstsein verloren zu haben. Dabei reagieren Mädchen sensibler auf negative Bewertungen als Burschen und schämen sich doppelt so häufig für ihre Figur.
Body Neutrality vs Body Positivity
Als Gegenbewegung zu Bodyshaming hat sich in den späten 60er-Jahren die Body Positivity, also die positive Einstellung zum Körper, etabliert. Ging es zuerst gegen die Diskriminierung von mehrgewichtigen Personen, ist die heutige Grundannahme, dass jeder Körper schön ist – körperliche „Makel“ wie Sommersprossen, Cellulite, Narben und Falten sind positiv konnotiert. Abweichungen von der Norm und von Schönheitsidealen stehen im Fokus. Die Vielfalt an Körperformen soll Stigmatisierungen und Diskriminierungen entgegenwirken. So können alle Menschen – unabhängig von ihrem Aussehen – Selbstbewusstsein aufbauen. Eine Sinneswandlung, die viele anspricht, der Hashtag #bodypositivity findet sich über elf Millionen Mal auf Instagram, auf TikTok hat er fast 35 Milliarden Aufrufe.
Aber ist das die Lösung? Immer mehr kritische Stimmen sagen Nein. So auch die deutsche Sozialpsychologin Anuschka Rees. Sie ist der Meinung, dass wir es zwar der Body-Positivity-Bewegung zu verdanken haben, dass mittlerweile auch Menschen mit Schwangerschaftsstreifen und Falten auf Werbeplakaten abgedruckt sind, aber die Wurzel des Problems sei dadurch nicht verschwunden. Vielmehr habe die Schönheitsindustrie Kapital aus der Körperpositivität geschlagen. Welche Alternative gibt es also?
Was ist Body Neutrality?
Die Antwort lautet Body Neutrality. Körperneutralität bedeutet, dass wir unsere Körper nicht mehr werten oder vergleichen. Ihr Ziel ist es, unser Selbstwertgefühl weniger an die äußere Erscheinung zu koppeln. Körperneutralität unterscheidet sich von Körperpositivität darin, den eigenen Körper nicht immer lieben zu müssen, sondern ihn zu akzeptieren und dankbar dafür zu sein, dass einen die Beine durchs Leben tragen. Psychologin Rees findet, dass es um die Weiterentwicklung gehe und darum, dass man sich wertvoll fühlt. Ganz egal, wie man aussieht. Bei der Body Neutrality sollen nicht die Körper im Vordergrund stehen, sondern die inneren Werte – frei von Selbst-Objektifizierung. Es geht nicht um das physische Aussehen, sondern die Fähigkeiten. Weil wir mehr sind als unsere Körper.
Vom Äußeren zum Inneren
Aber wie kann ich meinen Körper neutral behandeln und ihn akzeptieren, wie er ist? Psychologin Rees hat auch hier einen Tipp: Es gehe darum, das eigene Selbstwertbarometer neu einzustellen, die Bedeutung des Aussehens zu verkleinern und andere Faktoren und Fähigkeiten zu stärken. Statt sich selbst zu beschämen, helfen positive Selbstgespräche und der Gedanke, dass der Gesundheitszustand Vorrang vor dem Aussehen hat.
Die gesellschaftliche Fixierung auf den Körper kann man etwa durchbrechen, indem man ein Kompliment nicht aufgrund des Aussehens macht, sondern aufgrund einer vollbrachten Leistung, einer Idee, einer guten Tat. Nicht nur Körperlichkeit macht einen Menschen aus, sondern auch sein Verhalten, seine Sozialität und sein Humor. Auch geht es darum, auf seinen Körper zu hören und das zu tun, was ihm guttut, und nicht unserem Aussehen – etwa bei der Ernährung und beim Sport. Unseren Körper dürfen wir dabei schön oder nicht schön finden – wir sollen ihn einfach akzeptieren und wertschätzen, dass er uns durch die Welt bringt. Was uns nämlich wirklich auszeichnet, ist unser Charakter.
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