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Wirtschaftsbegriffe: Bruttoinlandsprodukt - Ein Wohlstandsmesser?

, aktualisiert am

In Politik und Wirtschaft ist das BIP ein wichtiger Richtwert. Für den Einzelnen sagt es wenig über seinen tatsächlichen Wohlstand aus.

"Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt", hieß es in einem populären Lied, das die deutsche Gruppe "Geier Sturzflug" in den 1980er-Jahren an die Spitze sämtlicher deutschsprachigen Hitparaden katapultierte.

Gesamtwert aller inländischen ...

Der Nummer-1-Hit setzte damit einen Begriff in den Köpfen der Bevölkerung fest, der bis dahin nur Fachleuten leicht über die Lippen gekommen war. Das Lied wird mitunter auch heute noch angestimmt, das Bruttosozialprodukt hingegen wurde als wirtschaftliche Messgröße weitgehend vom Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP, verdrängt. Darunter wird sehr vereinfacht die Summe aller im Inland produzierten Waren und Dienstleistungen zusammengefasst.

... Waren und Dienstleistungen

Das BIP ist eine Kennzahl der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen misst, die in einem bestimmten Zeitraum (meist in einem Jahr) innerhalb einer Volkswirtschaft hergestellt wurden, wobei Vorleistungen wie Bauteile, Rohstoffe oder Dienstleistungen, die bereits in ein ausländisches oder das heimische BIP eingeflossen sind, abgezogen werden. Jede Wertschöpfung, also Schaffung oder Steigerung eines Wertes, soll somit nur einmal im BIP eines Landes erfasst werden.

Grafik: BIP – Beitrag einer Wertschöpfungskette.

 

Fotos: Number1411, alphaspirit, punghi, Ljupco Smokovski, 279photo Studio Dmitry Kalinovsky / Shutterstock.com

(Klick für Großdarstellung)

Der Energieerzeuger importiert Rohöl aus dem Ausland im Wert von 25 €; die sind bereits in das BIP des exportierenden Landes eingeflossen und daher von dem Wertschöpfungsbeitrag des Energieerzeugers (100 €) abzuziehen. Aber auch die inländischen Wertschöpf­ungen dürfen jeweils nur einmal gezählt werden: Von 100 € aus der Milch­produktion eines Landwirts werden 50 € Vorleistung (Energie) abgezogen; bei 200 € aus der Joghurtproduktion werden an Vorleis­tungen 50 € Energie und 100 € Milch abgezogen – in Summe erhöht sich das BIP im Inland um 175 €.

Je größer desto besser?

Je größer desto besser

Dem BIP wird nicht nur von Ökonomen, sondern auch von Politikern und Medien ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt. Staatliche Ausgaben, Schuldenquote und vieles mehr werden in Prozent des BIP angegeben und mit anderen Ländern oder vergangenen Zeitperioden verglichen. Allem voran wird es auch als Messlatte für den Wohlstand einer Volkswirtschaft eingesetzt.

Um Vergleiche mit unterschiedlich großen Volkswirtschaften zu ermöglichen, wird es dazu durch die Anzahl der Einwohner dividiert und als BIP pro Kopf angeführt. Österreich liegt hier regelmäßig unter den 20 Staaten mit dem höchsten BIP pro Kopf, 2016 etwa an 16. Stelle.

Bei diesen Vergleichen gilt: je höher, desto besser. Wie Studien zeigen, hängt die Höhe des BIP pro Kopf auch tatsächlich mit dem Wohlstand einer Volkswirtschaft zusammen: Je größer der wirtschaftliche Wohlstand, desto besser sind Infrastruktur, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen meist ausgebaut.

Unfälle und Katastrophen: BIP steigt

Andererseits sagt das BIP pro Kopf aber wenig über den Wohlstand und die Lebensqualität des Einzelnen aus. Es ist ein Durchschnittswert, der sich auch ergeben kann, wenn in einem Land einige sehr Reiche neben vielen Armen leben. Oder wenn zum Beispiel Wohn- und Steuersitze in steuerfreundliche Länder verlegt werden – siehe etwa den hohen Anteil an sogenannten Steuerparadiesen wie Luxemburg, Schweiz, Hongkong und Singapur unter den ersten 20 Staaten mit dem größten Pro-Kopf-BIP.

Außerdem wird diese rein wirtschaftliche Kennzahl auch durch Ereignisse gespeist, die auf den ersten Blick und für die unmittelbar Betroffenen keine positiven Wohlstands­effekte haben: z.B. Verkehrsunfälle, Naturkatastrophen, gerichtliche Auseinandersetzungen, Erkrankungen oder auch Ausbeutung der Umwelt oder der Arbeitnehmer.

Vieles nicht berücksichtigt

Vieles nicht berücksichtigt

Andererseits sind wichtige, für eine Volkswirtschaft wesentliche Leistungen im BIP nicht erfasst, etwa ehrenamtliche Tätigkeiten oder auch alle selbsterbrachten Leis­tungen in Haushalt und Familie wie Pflege, Kinderbetreuung, Kochen, Putzen oder Heimwerken.

Auch Umweltschutzaspekte, Arbeitsrechte oder die Einkommens- und Vermögensverteilung finden im BIP keinen Niederschlag. ­Deshalb wurden und werden von kritischen Ökonomen immer wieder Alternativen zum BIP entwickelt, die auch Bereiche wie Einkommensverteilung, Nachhaltigkeit oder ­gesellschaftliche Teilhabe berücksichtigen (siehe Kapitel "Alternativen zum BIP").

Kulturelle Unterschiede

Wirklich durchsetzen konnten sich die neuen Indikatoren bislang nicht, denn für eine inter­nationale Vergleichbarkeit müssen möglichst viele Staaten die erforderlichen Daten in gleicher Qualität und Quantität erheben. Das Verfahren zur Berechnung des BIP im Rahmen der Volkswirtschaft­lichen Gesamtrechnung ist international gut etab­liert.

Für die Zusammensetzung und Gewichtung der alternativen Indikatoren hingegen fehlt es oft an klaren, weltweit umsetzbaren Regeln. Außerdem werden dabei nach Ansicht von Kritikern oft Wertvorstellungen diktiert, die nicht weltweit geteilt werden; oder es werden negative Messgrößen, z.B. im Bereich Umweltbelastung, ungleich stärker gewichtet als positive Faktoren im Bereich Bildung.

Alternativen zum BIP

Vom BIP werden etliche Bereiche nicht erfasst, die als "Wohlstandsfaktoren" ebenfalls wichtig für eine Volkswirtschaft, aber vor allem auch für das Wohlergehen des Einzelnen sind.

Deshalb wurden und werden immer wieder Versuche unternommen, weiter gefasste Kennzahlen zur Wohlstandsmessung zu finden. Zwei Beispiele:

Human Development Index (HDI, Index der menschlichen Entwicklung) – der von den Vereinten Nationen entwickelte Wohlstandsmesser berücksichtigt neben dem Bruttonationaleinkommen (BNE) je Einwohner auch den Bildungsgrad und die Lebenserwartung (als Indikator für Gesundheits­fürsorge, Ernährung und Hygiene). 2010 wurde als weiterer Faktor die Einkommensverteilung hinzugefügt (der erweiterte Index läuft unter der Abkürzung IHDI).

Genuine Progress Indicator (GPI, Indikator echten Fortschritts) – ist noch weiter gefasst als der HDI und berücksichtigt zum Beispiel neben etlichen sozialen Kennzahlen auch Umweltschutzaspekte.

Unterschiede zwischen BIP und BSP/BNE

Beim Bruttonationaleinkommen (BNE) – früher auch als Bruttosozialprodukt (BSP) bezeichnet – wird die Staatsbürgerschaft statt der Landesgrenze als abgrenzendes Kriterium verwendet.

Das heißt, auch das Bruttonationaleinkommen beziehungsweise Bruttosozialprodukt misst den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die in einer Volkswirtschaft hergestellt wurden. Während in das BIP aber alle Güter ein­fließen, die auf dem Gebiet eines Staates erstellt wurden (Inlandsprinzip), umfasst das Bruttosozialprodukt alle Erwerbs- und Vermögenseinkommen, die von Inländern erstellt wurden, unabhängig davon, ob im Inland oder im Ausland.

Rechnerisch heißt das: Die Erwerbs- und Vermögenseinkommen von Ausländern im Inland werden vom Gesamtwert abgezogen, die Erwerbs- und Vermögenseinkommen von Inländern im Ausland ­werden hinzugezählt (Inländerprinzip).

Das BSP wurde im Lauf der Zeit durch das BIP als Wachstumsmaßstab verdrängt, da man die innerhalb eines Landes produzierte Leistung für aussagekräftiger hält als die Frage, wer diese Leistung erbracht hat.

Ranking: Das BIP pro Kopf der Top 20 Länder 2016

BIP pro Kopf (Top 20 Länder - 2016) (Quelle: Statista.com & Wikipedia)

Quelle: Statista.com & Wikipedia

Zusammenfassung

  • Wirtschaftliche Kennzahl. Das BIP misst die Wirtschaftskraft eines Landes, indem alle dort produzierten Waren und Dienstleistungen zusammengezählt werden. Davon abgezogen werden Vorleistungen wie etwa Rohstoffe oder Bauteile.
  • Messlatte für Erfolg. Von Politikern, Ökonomen und Medien wird das BIP oft als Erfolgsmesser schlechthin dargestellt. Da es aber nur eine rein monetäre Kennzahl ist und viele Bereiche – etwa die Einkommensverteilung, Umweltschutz oder Bildung – nicht berücksichtigt, sagt es nichts über den individuellen Wohlstand der Menschen in einem Land aus.
  • Weiter gefasst. Alternative Kennzahlen messen neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch andere Aspekte. Da allgemein akzeptierte Regeln zur Berechnung teilweise fehlen und nicht alle Länder entsprechend umfangreiche Daten liefern, hält sich das BIP als fixe Vergleichszahl.

Leserreaktionen

Behauptung stimmt nicht

Ein Forum-User, dessen Diskussionbeitrag wir auf der Leserbriefseite veröffentlicht haben, hatte behauptet, „80 Prozent der Menschen hätten in den letzten 20 Jahren an Wohlstand eingebüßt“. Einem aufmerksamen Leser verdanken wir den Hinweis, dass diese Behauptung nicht stimmt. Sarah Wagenknecht, auf den sich der User bezog, sprach in einer TV-Diskussion von 40 Prozent.

Die Redaktion
(aus KONSUMENT 5/2018)

80 Prozent haben verloren

Trotz steigendem BIP haben 80 % der Menschen in den letzten 20 Jahren Wohlstand eingebüßt ... das untere Drittel sogar massiv! Nur eine reiche Oberschicht hat massiv dazugewonnen. Man kann sagen, wir können uns die arbeitsfrei Reichen wie Investoren, Anleger und Kapitalisten nicht mehr leisten. Auch der mittelständische Unternehmer leidet unter der Kreditklemme, da die Banken das Geld lieber im Wertpapier-Casino investieren und da aber leider vielfach auch verbrennen. Und somit ist dieser Kapitalismus ein großes Innovationshemmnis.

Andererseits werden die Produkte selbst nicht billiger, aber sie leben immer kürzer: früher hielt ein Rasierer 20 Jahre, heute ca. 2,5 Jahre, was den Konzernen entsprechend höheren Umsatz und Gewinn bereitet, den Menschen aber mehr an Lebenszeit kostet ... gut dargelegt von Sahra Wagenknecht im Buch „Kapitalismus oder Freiheit“.

User "good vibrations"
(aus KONSUMENT 8/2017)

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