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Junge Frau im Supermarkt, mit skeptischen Blick
Komplett austauschbare, unkreative Produkte? Da kann man als Konsument:in schon die Orientierung verlieren. Bild: ibnu/stock.adobe.com (KI-generiert)

Sind uns Qualität und Herkunft egal?

Der Autor und Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter über mangelndes Qualitätsbewusstsein und die (Mit-) Verantwortung der Verbraucher:innen an der Konsum-Welt, in der wir heute leben.

Wolf Lotter
Bild: Katharina Lotter

Zur Person: Wolf Lotter

Wolf Lotter (geboren 1962 in Mürzzuschlag) ist Autor und Wirtschaftsjournalist und beschreibt in seiner Arbeit insbesondere die Transformation der Industrie- zur Wissensgesellschaft.

Er war u.a. Redakteur bei Profil und Gründungsmitglied des Wirtschaftsmagazins Brand Eins sowie der Schriftstellervereinigung Pen Berlin. Lotter ist zudem parteiloses Mitglied des ORF Publikumsrats. Seine Bücher tragen Titel wie „Echt. Der Wert der Einzigartigkeit in einer Welt der Kopien“, „Zusammenhänge. Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen“ oder „Die kreative Revolution. Was kommt nach dem Industriekapitalismus?“.

 

Herr Lotter, in einer Zeit überbordender Fake-News und gefälschter Produkte widmen Sie sich in Ihrem aktuellen Buch den Originalen. Eigentlich aufgelegt, oder?

Nicht unbedingt. Weil die Leute im Grunde genommen den Unterschied gar nicht mehr kennen. Viele sind mittlerweile in einem Zustand, in dem sie richtig und falsch, echt und unecht, Kopie und Original nicht mehr unterscheiden können und wollen. Und man fragt nicht mehr kritisch nach – was schon eine Kernaufgabe aller Konsumentinnen und Konsumenten sein sollte.

 

Muss man das Original überhaupt zwingend erkennen? Es gibt doch den Spruch: Lieber gut nachgemacht als schlecht selbst erfunden. Daran ist doch auch aus Sicht der Wirtschaft nicht wirklich etwas verwerflich?

Eine Wirtschaft, die so denkt, hat schon verloren, weil sie von der Substanz lebt. Das ist übrigens eines der Probleme in Europa: Originalität und Innovation sind ein und dasselbe. Um sich wirklich unabhängig zu machen, braucht man den Geist, dass man was Echtes und Einmaliges hinkriegt – und sich nicht damit begnügt, dass das andere, egal ob China oder die USA, liefern. Es geht um Qualität.

 

Wie konnte es so weit kommen, dass für viele Konsument:innen die Qualität eines Produkts nebensächlich geworden ist? Der Preis scheint oft der alleinbestimmende Faktor – und die möglichst sofortige Verfügbarkeit, natürlich ohne die Wohnung zu verlassen.

Wir leben in einem Abschnitt der Konsumgesellschaft, wo es darum geht, möglichst viel zu verbrauchen. Und das spricht immer für die Kopie. Die späte Industriegesellschaft ist immer eine Kopiergesellschaft. Es geht darum, möglichst viel herzustellen, aber nicht sonderlich qualitätsvoll. Das ist das eine.

Das andere: In den 70ern hat’s damit begonnen, dass auch die kleinen Leut’ zum Beispiel nicht nur am Sonntag Fleisch gehabt haben. Plötzlich gab’s viel und billig, die ersten Supermärkte. Das ist prinzipiell ja gut. Man darf nicht vergessen, dass unsere Vorfahren immer den Existenz- und Überlebenskampf hatten. Und folglich war Quantität, Menge immer etwas Wichtiges. Jetzt, in der Industriegesellschaft, hat die Quantität aber schon so eine Stellung eingenommen, dass man sich gar nicht mehr überlegt, was gut und was schlecht ist. Wir haben verdrängt, dass es Qualitätsunterschiede gibt.

 

Wurden wir von namen- und gesichtslosen, dafür umso skrupelloseren Marketing-Strateg:innen zu willenlosen Konsum-Zombies gemacht? Oder war es eine historisch unabänderliche Entwicklung?

In den zuvor beschriebenen Zustand, in dem wir Kopie und Original nicht mehr unterscheiden können, sind wir schon sehr zentral durch Marketing, Werbung und Manipulation geraten. Aber es geht auch darum, wer man ist, woher man kommt. Leute, die immer schon Geld hatten, die gelernt haben, etwas auszuwählen, die machen bei Massenkonsum ganz einfach nicht mit. Der Gros der Menschen hat aber leider noch nicht gelernt bzw. auch wieder verlernt, Entscheidungen zu treffen in Hinblick auf: Was ist für uns besser, was ist Geschmack, was ist auch für die Umwelt besser? Faktum ist: Jede Entscheidung für etwas Gutes ist auch eine Entscheidung gegen etwas Schlechtes.

"Jede Entscheidung für etwas Gutes ist auch eine Entscheidung gegen etwas Schlechtes."

 

Massenkonsum als Brot & Spiele 2.0?

Was war ein zentrales Ziel der Arbeiterbewegung? Dass wir zu emanzipierten entscheidenden Menschen werden. Und zwar durch die Möglichkeit der Teilhabe an Bildung und die Schaffung finanzieller Unabhängigkeit. Und da zählt auch die Bildung des Konsumentenbewusstseins dazu: Ich bin nicht nur der, um den sich andere kümmern, irgendwelche Marketingleute, die mir sagen, was toll ist, was ich kaufen muss. Sondern, dass man sich schon selbst kümmern muss, dass man selbst bewusste Entscheidungen trifft. 

 

Konkret gefragt: Wie hoch ist der Grad der Eigenverantwortung der Konsument:innen? 

Es ist recht simpel: Man muss sich entscheiden, will man ein Produkt aus Österreich, zum Beispiel ein Lebensmittel von einem Bauernhof, wo man gut belegt sehen kann, dass es ein hochwertiges Produkt ist? Oder kauft man, um es ganz offen zu sagen, jeden Dreck auf Temu? Es gibt leider viele Leute, denen die Herkunft völlig egal ist. 

Es geht ja nicht darum, dass jeder die Mechanismen der Globalisierung im Detail versteht. Wir haben ohnedies zu viel Detailwissen und zu wenig Zusammenhangswissen. Es geht mir darum, dass man allgemein gebildet ist. Grundgebildet für die Zeit, in der wir leben. Sich die Frage zu stellen, wie geht’s dem Arbeiter in China, der für ein Billigprodukt geschuftet hat? Und wie würd’s mir gehen an seiner Stelle? Oder wie ist es dem Tier wohl gegangen, von dessen Fleisch ich grad das Schnitzel esse? 

 

Wie viel Mitverantwortung haben wir an der Konsum-Welt, in der wir leben? Am Markt bzw. an den Bedürfnissen vorbeiproduziert wird ja in der Regel nicht, zumindest nicht lange. 

Ich will nicht so verstanden werden, dass ich sage: Schon wieder die armen Opfer! Es liegt in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen zu schauen: Was tu ich da, was kaufe ich eigentlich? Wen fördere ich mit meinen Entscheidungen? Und wen eben nicht? So lebensklug sollte man als erwachsener Mensch schon sein.

Aber Faktum ist: Da gibt es immer noch enorme Defizite. Schon im Text der Arbeiter-Marseillaise im 19. Jahrhundert gibt es die berühmte Zeile: „Den Feind, den wir am meisten hassen, das ist der Unverstand der Massen.“ Das ist nicht arrogant und elitär, sondern das ist so: Wir haben ein Bildungsproblem. Und wir haben ein Selbst­verantwortungsproblem. 

 

„Wir haben ein Selbstverantwortungsproblem.“

 

Aber ist den Konsument:innen wirklich ein Vorwurf zu machen? Es gibt so viele Produkte, die komplett austauschbar, nahezu ident sind. Da greif ich doch zum günstigeren, ist doch klar! Gerade in Zeiten, wo die Teuerung noch immer nachhallt … 

Definitiv! Es ist ja leider tatsächlich nicht selten so, dass Me-Too-Produkte (nachgeahmte Produkte, Anm.) besser und entsprechend auch preiswürdiger sind als das Original. Bei Lebensmitteln kommt das relativ häufig vor.

 

Eine geostrategische Frage: Ist es nicht legitim, dass China nicht mehr nur die Werkbank der Welt sein will? Und lieber eigene Produkte herstellen und verkaufen will? Und sei es nur Nachgemachtes oder vom Original inspiriertes?

Wir haben in Europa gegenüber China zum ersten Mal ein Handelsdefizit. Warum? Weil sie die Kopien von unseren Produkten mittlerweile so gut machen, dass sie ihr eigenes Zeug kaufen – und eben nicht mehr das Original. Es gibt einen gewaltigen Webfehler im industrialistischen System. Und zwar, dass es nicht wichtig ist, ja sogar schlecht, wenn ein Produkt unterscheidbar ist. 

Weil es um Skalierbarkeit geht, damit ich es massenhaft herstellen kann, damit es immer billiger wird. Deshalb sind Unternehmen von Europa nach China gegangen, weil sie dort mehr herstellen können zu geringeren Kosten, mit geringerem gesetzlichen Schutz. Mit wenig Weitblick, wie sich herausgestellt hat. Denn jetzt kommt man drauf, dass China doch nicht nur unsere dumme verlängerte Werkbank sein will. Zum Glück ist der europäische Markt für China nach wie vor so wichtig, dass sie ohne ihn wirtschaftlich nicht existieren können.

 

Eine Henne-Ei-Frage: Ist es die heimische Wirtschaft, die Produkte auf den Markt bringen muss, die von den Kund:innen als etwas Besonderes wahrgenommen werden? Oder sollen die Verbraucher:innen gefälligst lokalpatriotisch einkaufen? 

Ich glaube, dass beides richtig ist. Lokalpatriotisch einzukaufen, wenn es schlechte Ware ist, ist ein Blödsinn. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Aber ich glaube, dass die Konsumentinnen und Konsumenten Druck machen müssen, höhere Qualität einfordern müssen. Gerade im Lebensmittelbereich hat sich da schon was getan in den vergangenen Jahrzehnten. Aber es gilt auch für andere Bereiche: Informatik, Maschinenbau, Dienstleistungen usw. Da muss einfach höchste Qualität geliefert werden für das Geld, das man verlangt. Man kann nicht Luxuspreise verlangen und Standard, manchmal Substandard liefern.

Ich bin stark dafür, dass wir in Europa produzieren. Aber modernst. Nicht zurück zur alten, subventionierten Industrie. Ich würde ja gern zum Beispiel einen europäischen Computer kaufen oder ein Smartphone. Gibt es aber nicht.

 

Geht’s auch um Verzicht? Um eine Fokussierung aufs Wesentliche? 

Ich fände es besser, wenn wir den Begriff Verzicht ersetzen würden durch den aufgeklärteren Begriff der Entscheidung. Das setzt voraus, dass ich weiß, warum ich etwas nicht tue. Etwas nicht tun zu können oder nicht tun zu wollen, sind große Unterschiede. Ich will nicht auf den Fortschritt verzichten. Ich will, dass er die Welt besser macht. 

 

„Es geht um Wissensökonomie!“

 

Haben Sie eine Lösung, einen Ausweg parat? 

Es geht um Wissensökonomie! Ich werde nicht müde zu sagen, dass wir längst in der Phase sind, wo wir aus der Phase der industriellen Produktion in die Wissensökonomie gehen müssten. Und zum Teil auch schon sind. Wir sind keine Industrienation. Mehr als 40 Prozent wissensbasierte Dienstleistungsberufe stehen nicht mal 15 Prozent in der Industrie, inklusive Verwaltung in der Industrie, gegenüber. Zu glauben und zu sagen, alle müssen nur fleißig sein, es muss dampfen und rauchen, dann wird alles gut, das ist natürlich ein Blödsinn. 

 

Wissensökonomie, bitte kurz erklärt. 

Heißt, dass man als Ressource, als Produktionsmittel Wissen plus Erfahrung, also Know-how hat, also Erfahrung plus innovatives Denken. Und eben nicht reproduzierbare Arbeit macht. Fließbandarbeit vs. Servicearbeit hätte man früher gesagt. Wissensarbeitende sind in Wahrheit dafür verantwortlich, dass heutzutage in einer Volkswirtschaft wie der unsrigen überhaupt noch Mehrwert erzeugt wird. 

 

Mehr Wissensarbeitende heißt wieder mehr Originale? 

Davon bin ich überzeugt. Es gibt den uralten Spruch: Erst besinn’s, dann beginn’s. Also zuerst muss ich darüber nachdenken, also Wissensarbeit leisten, dann kann ich es umsetzen. Es gibt ein ganz klares Primat des Hirns über die Hand. Wir müssen uns nur erinnern in der Hektik unserer Zeit, was in welcher Reihenfolge getan wird.

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