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Nachbarschaftshilfe im Ethik-Report - Talent statt Geld

Immer mehr Menschen suchen Alternativen zum herkömmlichen Konsumdenken, Nachbarschaftshilfe und Tauschkreise boomen.

„Suche Babysitter, biete Verleih von Haushaltsgeräten.“ So oder ähnlich könnte das Angebot auf einer Plattform für Nachbarschaftshilfe aussehen. Die Idee dahinter: Menschen zu vernetzen und Ressourcen zu teilen. Das kann einfach über eine Website geschehen, wo Nachbarn sich austauschen, oder über organisierte Tauschkreise, wo Waren und Dienstleistungen auf Basis einer symbolischen Währung getauscht werden.

Österreichweite Projekte

Die Idee dahinter ist nicht ganz neu: Bereits Anfang der 1980er-Jahre richtete der Arbeitslose Brite Michael Linton den ersten LETS (Local Exchange Trading System)-Tauschkreis ein, die Idee verbreitete sich schnell über Europa und die USA.

Arbeit wird neu definiert

Der Wert der Arbeit wird in diesen Systemen vor allem vom Zeitaufwand bestimmt, nicht von anderen wirtschaftlichen Faktoren. Damit hinterfragen die Tauschkreise traditionelle Wirtschaftsformen, definieren Arbeit neu und bewerten den Menschen in erster Linie nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten. Im LETS-Tauschkreis Wien gilt der Grundsatz, dass unabhängig von der Art der Leistung ein fixer Stundensatz verrechnet wird.

Regional organisierte Tauschkreise

Regional organisierte Tauschkreise

Österreichweit gibt es mehrere regional organisierte Tauschkreise. „Der Talente Tauschkreis Kärnten, in dem ich seit 18 Jahren Mitglied bin, kam mir in einer finanziellen Notlage zu Hilfe“, erzählt Lisa Engel. „Im Austausch gegen meine Kenntnisse als Fotografin und Texterin bekam ich Nahrungsmittel und Kinderbetreuung angeboten.“

Die Kärntnerin ist der Meinung, dass Tauschkreise oder Plattformen wie willhaben.at, wo gebrauchte Waren angeboten werden, die Zukunft sind. „Gerade junge Leute nutzen diese Plattformen ganz selbstverständlich.“ In 18 Jahren machte Engel nur eine negative Erfahrung beim Tauschkreis. „Der Grund war, dass ich die Konditionen für einen Tausch nicht vorab geklärt hatte und dadurch ein Missverständnis entstand.“

Seit diesem Erlebnis legt die Kärntnerin Wert darauf, vor jedem Tausch die Rahmenbedingungen abzustecken. „Eine Stunde Arbeit, egal ob Babysitten, Kochen oder Massage, kostet 100 Talente (oder einen individuell zu vereinbarenden Betrag), die vom Talentekonto des Konsumenten abgebucht und auf das Konto des Gebers gutgeschrieben werden“, heißt es auf der Homepage des Talente Tauschkreises Kärnten.

Symbolische Währung

Talente ist hier die Bezeichnung für die symbolische Währung. Der Hauptvorteil besteht darin, dass eine Leistung in Anspruch genommen werden kann, ohne dass man sofort und personengebunden eine Gegenleistung erbringen müsste. Der Ausgleich kann später bei anderen Tauschpartnern erfolgen. Talente-Tauschkreise gibt es unter anderem auch in Vorarlberg, Niederösterreich und Wien, der Tauschkreis-Verbund ist ein Zusammenschluss von mehreren Tauschkreisen im deutschsprachigen Raum.

Menschen tauschen ihre Talente aus

Verein "Wir Gemeinsam": Menschen tauschen ihre Talente aus

Der Verein „Wir Gemeinsam“ arbeitet nach demselben Prinzip: Ausgehend von der Region Ried im Innkreis wurde ein Netzwerk aufgebaut, in dem Menschen ihre vielfältigen Talente austauschen, um einander zu helfen und zu unterstützen. Die Mitglieder bieten Tätigkeiten wie Hilfe im Haushalt, Reparaturen oder Massagen an und können dafür zu einem anderen Zeitpunkt ähnliche Dienste in Anspruch nehmen. Das funktioniert mithilfe eines Zeitkontos und Zeitscheinen, bei denen jede Stunde – egal für welche Tätigkeit – gleich viel wert ist.

„Unsere Nachbarschaftshilfe startete 2008 und umfasst derzeit 26 Regionen mit ca. 2.000 Mitgliedern in Oberösterreich und Grenzregionen“, erklärt Tobias Plettenbacher, Obmann des Vereins WIR Gemeinsam. Ähnliche Plattformen sind kaesch.at, „Netzwerk zum Austausch von Fähigkeiten, Waren und Dienstleistungen“, mit der symbolischen Währung KAESCH, oder frents.com, eine Plattform zum „Leihen und Verleihen unter Nachbarn“. Auch auf teilbar.com geht es um das Teilen von Dingen mit Menschen in der Umgebung.

Kräuterhof Aufreiter: Wissen und Felder werden zur Verfügung gestellt

Michaela und Hans Aufreiter hatten im Frühjahr 2012 die Idee, auf ihrem Bauernhof im Mühlviertel gemeinsam mit Konsumenten Gemüse anzubauen, zu pflegen, zu ernten und auch gemeinsam einzulagern. Acht Familien nahmen an dem Projekt teil und ernteten im Herbst Erdäpfel, Zwiebeln, Karotten und vieles mehr. „Die Rückmeldungen der Teilnehmer zeigten uns, dass es ihnen wichtig war, frisches und regionales Gemüse zu bekommen“, erzählt Hans Aufreiter. „Aber auch die Wertigkeit und die Achtung vor den selbst produzierten Lebensmitteln ist gestiegen.“

Die Aufreiters stellen ihr Wissen über die Zusammenhänge der Natur, über den Anbau von Gemüse oder das Ernten und Einlagern gerne zur Verfügung. Mit Erfolg: Im Folgejahr nahmen bereits 20 Familien an dem Projekt teil: „Sogar aus den umliegenden Gemeinden kommen Leute zu uns, da es noch zu wenige Bio-Bauern gibt, die ihr Wissen und ihre Felder zur Verfügung stellen.“

Nachbarschaftshilfe in der Großstadt

Nachbarschaftshilfe in der Großstadt

Gerade in der Anonymität von Großstädten können Nachbarschaftsnetzwerke die Menschen einander näherbringen. Ein Beispiel dafür ist „fragnebenan“ in Wien: „Wir werden immer mehr und haben immer weniger miteinander zu tun“, begründet Geschäftsführer Stefan Theißbacher seine Initiative. „Wir wollen etwas dagegen tun, indem wir Nachbarn miteinander vernetzen.“

Interessierte können ein Profil anlegen und ihre Wohngegend angeben. Danach wird ausgewählt, welche Tätigkeiten man im Bedarfsfall selbst ausüben kann (etwa ältere Nachbarn unterstützen oder kurz auf Kinder aufpassen) und woran man interessiert ist (etwa an Mitfahrgelegenheiten oder der Betreuung von Haustieren). Ob Hilfe bei handwerklichen Tätigkeiten oder bei der Kinderbetreuung, das Anliegen wird einfach auf der Website deponiert.

"fragnebenan": Nachbarschaftsnetzwerk in Wien

„Ich war vor meinem Urlaub auf der Suche nach jemandem, der meine Katzen füttern würde“, erzählt die Wienerin Stefanie D. „Nachdem ich meine Bitte auf ,fragnebenan‘ deponiert hatte, bekam ich innerhalb kurzer Zeit fünf Angebote von Nachbarn, meine Katzen zu betreuen.“ Telefonnummern wurden ausgetauscht, ein erstes Treffen vereinbart, und Stefanie D. konnte beruhigt auf Urlaub fahren. „Der positive Nebeneffekt war, dass meine Nachbarin auch noch unsere Pflanzen goss und regelmäßig lüftete. Alles funktionierte einwandfrei.“

Rechtliche Aspekte

Rechtliche Aspekte

Nachbarschaftshilfe oder Tauschkreise ermöglichen auch Menschen, die zu wenig oder gar nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind, ihre Fähigkeiten für Nachbarn einzusetzen und im Austausch dafür das Angebot anderer Menschen in Anspruch zu nehmen.

"Caritas Vorarlberg": Projekt für Flüchtlinge

So bietet etwa die Caritas Vorarlberg im Zuge eines Projektes Flüchtlingen die Möglichkeit, ihre Zeit in Form von Nachbarschaftshilfe sinnvoll zu nutzen. Auch private Initiativen wie die von Stefan Schweiger gehen in diese Richtung. „Flüchtlinge wollen nicht auf der faulen Haut liegen, sondern brauchen eine Beschäftigung“, ist der Kärntner überzeugt. „Durch einfache Tätigkeiten wie Rasenmähen oder Holzschlichten bekommen sie eine Aufgabe und können Kontakte knüpfen.“ Die rechtliche Lage ist hier eindeutig: Asylwerber dürfen aufgrund des Ausländerbeschäftigungsgesetzes und der österreichischen Sozialversicherungs- und Lohnsteuergesetzgebung nicht direkt bezahlt werden.

Nachbarschaftshilfe oder Schwarzarbeit?

Bei der Unterscheidung zwischen Nachbarschaftshilfe und Schwarzarbeit ist die Grenze verschwommener. Sind fünf Euro in der Stunde für den Schwager, der beim Ausmalen hilft, steuerpflichtig? Ein neuer Entwurf der Regierung zur Bekämpfung von Betrug und Steuerhinterziehung bringt dazu keine echte Klarstellung.

Für das Finanzministerium ist klassische Nachbarschaftshilfe, sofern sie kurzfristig, einmalig und unentgeltlich ist, nicht steuerpflichtig. „Es darf kein Geld fließen“, so Ministeriumssprecher Johannes Pasquali. Aber er stellt auch klar: „Unser Fokus ist der gewerbliche Pfusch am Bau.“ Letztlich ist es auch eine Frage der Beweisführung: Es wird sich für die Finanz kaum lohnen, jemanden zu verfolgen, weil er gelegentlich für seine alte Nachbarin den Einkauf erledigt.

Nützliche Links

Tauschkreis Verbund:Tauschkreis-Verbund

Nachbarschaftsnetzwerk Wien:FragNebenan - Das Netzwerk für gute Nachbarschaft (Wien)

Nachbarschaftsnetzwerk Oberösterreich (und angrenzende Regionen):Verein WIR GEMEINSAM - Zeittausch-Netzwerk (OÖ und angrenzde Regionen)

Caritas Vorarlberg: Caritas Vorarlberg Nachbarschaftshilfe

Kräuterhof Aufreiter: Kräuterhof Aufreiter

Buchtipp: "Nachhaltig leben"

Durch das eigene Konsumverhalten einen Beitrag zu einer "besseren" Welt zu leisten, ist der Wunsch vieler Verbraucher. Doch welche Möglichkeiten hat der Einzelne, dies im Alltag umzusetzen? Unser Buch gibt Tipps und Anregungen für all jene, die ganz individuell zu einem verantwortungsvollen Lebensstil finden wollen.

www.konsument.at/nachhaltig-leben

Aus dem Inhalt

  • Lebensmittel: fair und natürlich
  • Lifestyle: modisch, aber ökologisch
  • Mobilität, Tourismus, Freizeit
  • Nachhaltigkeit im Haushalt
  • Abfall vermeiden, Ressourcen schonen
  • Trend: gemeinsam nutzen statt besitzen

160 Seiten, 14,90 € + Versand

KONSUMENT-Buch: Nachhaltig leben (Bild:VKI)

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