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Fairtrade: Baumwoll-Genossenschaft - Grenzen der Fairness

Kinderarbeit, Ausbeutung, schlechte Bezahlung – sind Fairtrade-Kooperativen auch nicht besser als konventionelle Betriebe? Wofür Fairtrade steht und wo seine Grenzen liegen zeigen wir am Beispiel einer indischen Baumwoll-Genossenschaft.

Der Geländewagen holpert über die un­asphaltierte Straße, vorbei an ärmlichen ­Dörfern, eingebettet in sattes Grün, Rinderherden und Baumwollfeldern. Im Dorf Kumkal im ostindischen Bundesstaat Odisha ­haben die Baumwollfarmer der Fairtrade-zertifizierten Genossenschaft Chetna Organic einen großen Teppich für ihre Besucher ausgebreitet.

Dank Fairtrade nur noch Bio-Landwirtschaft

"Als wir unsere Baumwolle noch mit Pestiziden spritzten, sind meine Ziegen daran gestorben“, erzählt der Farmer Radha Kanthsahu aus der Kalahandi-Region. "Dank Fairtrade gibt es hier heute nur noch Bio-Landwirtschaft.“

Baumwolle benötigt im konventionellen ­Anbau mehr Pestizide als jede andere Pflanze: 10 Prozent der weltweit verwendeten Pestizide werden beim Baumwollanbau eingesetzt. 50 Prozent aller Pestizide in Indien werden auf den Baumwollfeldern benötigt, obwohl diese nur 5 Prozent der gesamten Agrarfläche einnehmen. Diesen Umstand machen sich Großunternehmen zunutze, die den Farmern die Chemikalien teuer verkaufen. 25 Prozent ihres Gewinnes müssen die Farmer zusätzlich in gentechnisch verändertes Saatgut investieren, wenn sie höhere Gewinne und eine kurzfristige Resistenz ­gegen Schädlinge erzielen wollen.

US-Riese Monsanto kontrolliert Saatgut

Diesen Markt kontrolliert der US-Riese Monsanto. Fallen die Weltpreise für Baumwolle in den Keller oder ist die Ernte schlecht, können die Bauern nicht mehr in die nächste Aussaat investieren. Die Folge: Seit 1996 nahmen sich über 260.000 indische Farmer das Leben, die keinen Ausweg mehr aus der Schuldenfalle sahen.

Fotos: Baumwollfarmer von Kumkal

Die Baumwollfarmerinnen und -farmer von Kumkal (Bild: Susanne Wolf)

Baumwollfarmerinnen von Kumkal arbeiten für ein Fairtrade-Projekt (Bild: Susanne Wolf) 

Baumwollfarmer von Kumkal arbeiten für ein Fairtrade-Projekt (Bild: Susanne Wolf) 

Mindestpreis und Bio-Aufschlag

Mindestpreis und Bio-Aufschlag

Hier setzt Fairtrade mit seinem Mindestpreis an: Wenn der Weltmarktpreis über diesen Mindestpreis steigt, erhalten die Koopera­tiven den höheren Marktpreis. Liegt der Weltmarktpreis unter dem Fairtrade-Mindestpreis, muss dieser trotzdem vom Händler an die Produzentengruppe ausbezahlt werden. Zudem erhalten die Genossenschaften eine Fairtrade-Prämie für soziale Projekte oder Bildung, derzeit in der Höhe von 5 Euro-Cent pro Kilo Baumwolle. Die Farmer der Kala­handi-Region finanzierten mit dieser Prämie eine Linsen- und Reismühle sowie Baumschulen.

65 % der Inder sind von der Landwirtschaft abhängig

Kalahandi ist eine von vielen ­Regionen Indiens, die vom Baumwollanbau leben. Indien ist nach China der größte Baumwollproduzent, beim Export liegt es an dritter Stelle hinter den USA. „65 Prozent der indischen Bevölkerung sind von der Landwirtschaft abhängig, 86 Prozent davon erzielen jedoch keine Gewinne“, sagt Kavitha Kuruganti von der Organisation Asha, die sich für nachhaltigen Anbau einsetzt. Immerhin ist Indien zurzeit der größte Anbieter von Bio-Baumwolle weltweit.

Saatgut wieder in die Hände der Bauern

Ziel der Chetna Organic Farmers Association ist es, das Saatgut wieder in die Hände der Bauern zu geben und durch die Umstellung auf Bio-Anbau ihren Lebensstandard zu ­verbessern: Der organische Baumwollanbau verbietet die Verwendung von giftigen Chemikalien sowie den Einsatz von genetisch verändertem Saatgut. Er erfolgt ohne künstliche Bewässerung, also nur mit verbesserten Methoden der Regenwassernutzung. Die Vorteile: eine gesunde Umwelt und biolo­gische Diversität, die eine längere Frucht­barkeit des Bodens garantiert, sowie gesündere Arbeitsbedingungen für Pflückerinnen und Bauern. Ein Bio-Aufschlag von der ­Kooperative, der 20 % des Mindestpreises ausmacht, erhöht noch die Attraktivität des organischen Anbaus.

Fairtrade-Bauern bekamen mehr

Die Bauern von Kumkal könnten sich die teuren Pestizide ohnehin nicht leisten – ihnen kommt der Bio-Anbau daher sehr gelegen. Die Farmer, die noch auf ihre Fairtrade-Zertifizierung warten, erzählen von niedrigeren Preisen, die sie für ihre Ware erhalten: 3.500 Rupien haben sie bei der letzten Ernte für einen Zentner Baum­wolle verdient, die Fairtrade-Bauern dagegen bekamen 4.150 Rupien für dieselbe Menge.

Regelmäßige Kontrollen der Partnerorganisation

Negativmeldungen über Fairtrade-Betriebe haben viele Konsumenten verunsichert. Hat das System des fairen Handels versagt? „Es handelt sich stets um Einzelfälle“, versichert Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fair­trade Österreich. Es gebe aber kein Zertifizierungssystem, das Missbrauch zu 100 Prozent verhindern könne.

Regelmäßige Kontrollen der Partnerorganisation

Regelmäßige Kontrollen der Partnerorganisation FLO-Cert sorgen dafür, dass die Fairtrade-Standards weitgehend eingehalten werden, die neben dem Verbot von genmanipuliertem Saatgut auch Versammlungsfreiheit, Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften sowie das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit ent­halten. Mitglieder, die gegen die Regeln verstoßen, werden zunächst suspendiert und gegebenenfalls auch dezertifiziert. „Das Ziel ist aber immer, eine gemeinsame Lösung zu finden, statt nur zu bestrafen.“

Stellung der Frau soll sich verbessern

Gendergerechtigkeit sei ebenfalls ein Riesen­thema, ergänzt Kirner. „Fairtrade alleine kann nicht bewirken, dass sich an der Stellung der Frau in Ländern wie Indien etwas ändert – Verbesserungen im eigenen Einflussbereich sind jedoch möglich.“ Ähnlich verhält es sich mit der Diskriminierung von Wander- und Saisonarbeitern: „Fairtrade sieht für Saisonarbeiter, die über einen gewissen Zeitraum beschäftigt sind, Arbeitsverträge und staatliche Mindestlöhne vor.“ Dies zu kontrollieren sei aber nicht lückenlos möglich. Fairtrade hat auch eine andere Zielrichtung, wie Kirner betont. „Man darf nicht vergessen, dass Fairtrade in erster Linie Kleinbauern zertifiziert und versucht, deren Lebensstandard zu verbessern.“

Problem der Kinderarbeit hat mehrere Gesichtspunkte

Auch vor dem Problem der Kinderarbeit verschließt Fairtrade nicht die Augen. Man ­müsse aber unterscheiden zwischen Kindern, die ihren Eltern bei der Ernte helfen – sofern dadurch nicht der Schulbesuch gefährdet werde – und ausbeuterischer Kinderarbeit: „Vor allem in Westafrika ist diese Form weit verbreitet. Bei Fairtrade gibt es starke strukturelle Programme, um sie zu verhindern, ausschließen kann man sie leider nie. Wenn aber ein Betrieb in Verdacht gerät, werden die Kontrollen verstärkt.“

Miese Arbeitsbedingungen ohne Mindeststandards

Weiterverarbeitung ist eine zusätz­liche Herausforderung

Fairtrade garantiert für fair produzierte Baumwolle, die Weiterverarbeitung ist eine zusätz­liche Herausforderung: „In Indien gibt es zehn große Textilfabriken, die Baumwolle für mehrere Unternehmen verarbeiten“, erklärt Kirner. "Wir können Zertifikate verlangen, um die schlimmsten Missstände aus der Welt zu schaffen, aber es ist schwierig, das in der gesamten Wertschöpfungskette umzusetzen.“ Das Zertifizierungssystem SA 8000 garantiert immerhin Grundstandards wie Kontrollen in den Fabriken, Kernarbeitsnormen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) oder ­Gewerkschaftsfreiheit.

Arbeitsbedingungen ohne Mindeststandards sind katastrophal

Die Arbeitsbedingungen in Textilfabriken ohne diese Mindeststandards sind katastrophal. Laura Ceresna von der Arbeitsrechts­organisation Cividep berichtet von bis zu 16 Arbeitsstunden pro Tag und unbezahlten Überstunden; sexuelle Übergriffe auf die meist weiblichen Arbeiter seien an der Tagesordnung. „Die Frauen haben meist keinen Arbeitsvertrag.“ Kirner ergänzt: „Nur weil ein Produkt teuer ist, heißt das nicht, dass es gut produziert wurde.“

"Wir haben direkten Kontakt zu all ­unseren Produzenten"

Die EZA Fairer Handel GesmbH dagegen, Österreichs größte Importorganisation im fairen Handel, hat direkten Kontakt zu all ­ihren Produzenten, wie Pressesprecherin ­Andrea Reitinger erklärt: „Die Fairtrade-Baumwolle, die wir verarbeiten, stammt u.a. von Chetna Organic aus Indien und wird bei Rajlakhsmi Cotton Mills in Kolkata zu Bekleidung verarbeitet.“ Bei Kleidungsstücken der EZA-Modemarke Anukoo etwa seien auf den Labels alle Baumwollproduzenten und Organisationen gut sichtbar angeführt. „Ideal ist die Kombination aus Fairtrade mit dem GOTS-Gütesiegel (Global Organic Textile Standard), das hohe ökologische Standards garantiert.“

Anukoo fair fashion und Fairtrade (Bild: Susanne Wolf) 

Hier gibt es fair gehandelte Mode und Heimtextilien

Baumwolle mit dem Fairtrade-Gütesiegel gibt es in Österreich seit 2008, im Jahr 2012 wurde ein Umsatzplus von 30 Prozent im Vergleich zum Jahr davor erreicht.

Hier gibt es fair gehandelte Mode und Heimtextilien

Neben der EZA bezieht auch das Modelabel "Göttin des Glücks“ Fairtrade-Baumwolle aus Indien. Starke österreichische Partner sind auch Vossen, wo vor allem afrikanische Baumwolle bei Handtüchern oder Duschmatten eingesetzt wird, und Betten Reiter mit Vorhängen und Bettbezügen.

Zudem gibt es internatio­nale Fairtrade-Lizenzpartner, die auch Österreich beliefern, wie etwa Adler Moden, Schiesser oder Jack & Jones. Hartwig Kirner (Fairtrade Österreich) empfiehlt kritischen Konsumenten, immer wieder nachzufragen: "Woher kommt die Baumwolle? Wie sind die Arbeitsbedingungen der Hersteller? Das ist nicht nur direkt im Geschäft möglich, sondern auch über andere Kanäle wie beispiels­weise die Facebook-Seite eines Unternehmens." 

Buchtipp: "Nachhaltig leben"

Durch das eigene Konsumverhalten einen Beitrag zu einer "besseren" Welt zu leisten, ist der Wunsch vieler Verbraucher. Doch welche Möglichkeiten hat der Einzelne, dies im Alltag umzusetzen? Unser Buch gibt Tipps und Anregungen für all jene, die ganz individuell zu einem verantwortungsvollen Lebensstil finden wollen.

www.konsument.at/nachhaltig-leben

Aus dem Inhalt

  • Lebensmittel: fair und natürlich
  • Lifestyle: modisch, aber ökologisch
  • Mobilität, Tourismus, Freizeit
  • Nachhaltigkeit im Haushalt
  • Abfall vermeiden, Ressourcen schonen
  • Trend: gemeinsam nutzen statt besitzen

160 Seiten, 14,90 € + Versand

KONSUMENT-Buch: Nachhaltig leben (Bild:VKI)

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