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Wechseljahre - Nicht immer Hormone ...

Spätestens in den 1960er-Jahren wurden die Wechseljahre der Frau zu einer Krankheit hoch­stilisiert. Schließlich war die Therapie bereits auf dem Markt: Hormonpillen. Heute weiß man zwar, dass die Behandlung ­gefährlich sein kann. Doch diese Erkenntnis hat sich noch nicht einmal bis zu allen Ärzten ­herumgesprochen.

Das erste Mal, als Renate (damals 50) die ­Hitze spürte, die wie eine Woge von den ­Zehen bis zum Scheitel in ihr aufstieg, meinte sie, einfach zu warm angezogen zu sein. Doch schon wenige Tage später erfasste sie eine neue Hitzewelle, und dann wieder ­eine und noch eine. "Das kommt schlagartig, dagegen kann man sich nicht wehren", erinnert sie sich heute, "manchmal bin ich in der Nacht dreimal aufgewacht und war klatschnass." Wie lange diese heißeste Phase ihres Lebens gedauert hat, weiß Renate heute gar nicht mehr. Irgendwann war es vorbei, genauso plötzlich, wie es gekommen war.

Angelika (59) hatte während der Wechseljahre keinen einzigen Schweißausbruch. Dass sie kaum noch Lust auf Sex verspürte und von einem Tag auf den anderen ­Akne bekam, "wie ich sie nicht einmal in der ­Pubertät gehabt hatte", führte sie darauf ­zurück, dass sich in ihrem Körper etwas ­änderte. Auch eine tiefe Traurigkeit erfasste sie zu der Zeit, als die Menstruation ausblieb.

Blutungsstörungen, Gelenksschmerzen, Vergesslichkeit

Die Liste an Beschwerden, die den Wechseljahren der Frau zugeschrieben werden, ist lang: Neben Hitzewallungen, Blutungsstörungen und Scheidentrockenheit sollen so unterschiedliche Befindlichkeitsstörun­gen wie Reizbarkeit und Konzentrationsschwäche, Schlaflosigkeit und Gelenkschmerzen, Vergesslichkeit, Kopfweh und Herzklopfen darauf zurückzuführen sein, dass ab einem gewissen Alter die Hormonproduktion zurückgefahren wird. Auch die erschlaffenden Gesichtszüge, Hauttrocken­heit und Haarausfall sollen auf das Konto des Östrogenmangels gehen.

Nicht immer ist "der Wechsel" schuld

"Es ist so vereinfachend, alles, was im Alter zwischen 45 und 55 passiert, auf die Wechseljahre zu schieben", sagt Sylvia Groth, Geschäfts­führerin des Vereins Frauengesundheitszentrum in Graz. Ein eindeutiger Zusammenhang mit dem sinkenden Östro­genspiegel ist nur bei Blutungsstörungen, Hitzewallungen und Scheidentrockenheit wissenschaftlich erwiesen. Selbst Depressionen, die lange Zeit als ein untrügliches Zeichen für "den Wechsel" angesehen wurden, treten in diesem Alter nicht häufiger auf als in anderen Lebensabschnitten.

Hormonepräparate: keine Allheimittel

Nur jede zehnte Frau zum Arzt

Überhaupt kann nur geschätzt werden, wie viele Frauen in den Jahren um die letzte ­Regelblutung (in der Fachsprache: Menopause) wie stark unter welchen Beschwerden leiden. Viele der Daten, die den Anschein erwecken, als handle es sich bei den Beschwerden in dieser Lebensphase um eine schwerwiegende Krankheit, stammen aus sogenannten Menopause-Sprechstunden. Die werden definitionsgemäß von Frauen besucht, denen der Wechsel arg zu schaffen macht. Es sucht jedoch nur jede zehnte Frau wegen Beschwerden in den Wechseljahren einen Arzt auf.

Falsch: Hormone als Allheilmittel

Nichtsdestotrotz wird seit den 1960er-­Jahren ein Allheilmittel gepriesen: Hormonpräparate sollen gegen sämtliche Leiden und Symptome helfen – nicht nur in den Wechseljahren, sondern auch danach. Die Behandlung, bald schon Hormon­ersatztherapie genannt, bekam sowohl von Arzt- als auch von Frauenseite immer mehr Zuspruch. Und obwohl die WHO 1981 verlautbarte, dass das Ende der Menstruation nicht als hormoneller Mangelzustand zu werten sei, der durch Hormonersatz kor­rigiert werden könne oder solle, ließen sich viele Fachleute nicht beirren. In den 1980er- und 1990er-Jahren wurde auf ­Medizinerkongressen gar darüber diskutiert, ob es nicht an unterlassene Hilfeleistung grenze, wenn man Frauen in einem gewissen Alter die Hormontherapie vorenthalte.

Hormonpräparate: eher krankheitsfördernd

Einen entsprechenden Knalleffekt brachte im Jahr 2002 die Veröffentlichung der Studienergebnisse aus der sogenannten Women’s Health Initiative, an der in den USA 16.000 Frauen teilgenommen hatten: Die Annahme, die Hormongabe verbessere auch die Herzgesundheit der Frauen, konnte nicht bestätigt werden. Im Gegenteil – bei Frauen, die nach der Menopause Hormone geschluckt hatten, kam es sogar wesentlich häufiger zu Herzinfarkten und Schlaganfällen und sie erkrankten öfter an Brustkrebs als Studienteilnehmerinnen, die ein Scheinmedikament erhalten hatten. Bald darauf wurden diese Daten durch eine britische Studie bestätigt.

Klagen gegen Pharmafirmen

Zwar hat sich in den letzten acht Jahren durch entsprechende Untersuchungen herausgestellt, dass die Hormontherapie etwa auch das Risiko erhöht, an Eierstockkrebs zu erkranken; und verschiedene Pharmafirmen sehen sich mit Millionenklagen konfrontiert, weil ihnen vorgeworfen wird, sie hätten die Nebenwirkungen ihrer Produkte heruntergespielt. Trotzdem werden die Präparate häufig immer noch bedenkenlos verschrieben und genommen.

Risiko abwägen

Nutzen gegen Risiko abwägen

In Deutschland haben sich deshalb im vergangenen Jahr 17 Fachgesellschaften und Interessenvereinigungen zusammengefunden, um eine Leitlinie – eine Art Behandlungsleitfaden – für die Hormontherapie auszuarbeiten. Wichtigster Punkt: Dass die Hormongabe wirkt, ist nur bei Hitzewallungen und Scheidentrockenheit erwiesen. Und: Die Frauen müssen über die Risiken aufgeklärt werden, um abschätzen zu können, ob der Nutzen für sie tatsächlich überwiegt – zumal Hitzewallungen und Scheidentrockenheit nach Absetzen der Hormone erneut auftreten können.

Pro und Kontra Hormontherapie

Nutzen¹Risiken² (hochgerechnet auf 10.000 Frauen)

75 Prozent weniger Hitzewallungen
(Die Gabe von Placebos reduziert die Hitzeschübe um 50 Prozent.)

10 zusätzliche Thrombosen 
8 zusätzliche Lungenembolien 
7 zusätzliche Herzinfarkte 
8 zusätzliche Schlaganfälle 
8 zusätzliche Brustkrebsfälle

¹Quelle: Frauenarzt 2004; 45: 620 ff. BMJ 2007;334: 736-41  ²Die Fallzahlen ergeben sich durch Hochrechnung auf eine Gruppe von 10.000 Frauen, die Östrogene und Gestagene anwenden, im Vergleich mit einer gleich großen Gruppe von Frauen ohne Hormontherapie, jeweils pro Anwendungsjahr gerechnet. Quelle: Techniker Krankenkasse 2005  

 

Rückfall in der Medizin?

Die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sieht derzeit ­keinen Grund, sich diesen Empfehlungen anzuschließen. "Die Behandlung von Beschwerden in den Wechseljahren ist etwas Individuelles und muss auf die einzelne Frau abgestimmt werden", sagt Walter Neunteufel, Präsident der Gesellschaft. Er glaube nicht, dass die Hormontherapie überhaupt leitliniengeeignet sei, vielmehr liege es "in der ärztlichen Kunst, jeweils das Richtige zu finden".

Sylvia Groth sieht in dieser Einstellung „den Rückfall der Medizin in vorwissenschaftliche Zeiten, als noch die Eminenzen unter den Ärzten entschieden, wie behandelt wird“. Sie rät Frauen, denen die Wechseljahre zu schaffen machen, auch auf eigene Bewältigungsstrategien zu setzen: mit leichtem Sport, Yoga oder Entspannungsübungen

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