Interview mit Dr. Wolfgang Andiel
Obmann des Österreichischen Generikaverbandes
Konsument: Wie hoch ist der Anteil an Generika am
Gesamtmarkt in Österreich derzeit?
Anteil von 18,5 Prozent
Dr. Wolfgang Andiel: Für 2005 liegt der Anteil am Gesamtmarkt, also
Apotheken- und Krankenhausmarkt, laut IMS Health bei zirka 18,5 Prozent.
Konsument: Die Bioverfügbarkeit von Generika ist immer wieder in
Diskussion. Wie sicher sind die Präparate tatsächlich und wird die
Bioverfügbarkeit tatsächlich ausreichend getestet?
Klinische Daten
Andiel: Im Rahmen der Zulassung von Generika kann auf bekannte klinische
Daten zu Wirksamkeit, Dosierung und Verträglichkeit Bezug genommen werden. Diese
Daten werden an Patienten im Allgemeinen durch randomisierte
plazebokontrollierte Doppelblindstudien gewonnen. Eine Wiederholung solcher
Studien wäre unethisch, da keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.
Essenzieller Bestandteil der Generikazulassung ist hingegen die
Bioäquivalenzstudie, bei der mit gesunden Probanden die
Serum-Konzentrations-Zeit-Verläufe des Generikums mit dem Referenzarzneimittel
verglichen werden. Die erhobenen statistischen Bioäquivalenzparameter müssen
innerhalb enger, von internationalen wissenschaftlichen Normen vorgegebenen
Grenzen ident sein. Auch Erstanbieter müssen bei Änderungen von Arzneimitteln,
zum Beispiel Veränderungen in Bezug auf Herstellungsort oder Galenik,
Bioäquivalenzstudien einsetzen.
Konsument: Generika sind teilweise deutlich billiger als
Originalpräparate, weil vor der Einführung auf aufwendige Studien verzichtet
werden kann. Die forschende pharmazeutische Industrie sieht deshalb
Wettbewerbsnachteile.
Anreize für forschende Industrie
Andiel: Nach Freiwerden des Patentes und fortgeschrittenem
Produktlebenszyklus sind bei wichtigen Wirkstoffen die Forschungs- und
Entwicklungskosten im Allgemeinen bereits mehrfach eingespielt. Mit
Markteintritt der Generika sinken die Preise und hochpreisige Innovationen
können mit den eingesparten Mitteln finanziert werden. Dies wiederum schafft
auch Anreize für die forschende Industrie, verstärkt in neue Präparate zu
investieren. Erst der Markteintritt von Generika macht es möglich, einen
nachhaltigen Druck auf die Preise der Erstanbieter auszuüben und in weiterer
Folge die pharmazeutische Forschung anzukurbeln. Generika sind fixer Bestandteil
im Innovationszyklus von Arzneimitteln. Die frei werdenden Mittel kommen den
Patienten zugute und machen nachrückende Innovationen leistbar. Generika sind
Wegbereiter für Innovationen, keine Konkurrenz, und somit unverzichtbarer
Bestandteil des Gesundheitssystems.
Anzumerken sind hierbei die seit 1.1.2005 geltenden Markteintrittsbedingungen
für Generika: Neu auf dem Markt kommende Generika müssen für bis zu 6 Monate in
die Red Box und sind somit chefärztlich zu genehmigen. Das neue
Aufnahmeverfahren in den Erstattungskodex verhindert, dass neue Generika
unmittelbar nach Patentablauf zur Verfügung stehen können. Der Kostenvorteil
kann in dieser Zeit nicht genutzt werden und geht zu Lasten der
Beitragszahler.
Konsument: Gibt es von wirtschaftlichen Gründen
abgesehen weitere Argumente, die für einen vermehrten Einsatz von Generika
sprechen?
Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit
Andiel: Neben Wirksamkeit und Qualität ist die Sicherheit das wichtigste
Kriterium bei der Auswahl eines Medikaments. Generika kommen erst einige Jahre
nach den Ursprungs-Arzneien auf den Markt. Deshalb enthalten sie auch nur
bestens bekannte Wirkstoffe, deren Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen genau
dokumentiert sind. Weiterentwicklungen in der Galenik tragen zur Verbesserung
der Verträglichkeit bei und/oder erleichtern die Einnahme.
Konsument: Könnte ein verstärkter Einsatz von
Generika die Gesundheitskosten tatsächlich markant senken? Wie hoch ist Ihrer
Ansicht nach das Sparpotenzial?
100 Millionen Euro
Andiel: Schätzungen des Hauptverbandes der österreichischen
Sozialversicherungsträger zufolge können mithilfe von Generika mindestens 100
Millionen Euro eingespart werden. Die Burgenländische Gebietskrankenkasse
errechnete allein für die vier Substanzklassen SSRI (zur Behandlung von
Depressionen), ACE-Hemmer (zur Behandlung von Bluthochdruck),
Protonenpumpenhemmer (zur Behandlung von säurebedingten Magenerkrankungen) und
Lipidsenker (zur Senkung erhöhter Blutfette) ein jährliches Einsparpotenzial von
über 120 Millionen Euro. Dies entspricht der gesamten Aufwandssteigerung im
Heilmittelbereich in Österreich.
Konsument: Gibt es dazu konkrete Beispiel aus der Praxis?
Weniger Kosten
Andiel: Seit generische ACE-Hemmer zur Behandlung von Bluthochdruck zur
Verfügung stehen, sind die Behandlungskosten um 35 Prozent gesunken, während
gleichzeitig ein Fünftel mehr Patienten behandelt wurden. Noch deutlicher fällt
der Vorteil für Patienten beim Cholesterinsenker Simvastatin aus: Innerhalb von
drei Jahren konnten fast doppelt so viele Patienten bei einem Fünftel weniger
Kosten behandelt werden. Damit konnte eindeutig eine Verbesserung der
Versorgungsqualität gewährleistet werden.
Konsument: Ein Generikum ist in den seltensten Fällen eine identische Kopie
des Originalpräparates (Hilfsstoffe, Galenik): Gibt es auch Risiken beim Einsatz
von Generika und welche?
Modernere Rezepturen
Andiel: Jeder Arzneimittel-Einsatz birgt das Risiko des Auftretens von
Nebenwirkungen. Generika enthalten jedoch sehr gut bekannte und dokumentierte
Wirkstoffe. Mit dem überraschenden Auftreten neuer, bisher nicht bekannter
Nebenwirkungen ist daher nicht zu rechnen. Die galenische Zubereitung (Rezeptur)
und die Zusammensetzung der Hilfsstoffe kann vom Referenzpräparat abweichen.
Allerdings fließen in die Entwicklung von Generika die Fortschritte der
pharmazeutischen Technologie ein, sodass Generika durchaus modernere und
nebenwirkungsärmere Rezepturen aufweisen können. Dies betrifft vor allem
allergisierende Inhaltstoffe, die bei Generika in vielen Fällen bereits
vermieden werden können.
Konsument: Wie stehen Sie zu der immer
wiederkehrenden Kritik, Generika seien eben nicht identisch mit dem Original und
könnten sich in der Therapie nachteilig auswirken?
Griff in die Trickliste
Andiel: In den vergangenen Jahren konnten Erstanbieter auch nach Patentablauf
darauf vertrauen, weiterhin hohe Umsätze zu erzielen. Inzwischen ist das nicht
mehr so einfach. Die Krankenkassen setzen verstärkt auf Generika, um den Anstieg
der Arzneimittelkosten in den Griff zu bekommen. Da
medizinisch-wissenschaftliche Argumente gegen den Einsatz von Generika fehlen,
greifen immer mehr Erstanbieter in die Trickkiste. Gezielte Kampagnen sollen
Ärzte verunsichern, um Marktanteile zu halten. Und das mit Erfolg: Der
patentfreie Markt wird nach wie vor von teuren Arzneimitteln dominiert, obwohl
es bereits preiswerte Alternativen dazu gibt.
Geförderte
Meinungsbildung, Telefonaktionen und gezielte Fehlinformationen scheinen
mittlerweile zum Standardrepertoire einiger Unternehmen zu gehören. Erklärtes
Ziel dieser Aktionen ist es, Zweifel an der Qualität und Wirksamkeit von
Nachfolgepräparaten zu schüren. Unterschiedliche Zusammensetzung, angebliche
Patentverletzungen und zu geringe Preisunterschiede sind die vermeintlichen,
aber nicht haltbaren Argumente. Damit wird versucht, das Verschreibungsverhalten
der Ärzte zugunsten teurer Präparate zu beeinflussen. In der Vergangenheit
drohte ein Unternehmen Ärzten sogar mit Schadenersatzforderungen, wenn sie ein
bestimmtes Generikum verschreiben würden. Als Grund wurde eine angebliche
Patentverletzung angeführt. Das Generika-Unternehmen hat diese
Auseinandersetzung in letzter Instanz übrigens gewonnen.
Das Österreichische Arzneimittelgesetz ist eines der strengsten der Welt.
Generika werden von Experten in Österreich doppelt geprüft. Für die Arzneimittel
von Erstanbietern und Generika gelten dieselben Qualitätskriterien bei der
Zulassung. Eine fachkundige und wertfreie Auskunft ist nur bei den
entsprechenden Zulassungsbehörden erhältlich; nicht jedoch bei der
Konkurrenz.
Konsument: Wie erklären Sie sich dann, dass Generika immer wieder in die
Schlagzeilen geraten? Ein Beispiel aus jüngerer Zeit sind etwa
Opioid-Schmerzpflaster. Mediziner sehen trotz Wirkstoffgleichheit erhebliche
Unterschiede zwischen Original und Generikum.
Entbehrliche Diskussion
Andiel: Der Originalhersteller wies beim Wechsel seines eigenen transdermalen
Pflastersystems von Depot- auf Matrixsystem auf die Bioäquivalenz zwischen
beiden Darreichungsformen hin. Die verfügbaren Generika haben grundsätzlich das
gleiche Nachweisverfahren äquivalenter Wirkung zu verwenden. Die Diskussion ist
also entbehrlich und dient lediglich der Verunsicherung der Verordner.
Konsument: Ist es richtig, dass auch Generika auf dem Markt sind, die mit dem
Originalpräparat identisch sind, weil sie vom Originalhersteller selbst
beziehungsweise einer Tochterfirma des Originalherstellers wie das Original
produziert werden? Können Ärzte oder Patienten ersehen, inwieweit ein Generikum
identisch mit dem Original ist?
Gleichheit nicht entscheidend
Andiel: In Einzelfällen kommen Generika aus der gleichen Produktionsserie wie
die Originalpräparate. Ärzte können unter Umständen durch Vergleich der Austria
Codex Fachinformationen diese Identität mit dem Erstanbieterprodukt erkennen.
Für den Patienten ist dies grundsätzlich mit den ihm zur Verfügung stehenden
Informationen nicht möglich.
Die Gleichheit ist aber nicht der entscheidende Faktor für die Sicherheit
eines Generikums. Grundsätzlich ist die therapeutische Identität in Wirkung und
Verträglichkeit durch den Nachweis der Bioäquivalenz gegeben und seitens der
Behörden umfassend geprüft. Ärzte und Patienten können daher getrost auf
Generika vertrauen und tun dies auch in stetig zunehmendem Maße. Nicht umsonst
beträgt der Generika-Anteil bei Verordnungen in anderen Ländern, zum Beispiel
Deutschland, über 50 Prozent.