Wir gebrauchen heute das Wort Depression für alle möglichen Formen von „Verstimmung“. Und übersehen dabei leicht, dass es sich hier um eine der schlimmsten Krankheiten überhaupt handeln kann, die durch absolutes Nicht-weiter-Wissen gekennzeichnet ist. Oft genug erscheint in diesem Fall der Suizid als einziger Ausweg.
„Ich habe Krebs.“ Ein Mensch mit dieser Krankheit kann sich der Anteilnahme seiner Umgebung sicher sein. Denn Krebs, das weiß jeder, ist eine sehr ernste Sache. „Ich habe eine Depression.“ Wer das sagt, erntet oft genug bei Freunden und Angehörigen nur ein bedauerndes Nicken. Denn: Wer kennt nicht das Gefühl von Niedergeschlagenheit? Das überkommt doch alle von Zeit zu Zeit! Selbst die Wirtschaft kann, wie wir gerade in diesen Tagen immer wieder hören, eine Depression erleiden.
Depression – ein Allerweltsphänomen?
So wird das Leiden heute gern gesehen. Ein Grund liegt vor allem darin, dass wir das Wort inzwischen für alle möglichen Formen von Unpässlichkeit und Verstimmung gebrauchen. Und nicht nur im Alltag geschieht das, sondern mehr und mehr auch in den Arztpraxen. Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie der Universität Leipzig, macht unter seinen Medizinerkollegen die Tendenz aus, „eine unscharfe und eher zu breite Diagnose zugrunde zu legen“.
Unscharfe Diagnose
Bei einem Beinbruch ist die Sache klar. Den hat man oder man hat ihn nicht. Eine Depression hingegen ist ungleich schwerer zu diagnostizieren. Es kann keine scharfe Trennlinie gezogen werden, wann dieses Gefühl des Niedergedrücktseins (deprimere = lat.: niederdrücken) noch einem ganz normalen Stimmungstief entspricht und wann es bereits Krankheitscharakter hat. Es gibt vielmehr fließende Übergänge – dazu kommt, dass Verstimmungen, die früher als natürliche Reaktion auf die Wechselfälle des Lebens betrachtet wurden, heute bereits als Krankheiten gelten.