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Schriftzug Inflation und mehrere Prozentwerte
Bild: Westlight/Shutterstock

Wirtschaftsbegriffe: Gefühlte Inflation - Das Gefühl täuscht nicht

Warum die offiziell ermittelte und die persönlich "gefühlte" Inflation oft auseinanderklaffen und wie sich das Missverhältnis beheben ließe.

Ob Euro oder Dollar, Münzen oder Scheine – nichts davon ist auf Dauer beständig, denn Geld verliert konstant an Wert. Warum das so ist und wie der Kaufkraftverlust ermittelt wird, haben wir inWirtschaftsbegriffe: Inflation - Unterschiedliche Auswirkungen beschrieben.

Preise für Grundbedürfnisse stark gestiegen

Zuletzt, im Jahr 2015, wies Österreich mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 0,9 Prozent allerdings eine der niedrigsten Teuerungsraten der vergangenen Jahre auf: Vor allem aufgrund stark gesunkener Rohölpreise blieb den Österreichern an den Zapfsäulen mehr Geld im Börsel.

Doch was hatten Wenig­fahrer und Nicht-Auto-Besitzer davon? Und warum haben viele Verbraucher trotz ­offiziell niedriger Inflation das Gefühl, dass die Preise vor allem bei den Grundbedürfnissen Wohnen und Lebensmittel in den vergangenen Jahren überproportional stark ange­stiegen sind?

VPI: Alle über einen Kamm geschoren

Das werde durch andere Posten in der ­Statistik wieder ausgeglichen, ist auf diese Frage oft zu hören, insgesamt sei die durchschnittliche Inflationsrate nach dem VPI durchaus ein allgemeingültiger Wert, der – mit geringen individuellen Abweichungen – auf jeden zutreffe.

Einer wirtschaftswissenschaftlichen Überprüfung hält diese Erklärung jedoch nicht stand, wie etwa Jürgen Huber, Finanz­experte und Professor an der Universität Innsbruck, ausführt (siehe Interview). Im sogenannten Warenkorb des VPI befinden sich zwar rund 800 Positionen, was sicher eine gewisse Breitenwirksamkeit gewährleistet.

Wesentliche Ausgaben nicht berücksichtigt

Manche wesentliche Ausgaben sind aber gar nicht berücksichtigt, zum Beispiel der gesamte Bereich des Wohneigentums, der in den vergangenen Jahren von exorbitanten Preissteigerungen betroffen war. Kredit­kosten dagegen sind sehr wohl enthalten – diese wiederum sind durch das niedrige Zinsniveau massiv gesunken.

Ein Index für alle Einkommensklassen

Ein Index für alle Einkommensklassen

Anlass für Kritik bietet aber vor allem die Tatsache, dass es nur einen Verbraucherpreisindex für alle Einkommensklassen gibt. Dabei unterscheiden sich die Ausgaben­muster einkommensschwacher und einkommens­starker Gruppen dramatisch.

Starke Unterschiede bei Miete und Nahrung

So verschlingen die Mietkosten bei einkommensschwachen Haushalten oft 40 % von Lohn oder Gehalt, auf Lebensmittel entfallen weitere 30 %. Bei vermögenden Personen hingegen beläuft sich der Posten "Miete" oft auf null, da sie im Eigentum wohnen, und für Lebensmittel werden in Relation zum hohen Einkommen nur bis zu 10 % aufgewendet.

Beispiel: Fließen bei einem Einkommen von 1.500 Euro netto 600 Euro in die Miete und 400 Euro in Lebensmittel, sind das rund 67 % der Ausgaben. Bei einem Nettogehalt von 4.000 Euro, einer schuldenfreien Eigentumswohnung und Lebensmittelkosten von 800 Euro liegen die Aufwendungen für die ­Posten "Miete" und "Nahrungsmittel" nur bei 20 %.

Steigen nun – wie in den letzten Jahren – Mieten und Nahrungsmittelpreise überdurchschnittlich stark, so erfasst der VPI dies nicht oder nur ungenügend, denn dort ­werden beispielsweise Mieten nur mit rund 4 % im Gesamtindex gewichtet (siehe Infografik). Die Inflationsrate fällt also insgesamt niedrig aus, obwohl es gerade dort, wo ­weni­ger Begüterte betroffen sind, überdurchschnittlich hohe Preissteigerungen gibt.

Infografik: Der jährliche Kaufkraftverlust wirkt nicht bei jeder Einkommensgruppe gleich stark. Unter der Annahme, dass die Mietpreise im Jahresabstand um 8 %, die Lebensmittelpreise um 6 % und die Preise in allen anderen Bereichen im Schnitt um 1 % gestiegen sind, beträgt die allgemeine Inflation 2,1 %. Die spezifische Inflation für drei Einkommensgruppen fällt sehr unterschiedlich aus: Für die obersten 10 Prozent beträgt sie nur 1,5 %, für die untersten 10 Prozent dagegen 5,3 %, für den breiten Rest sind es 2,8 %.

VPI und Inflation Infografik (Infografik: Doris Seyser)

 

VPI und Inflation Infografik (Infografik: Doris Seyser)

Mit offenen Karten spielen

Der Bauch lügt nicht

Die stark gestiegenen Kosten fürs Wohnen und Essen werden mittlerweile auch in Haushalten mit mittleren Einkommen mehr und mehr zum bestimmenden Ausgabenfaktor und erzeugen daher – trotz im Durchschnitt niedriger Teuerungsrate – in breiten Bevölkerungskreisen das unbestimmte Gefühl, dass die Preise weitaus schneller davon­galoppieren, als der Verbraucherpreisindex vermuten ließe.

Die Statistik zeigt, dass das Bauchgefühl nicht trügt: Eine Berechnung anhand der realen Daten von Jänner 2010 bis Jänner 2014 ergibt für einkommensschwächere Haushalte eine Teuerungsrate von 11,9 %, für die einkommensstärkeren eine Teuerungsrate von nur 5,3 %.

Lohnsteigerungen und Kaufkraftverlust

Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu, lautet eine alte Volksweisheit. Das belegt ein wei­terer Aspekt der unausgewogenen Infla­tionsbelastung: Bei einkommensschwachen Haushalten gleicht die Inflationsanpassung von Lohn oder Gehalt meist gerade den Kaufkraftverlust aus, zum Sparen bleibt ­wenig bis nichts.

Wer überdurchschnittlich hohe Bezüge hat und von der Inflation ­weniger stark betroffen ist, kann hingegen das, was übrig bleibt, in gewinnbringende Geldanlagen stecken und somit einen doppelten Ertragseffekt erzielen. Folge: Die Einkommens­schere geht auf; die Reichen ­werden immer reicher, die Armen immer ärmer – mit allen gesellschaftlichen Folgewirkungen.

Unterteilung in Einkommensgruppen

Abhilfe könnte als erster Schritt eine stärkere Unterteilung des Verbraucherpreisindex in ­unterschiedliche Einkommensgruppen schaffen. Der VPI wurde zu einer Zeit entwickelt, ­ als statistische Berechnungen noch sehr aufwendig waren und Rechenzeit teuer. Mittlerweile ist Rechnerleistung kein (Kosten-)Thema mehr, und mit gutem Willen und überschau­barem Aufwand ließen sich einkommens­spezifische Preisindizes entwickeln.

Mit offenen Karten spielen

Kluge Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft würden die unterschiedlichen Inflations­belastungen bei Verhandlungen berücksich­tigen, weil sie ­wissen, dass ein kontinuier­licher Kaufkraftschwund und eine Verarmung immer größerer Bevölkerungs­teile auch einen Schaden für die gesamte (Volks-)Wirtschaft mit sich bringt: Die Nachfrage sinkt, die Arbeits­losigkeit nimmt zu. Mit offenen Karten (und rea­listischen Inflations­raten) zu spielen, würde sich langfristig für alle Beteiligten rechnen.

Selber vergleichen

Die Statistik Austria bietet online einen Persönlichen Inflationsrechner, bei dem der Warenkorb gemäß der Ausgabenstruktur des eigenen Haushalts umgestellt und die sich daraus ergebende Inflationsrate berechnet werden kann: Persönlicher Inflationsrechner.

Interview: DDr. Jürgen Huber

Jürgen Huber (Bild: Privat)

DDr. Jürgen Huber

Hat der Verbraucherpreisindex generell die Tendenz, die gemessene Inflation nach unten zu korrigieren?
Ja, die Tendenz gibt es. Bei technischen Geräten (z.B. Handys) wird ein Modell – z.B. das iPhone5 – genommen, dessen Preisentwicklung beobachtet und ermittelt, wie dieser Preis sich im Jahresabstand verändert (so zeigte der VPI unter dem Posten "074900 Mobiltelefongerät" 41,4 % Preisreduktion von 2010 bis 2014). Er fällt deutlich, wenn das Nachfolgemodell (iPhone6) auf den Markt kommt.

Doch der VPI berücksichtigt nur den Preisrückgang beim iPhone5, nicht aber, dass Konsumenten nun das iPhone6 kaufen, das zumindest so teuer wie früher das iPhone5 ist. Weiters: Immobilien, die einen substanziellen Anteil an den Gesamtausgaben der Österreicher ausmachen, werden gar nicht berücksichtigt, und da Immobilienpreise in den letzten Jahren klar überdurchschnittlich angestiegen sind, wird auch hier die Inflation unterschätzt.

Warum ist die "gefühlte Inflation" höher als der VPI?
Weil erstens der VPI eher nach unten korrigiert (siehe vorige Frage) und weil viele Dinge, die wir häufig einkaufen – insbesondere Lebensmittel und Dienstleistungen –, deutlich stärker im Preis gestiegen sind als jene, die die Inflation reduzieren, etwa bessere Handys oder niedrigere Kreditraten. Auch medial werden Preisanstiege (z.B. bei Benzin) wesentlich mehr diskutiert als entsprechende Rückgänge.

Welche Auswirkungen sind zu erwarten, wenn Einkommensschwächere eine höhere Teuerungsrate haben?
Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt dadurch weiter zu, was zunehmend zu sozialen Spannungen führen kann.

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