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Schriftzug Inflation und mehrere Prozentwerte
Die Inflationsrate ist eine grobe Richtschnur. Die gefühlte Inflation ist für jede:n anders. Bild: Westlight/Shutterstock

Gefühlte Inflation: Das Gefühl täuscht nicht

Warum die offiziell ermittelte und die persönlich "gefühlte" Inflation oft auseinanderklaffen und wie sich das Missverhältnis beheben ließe.

Ob Euro oder Dollar, Münzen oder Scheine – nichts davon ist auf Dauer beständig, denn Geld verliert konstant an Wert. Abgebildet wird das über die Inflationsrate. De facto ist die Inflationsrate lediglich ein statistisches Messmittel mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Einzelperson. Ermittelt wird sie anhand des Verbraucherpreisindex (VPI). 

Preise für Grundbedürfnisse stark gestiegen

Die enormen Preissteigerungen der vergangenen Monate trieben die Inflation auf einen Maximalwert von 11,2 % im Jahresvergleich (Jänner 2023). Zuletzt lag sie bei 5,4 % (Oktober 2023). 

Betrachtet man die Entwicklung im vergangenen Jahr (Stand August 2023), so entwickelten sich die Preise mitunter sehr unterschiedlich. 

  • Restaurant und Hotel: + 12 %
  • Wohnen, Wasser, Energie: + 10,1 %
  • Nahrungsmittel: + 9,8 %
  • Freizeit und Kultur: + 8,2 %
  • Hausrat und Instandhaltung Haus: + 6,1%
  • Bekleidung: + 6,3 %
  • Verkehr: + 0,2 %

Im Vergleich dazu legte der VPI um 7,4 % zu.

Diese Daten zeigen deutlich, dass die täglichen und lebensnotwendigen Güter stärker steigen als der VPI es vermuten lassen würde. Das bedeutet aber auch, dass einkommensschwächere Haushalte, die im Verhältnis einen höheren Anteil ihres Einkommens für Grundbedürfnisse ausgeben, überdurchschnittlich belastet sind.

VPI: Über einen Kamm geschoren

Das werde durch andere Posten in der Statistik wieder ausgeglichen, ist oft zu hören. Insgesamt sei die durchschnittliche Inflationsrate nach dem VPI durchaus ein allgemeingültiger Wert, der – mit geringen individuellen Abweichungen – auf alle zutreffe.

Einer wirtschaftswissenschaftlichen Überprüfung hält diese Erklärung jedoch nicht stand. 

Im sogenannten Warenkorb des VPI befinden sich zwar rund 800 Positionen, was sicher eine gewisse Breitenwirksamkeit gewährleistet. Manche wesentlichen Ausgaben sind aber gar nicht berücksichtigt, zum Beispiel der gesamte Bereich der Anschaffung von Wohneigentum, der in den vergangenen Jahren von exorbitanten Preissteigerungen betroffen war. Mieten und Instandhaltungskosten allerdings schon. Zinsen und Kreditkosten wiederum nicht, da diese nicht als Konsum angesehen werden, sondern als Finanzierungskosten. Die belastenden steigenden Zinsen sind damit nicht berücksichtigt.

Ein Index für alle Einkommensklassen

Anlass für Kritik bietet aber vor allem die Tatsache, dass es nur einen Verbraucherpreisindex für alle Einkommensklassen gibt. Dabei unterscheiden sich die Ausgabenmuster einkommensschwacher und einkommensstarker Gruppen dramatisch.

So verschlingen die Mietkosten bei einkommensschwachen Haushalten oft 40 % von Lohn oder Gehalt, auf Lebensmittel entfallen weitere 30 %. Bei vermögenden Personen hingegen beläuft sich der Posten Miete oft auf null, da sie im Eigentum wohnen, und für Lebensmittel werden in Relation zum hohen Einkommen nur bis zu 10 % aufgewendet. 

Beispiel: Fließen bei einem Einkommen von 1.500 Euro netto 600 Euro in die Miete und 400 Euro in Lebensmittel, sind das rund 67 % der Ausgaben. Bei einem Nettogehalt von 4.000 Euro, einer schuldenfreien Eigentumswohnung und Lebensmittelkosten von 800 Euro liegen die Aufwendungen für die Posten Miete und Nahrungsmittel nur bei 20 %.

Steigen nun – wie in den letzten Jahren – Mieten und Nahrungsmittelpreise überdurchschnittlich stark, so erfasst der VPI dies nicht oder nur ungenügend, denn dort werden beispielsweise Mieten nur mit rund 4 % im Gesamtindex gewichtet. Die Inflationsrate fällt also insgesamt niedrig aus, obwohl es gerade dort, wo weniger Begüterte betroffen sind, überdurchschnittlich hohe Preissteigerungen gibt.

Der Bauch lügt nicht

Das Momentum Institut, eine gewerkschaftsnahe Denkfabrik, hat berechnet: Je höher das Einkommen, desto niedriger die Teuerung. So litt im Jahr 2022 das einkommensschwächste Fünftel in Österreich unter einer Inflation von 11,8 %. Das einkommensstärkste Fünftel musste hingegen „nur“ 10,7 % Inflation verkraften.

Erschwerend kommt hinzu, dass die unteren Einkommensgruppen nicht sparen können, indem sie auf Konsum verzichten, da hauptsächlich lebensnotwendige Ausgaben getätigt werden. Die Inflation trifft sie daher in vollem Umfang. Einkommensstärkere Gruppen können durch Konsumvermeidung die Inflation zumindest teilweise abfedern.

Ärmere Haushalte geben mehr für die Deckung der Grundbedürfnisse aus

2 Balkendiagramme. Die Kernbotschaft: Ärmere Haushalte geben mehr für die Deckung der Grundbedürfnisse aus. Der Anteil der Grundbedürfnisse an den Konsumausgaben, also Energie, Lebensmittel und Wohnen, beträgt beim unteren Einkommensfünftel (linkes Diagramm) 47 %, beim oberen Einkommensfünftel (rechtes Diagramm) nur 27 %.
Anteil der Grundbedürfnisse (Wohnen, Lebensmittel, Energie) an den Konsumausgaben: Beim unteren Einkommensfünftel ist der Anteil 47 %, beim oberen Einkommensfünftel nur 27 %. Bild: Quelle - Momentum Institut

Die Einkommensschere geht auf

Ein weiterer Aspekt der unausgewogenen Inflationsbelastung: Bei einkommensschwachen Haushalten gleicht die Inflationsanpassung von Lohn oder Gehalt meist nicht einmal den Kaufkraftverlust aus, zum Sparen bleibt wenig bis nichts.

Wer überdurchschnittlich hohe Bezüge hat und von der Inflation weniger stark betroffen ist, kann hingegen das, was übrig bleibt, in gewinnbringende Geldanlagen stecken und somit einen doppelten Ertragseffekt erzielen. Folge: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer – mit allen gesellschaftlichen Folgewirkungen.

Diese Verteilung von Arm zu Reich verstärkt sich in Zeiten steigender Zinsen. Derzeit profitieren vermögende Anleger:innen von steigenden Zinserträgen, während einkommensschwächere Gruppen ihre Rücklagen auflösen müssen und weniger erhalten als zuvor.

Unterteilung in Einkommensgruppen

Abhilfe könnte als erster Schritt eine stärkere Unterteilung des Verbraucherpreisindex in unterschiedliche Einkommensgruppen schaffen. Der VPI wurde zu einer Zeit entwickelt, als statistische Berechnungen noch sehr aufwendig waren und Rechenzeit teuer. Mittlerweile ist Rechnerleistung kein (Kosten-)Thema mehr und mit gutem Willen und überschaubarem Aufwand ließen sich einkommensspezifische Preisindizes entwickeln.

Kluge Entscheidungsträger:innen in Politik und Wirtschaft würden die unterschiedlichen Inflationsbelastungen bei Verhandlungen berücksichtigen, weil sie wissen, dass ein kontinuierlicher Kaufkraftschwund und eine Verarmung immer größerer Bevölkerungsteile auch einen Schaden für die gesamte (Volks-)Wirtschaft mit sich bringen: Die Nachfrage sinkt, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Mit offenen Karten (und realistischen Inflationsraten) zu spielen, würde sich langfristig für alle Beteiligten rechnen.

Sind Zuschüsse die Lösung?

Österreich hat bei der Inflationsbekämpfung in den vergangenen Monaten den Weg gewählt, Zuschüsse und Boni zu gewähren (z. B. Stromkostenbremse, Energiekostenausgleich, Anti-Teuerungs-Bonus, etc). Eingriffe in den Markt wurden weitestgehend vermieden. Das hat zwar dazu geführt, dass der:die Einzelne durchaus entlastet wurde, die Kaufkraft (teilweise) erhalten blieb. Allerdings half das den Menschen nur einmalig. Wirklich langfristig wirkt diese Strategie nicht. Sie packt das Problem nicht an der Wurzel, die Preisanstiege werden dadurch nicht gedämpft. 

Die Inflation hat sich als hartnäckiger erwiesen als bisweilen vermutet. Die Ausschüttungen vom Staat führen tendenziell dazu, die Preise weiter anzuheizen. Hier ist zumindest eine Prüfung der Preisentwicklung erforderlich.

Illustration: Mann mit Pfeil und Bogen, der Bogen ist nach oben in den Himmel gerichtet. Der Pfeil hat die Form eines Prozent-Zeichens.
Wenn einem der Bauch sagt, dass die Inflation nur eine Richtung kennt. Bild: eamesBot/Shutterstock

Das Problem des Preisautomatismus

Langfristige Verträge (z. B. Miete, Strom, Mobilfunk, Konto etc.) enthalten häufig Automatismen, die greifen, wenn sich vorher definierte Rahmenbedingungen ändern oder Schwellenwerte überschritten werden. Man spricht von Preisanpassungsklauseln, die in den AGB verankert sind. Diese Klauseln sind in der Regel an den VPI gekoppelt und ziehen die Preise automatisch nach oben. Es ist natürlich verständlich, dass Preise und Gebühren bei langfristigen Verträgen einer Anpassung unterliegen müssen. Bezweifelt werden darf dabei aber, dass der VPI als Pauschallösung die beste Wahl ist.

Beispiel: Mieten

Warum? Nehmen wir als Beispiel die Mieten. Diese werden entsprechend dem VPI angepasst. Steigt er um mehr als x Prozent, steigt auch die Miete um x Prozent. Aber es gibt unzählige Parameter, die in die Berechnung des VPI einfließen, die für die Preisgestaltung eines Mietvertrages komplett unerheblich sind. Zum Beispiel die Kategorien Restaurant und Hotel. Oder Nahrungsmittel. Oder Freizeit und Kultur. Diese zogen die Inflation zuletzt nach oben. Und führten auch dazu, dass Mieten indexbasiert angepasst wurden. Die Mieten steigen – zumindest in den letzten Jahren – dadurch stärker als die Kosten für die Instandhaltung der Häuser. 

Selbst vergleichen

Die Statistik Austria bietet online einen persönlichen Inflationsrechner, bei dem der Warenkorb gemäß der Ausgabenstruktur des eigenen Haushalts umgestellt und die sich daraus ergebende Inflationsrate berechnet werden kann. 

Leider ist es nur bedingt möglich, darauf zu reagieren. Konsumverzicht und Kontrolle der eigenen Ausgaben sind das naheliegendste Mittel. Solange man noch Reserven hat, kann man auch investieren, um zu sparen. Ist zum Beispiel die Haushaltsenergie ein Kostentreiber, könnte man mit der Anschaffung einer Photovoltaikanlage für Balkon oder Dach gegensteuern. 

Leider sind die Spielräume oft nicht groß. Gerade einkommensschwache Haushalte haben wenig Verzichts- oder Investitionsmöglichkeiten. Hier sind gesellschaftspolitische Lösungen gefragt.

Interview mit Prof. Jürgen Huber

Univ. Prof. DDr. Jürgen Huber
Univ. Prof. DDr. Jürgen Huber, Institut für Banken und Finanzen, Universität Innsbruck Bild: Beigestellt

Herr Professor Huber, hat der Verbraucherpreisindex generell die Tendenz, die gemessene Inflation nach unten zu korrigieren?
Ja, die Tendenz gibt es. Bei technischen Geräten, wie z.B. Handys, wird ein Modell genommen, dessen Preisentwicklung beobachtet und ermittelt, wie dieser Preis sich im Jahresabstand verändert.  So zeigte der VPI unter dem Posten "074900 Mobiltelefongerät" regelmäßig eine deutliche Preisreduktion von im Durchschnitt rund 10 % pro Jahr. Nehmen wir z.B. das iPhone13. Dessen Preis fällt deutlich, wenn das Nachfolgemodell auf den Markt kommt. Doch der VPI berücksichtigt nur den Preisrückgang beim iPhone13. Nicht aber, dass Konsument:innen nun das iPhone14 kaufen, das zumindest so teuer wie früher das iPhone13 ist - womit die Inflation niedriger wirkt. 

Können Sie noch ein anderes Beispiel nennen?
Immobilien, die einen substanziellen Anteil an den Gesamtausgaben der Österreicher ausmachen, werden gar nicht berücksichtigt. Und da Immobilienpreise in den vergangenen Jahren klar überdurchschnittlich angestiegen sind, 2023 wohl erstmals nicht, wird auch hier die Inflation unterschätzt.

Warum ist die "gefühlte Inflation" höher als der VPI?
Weil erstens der VPI eher nach unten korrigiert  – siehe vorige Frage. Und weil viele Dinge, die wir häufig einkaufen, insbesondere Lebensmittel und Dienstleistungen, deutlich stärker im Preis gestiegen sind als jene, die die Inflation reduzieren, etwa bessere Handys oder Computer. Auch medial werden Preisanstiege wesentlich mehr diskutiert als entsprechende Rückgänge – z.B. bei Benzin. 

Welche Auswirkungen sind zu erwarten, wenn Einkommensschwächere eine höhere Teuerungsrate haben?
Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt dadurch weiter zu, was zunehmend zu sozialen Spannungen führen kann.

Haben Sie einen Lösungsansatz?
Was benötigt wird, ist eine starke Stimme, die direkt bei der Statistik Austria, oder aber bei der Politik, einkommensspezifische Preisindizes einfordert. Dies verursacht gewisse, überschaubare Kosten, doch wäre dieses Geld sehr gut investiert.

Was kann man als Einzelne:r gegen Inflation tun bzw. wie kann man die persönliche Inflation vermindern?
Dazu gibt es verschiedene Ansätze auf verschiedenen Ebenen. Letztlich ist das Problem bei der Inflation der drohende Verlust realer Kaufkraft. Dieser kann vermieden werden, wenn auch die Löhne und Gehälter mit der Inflationsrate steigen. Ein Weg zur Verminderung von Inflationsverlusten ist also das Ausverhandeln ausreichend hoher Lohnsteigerungen – doch wird das nicht immer möglich sein.
Auf der Ausgabenseite gilt es bewusst zu schauen, wo man sich beispielsweise durch Rabattaktionen (1+1 gratis, etc). im Einkauf einiges sparen kann. Auch der Wechsel von Strom- und Gasanbieter kann oft zu erheblichen Ersparnissen führen. 
Sollte man Geld am Sparbuch haben, so ist auch dieses negativ von Inflation betroffen. 2 % Zinsen bei 10 % Inflation bedeutet  8 % realen Verlust. Ich selbst vermeide solche Verluste durch die Veranlagung in ein breit gestreutes Portfolio aus Aktien mittels ETFs (Exchange Traded Funds). Solche kostengünstigen Produkte (Gesamtkosten unter 0,3 % pro Jahr) gibt es bei jeder Bank. Und sie schützen meist sehr gut vor Kaufkraftverlusten durch Inflation.

Zusammensetzung des VPI

Grob lässt sich der VPI in folgende Kategorien mit der jeweiligen prozentuellen Gewichtung gliedern (in Klammern die Anzahl der beinhalteten Positionen):

Wohnung, Wasser, Energie: 19,22 (46)

Verkehr: 13,42 (179)

Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke: 11,51 (130)

Freizeit und Kultur: 11,13 (91)

Restaurants und Hotels: 13,04 (50)

Hausrat und Instandhaltung: 6,59 (67)

Bekleidung und Schuhe: 4,60 (54)

Gesundheitspflege: 5,49 (35)

Alkoholische Getränke und Tabak: 3,39 (12)

Post und Telefon: 1,86 (8)

Erziehung und Unterricht: 0,97 (14)

Verschiedenes: 8,78 (71)

Zusammensetzung des Mikrowarenkorbs

Index für den kleinen täglichen Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Getränken, Zeitungen und zum Beispiel einer Melange im Kaffeehaus.

Links Indexposition, rechts %-Anteil im Mikrowarenkorb

Spezialbrot: 3,46

Gebäck: 5,89

Pizza, tiefgekühlt: 1,94

Topfengolatsche: 2,83

Putenbrustfleisch: 3,07

Schinken vom Schwein: 6,22

Milch: 6,57

Fruchtjoghurt: 2,41

Gouda: 4,37

Butter: 4,33

Äpfel: 3,05

Tomaten: 5,25

Kartoffeln: 3,49

Vollmilchschokolade: 3,10

Mineral-, Tafelwasser: 3,78

Orangensaft: 3,03

Flaschenbier: 9,38

Belegtes Gebäck: 4,81

Tageszeitungen: 11,05
(10 Positionen)

Melange im Kaffeehaus: 11,97

Gesamt: 100 %

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