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Heimverträge - Undurchsichtig

Intransparente und gesetzeswidrige Klauseln in den Verträgen lassen den Aufenthalt im Alten- und Pflegeheim für viele Bewohner zum finanziell unkalkulierbaren Risiko werden.

210 Euro Taschengeld

Roswitha T. (Name von der Redaktion geändert) lebt zu Hause und kann sich gut selbst versorgen. Das ändert sich, als die ­78-Jährige einen Schlaganfall erleidet. Nach der Ent­lassung aus dem Spital und der nachfolgenden Rehabilitation bleibt die alleinstehende Frau auf Betreuung angewiesen, ein Umzug ins Pflegeheim ist unvermeidlich. Da ihre Mindest­pension zur Deckung der Kosten nicht ausreicht, wird die Differenz vom Sozial­hilfeträger übernommen. Der Pensionistin bleiben 165,60 Euro Pensionstaschengeld plus 44,30 Euro Pflegegeldtaschengeld, ­insgesamt 210 Euro im Monat. Genug, um sich einmal monatlich die Haare machen zu ­lassen, Zeitschriften, Kleidung und Artikel für den persönlichen Bedarf zu kaufen.

Alte Leistung, neue Kosten

­Damit ist es vorbei, als Frau T. für Heimleistungen zur Kasse gebeten wird, für die sie in einem anderen Heim nichts zuzahlen müsste – für das Waschen ihrer Kleidungsstücke, für Hygiene­artikel. Die Pensionistin erkundigt sich bei der Heimleitung. Man verweist auf Vereinbarungen zwischen dem Pflegeheimträger und dem Land, die eine derartige Verrechnung zulassen.

Kaum korrekte Verträge

Für Ilse Zapletal vom Verein Vertretungsnetz – Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung ist das eingangs geschilderte Vor­gehen der Heimleitung alles andere als zulässig: „Wäscheversorgung oder Bereitstellung von ­Toilette- und Hygiene­artikel stellen ­Leistungen der Grundver­sorgung dar und dürfen nicht gesondert verrechnet werden. Ansonsten ­würden ­diese Leistungen ­doppelt bezahlt werden, von Frau T. und vom Land."

Leider seien derartige Fälle eher Norm als Ausnahme: "Ich möchte behaupten, dass sich seit der Überprüfung von Heimver­trägen durch den Verein für Konsumenten­information im Jahr 2007 (Altenheime - Marktübersicht - Manches bleibt tabu) nichts verändert hat. Kaum ein Heimvertrag entspricht dem Gesetz.

Mit Kündigung gedroht

Die Klauseln, auf die sich die Betreiber bei ­Entgelterhöhungen immer wieder berufen, sind intransparent und daher gesetz­widrig“, sagt Zapletal. Einsicht in die Vereinbarungen, die Heimbetreiber mit dem jeweiligen Bundesland als Sozialhilfeträger treffen, gibt es nicht. „Wir haben in Wien erst vor Kurzem ein diesbezügliches Auskunfts­ersuchen gestellt, dieses wurde vom Land zurückgewiesen. Jetzt wird vom Gericht geprüft, ob das zulässig ist.“

Mit Kündigung gedroht oder ...

Veränderte Rahmenbedingungen mit dem Bundesland würden von Heimträgern häufig als Grund genannt, wenn es darum gehe, Kosten auf die Heimbewohner abzuwälzen, beanstandet die Juristin. Beispiel Kärnten: Hier wurden Einbettzimmer bis Mitte 2011 zur Gänze vom Sozialhilfeträger finanziert. Als das Land nicht mehr für die Kosten aufkam, wurde den Bewohnern ein Einbettzimmer­zuschlag aufgebürdet, den sie aus der eigenen Tasche zu bezahlen hatten.

...  mit Verlegung ins Mehrbettzimmer

"Das Vor­gehen ist mehr als zweifelhaft, da keine ­vertragliche Grundlage dafür vorlag“, sagt Zapletal. Als sich die Sachwalter für ihre ­Klienten zur Wehr setzten, drohten die Anwälte der Heimträger den betroffenen Bewohnern mit Kündigung ­beziehungsweise Verlegungen in Mehrbettzimmer.

Providentia: hohe Nebenkosten und Erhöhung "nach Bedarf"

Explodierende Nebenkosten

Wer im Heim ein Einzelzimmer bevorzugt, muss sich ohnehin auf einige finanzielle ­Be­lastungen gefasst machen. Im Sozialwerk Providentia e.V., Seniorenwohn- und Pflegeheim in Klagenfurt etwa sieht der Pflegevertrag einen pauschalen Zuschlag von 260 ­Euro im Monat vor. Dazu kommt eine ­zwingend abzuschließende Haftpflichtver­sicherung in Höhe von monatlich 55 Euro. Im Doppel­zimmer kostet sie nur die Hälfte. Bei Einnahme des Mittagessens und der Nachmittagsjause im Zimmer ist ein Zuschlag von 1,50 Euro pro Tag zu berappen.

Erhöhung "nach Bedarf"

Für die Bereit­stellung und Organisation von "umfang­reichen besonderen Betreuungsleistungen“ wie Gedächtnistraining, Seniorentanz, Sing- und Vorlesestunden etc. wird ein Pauschalbetrag von 30 Euro monatlich fällig. "Für ­Leistungen der Mitarbeiter des Hauses für besondere persönliche Wünsche“ verrechnet Providentia einen Stundensatz in Höhe von 30 Euro. ­Unterm Strich können damit zusätzliche ­Kosten von über 400 Euro im ­Monat anfallen. Der Heimträger nimmt darüber ­hinaus für sich in Anspruch, die Kosten für die im Vertrag nur beispielhaft aufgezählten Zusatz­leistungen "nach Bedarf“ anzupassen.

Garantie durch Angehörige

Garantieerklärungen

Manchmal genügt den Heimträgern die Verpflichtung des Heimbewohners und des Sozial­hilfeträgers nicht. In Niederösterreich fordert die Caritas der Erzdiözese Wien gemein­nützige GmbH noch zusätzlich von Dritten, insbesondere von Angehörigen, Garantie­erklärungen für "die Einhaltung ­aller finanzieller Verpflichtungen aus dem bestehenden Heimvertrag".

Fernseher oder Rasierapparat

Das Verlangen, sich abzusichern, geht beim Wiener Krankenanstaltenverbund so weit, dass die Inbetriebnahme von "privaten Elektrogeräten" nur dann bewilligt wird, wenn eine Verpflichtungserklärung, "jede wie immer geartete Haftung für Schäden an Personen oder ­Sachen, die mit der Inbetriebnahme dieses Elektrogerätes in Zusammenhang stehen, zu übernehmen und die Stadt Wien diesbezüglich schad- und klaglos zu halten“, unterzeichnet wird. Wird diese Erklärung nicht unterschrieben, darf der neue Fernseher oder der elektrische Rasierapparat nicht verwendet werden, berichtet Ilse Zapletal.

Pauschale Zusatzleistungen

Pauschale Zusatzleistungen

Ulrike Docekal vom Verein für Konsumenteninformation geht gegen gesetzeswidrige Klauseln in Heimverträgen juristisch vor. In Kärnten etwa reichte der VKI Klage gegen die Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärnten (AVS) ein. Diese hatte binnen weniger ­Monate nicht nur zweimal das Entgelt ­erhöht, sondern verlangte plötzlich auch eine zehnprozentige Umsatzsteuer von den Bewohne­r­innen und Bewohnern ihrer Heime. Als Begründung gab die AVS an, dass sie neuerdings Umsatzsteuer zu entrichten habe.

Gemeinnützigkeit aberkannt

Eine Nachfrage ergab, dass der AVS nach einer Betriebsprüfung die Gemeinnützigkeit aberkannt worden war. Der Versuch, sich an den Bewohnern schadlos zu halten, ist für Ulrike Docekal klar unrechtmäßig. In Wien klagte der VKI die Lebenshilfe, weil diese über Jahre pro Bewohner und Monat für "Zusatzleistungen des Gesamtpaketes“ pauschal 280 Euro in Rechnung stellte. "Das ist unzulässig, denn aus dem Vertrag geht nicht hervor, aus ­welchen Leistungen sich das Gesamtpaket überhaupt zusammensetzt“, sagt Docekal.

Lebenshilfe Tirol: kein Vertrag

Vertrag verpflichtend

Intransparente Vertragsklauseln sind ein Weg, Kasse zu machen; ein anderer besteht darin, gleich völlig auf schriftliche Verträge zu verzichten. So geschehen bei der Lebenshilfe Tirol. Auch dagegen ging der VKI im Auftrag des Sozialministeriums mit einer Verbandsklage vor und bekam inzwischen bereits in zweiter Instanz vor dem Ober­landesgericht Innsbruck (OLG) recht. Das OLG stellte in seinem Urteil fest (zu Redaktionsschluss noch nicht rechtskräftig), dass die Lebenshilfe zur Errichtung von schrift­lichen Heimverträgen verpflichtet ist. Den Heimbewohnern bzw. deren Vertretern muss eine Abschrift der Vertragsurkunde ausgefolgt werden.

Besonderer Schutz

Auch wenn die Gerichte dem VKI weit­gehend recht geben, stoßen Klagen gegen Hilfs­organisationen nicht immer auf Verständnis. „Aber gerade Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, die sich selbst meis­tens nicht wehren können, benötigen einen besonderen Schutz“, sagt Ulrike ­Docekal. Die Juristin kann nicht nachvoll­ziehen, dass man Banken und Ver­sicherungen ­wegen ihrer Geschäftspraktiken genaues-tens beob­achtet, bei Heim­trägern jedoch gern beide Augen zudrückt.

Bei neuen Zusatzleistungen findig

Verträge sind einzuhalten

Ilse Zapletal erkennt System im Vorgehen der Heimbetreiber: „Früher war es Haltung der Heimträger, mit der öffentlichen Förderung das Auslangen zu finden. Es wurde respektiert, dass das gesetzlich vorgesehene Taschen­geld dem Heimbewohner zur freien Verfügung bleibt. Heute müssen Heimbewohner für viele Leistungen extra zahlen, dadurch hat sich ihre finanzielle Situation deutlich verschlechtert.“ Was die Juristin vom Vertretungsnetz besonders ärgert: ­"Einige Heimträger sind sehr findig darin, Zusatzleistungen zu erfinden, und kalkulieren offenbar damit, dass die Bewohner sich nicht trauen, zu widersprechen.“

Länder sollen kontrollieren

Für Ilse Zapletal hat im Pflegeheim dasselbe wie im Wirtschaftsleben allgemein zu gelten: "Verträge müssen korrekt sein, und geschlossene Verträge müssen eingehalten werden. Am besten wäre es, wenn das jeweilige Bundesland als Sozialhilfeträger für rechtlich einwandfreie Heimverträge vorsorgen und ­deren Einhaltung auch kontrollieren würde.“

Altenheime mit 8,5% Rendite

8,5% Rendite

Die Juristin vom Verein Vertretungsnetz kann dabei nicht so recht nachvollziehen, warum Heimträger so hinter dem Geld ihrer Kunden her sind: "Pflegeheime können kein Verlustgeschäft sein. Jedes Land handelt mit den Trägern einen Tagessatz aus, mit dem die Kosten abgedeckt sind.“

Tatsächlich scheint es dem Heimwesen nicht gar so schlecht zu gehen. In der Steiermark etwa, so berichtete der "Falter" in einem sehr guten Artikel (Falter: Alte als Renditeobjekte ), investierte ein deutscher Renditefonds in mehrere private Pflegeheime und stellt den Anlegern einen durchschnittlichen Vermögenszuwachs von über 8,5 Prozent jährlich in Aussicht. Dass Heimpflege in der Steier­mark zum lukrativen Geschäft werden kann, hat mit einer Finanzierung durch das Land zu tun, die laut Prüfbericht des Landesrechnungshofes aus dem Jahr 2014 "teil­weise nicht nachvollziehbar“ ist.

Steirisches Modell bevorzugt große Träger

Das in der Steiermark praktizierte Modell funktioniert nach dem Gießkannenprinzip, das insbesondere Träger bevorzugt, die mehrere Heime betreiben. So erhält jedes einzelne Heim eine Finanzierung für Management und Ver­waltung zugesprochen, unabhängig davon, ob diese Funktionen auch tatsächlich in ­jedem Pflegeheim besetzt sind. Zentralisiert ein ­Betreiber Management und Verwaltung, ­kassiert er dennoch für jedes Heim extra. Der Landesrechnungshof empfiehlt dem Land, ein neues Finanzierungssystem auf Basis ­realer Zahlen einzuführen.

Zusammenfassung

  • Informationen: Der Heimträger ist verpflichtet, Interessenten auf Verlangen schriftlich alle Informationen über die angebotenen Leistungen auszuhändigen.
  • Vertrag: Aus dem Vertrag muss klar hervorgehen, wie hoch die monatlichen Kosten ausfallen und wann diese zu begleichen sind. Enthalten sein muss, welche Räumlichkeiten (Wohnräume und Gemeinschaftsräume) dem Bewohner zur Verfügung stehen, weiters sind ­Angaben zu Verpflegung, Reinigung, Wäscheversorgung und Grundbetreuung (z.B. Unterstützung in persönlichen Angelegenheiten) zu machen.
  • Entgelterhöhungen: Während der ersten zwei Monate sind Entgelterhöhungen grundsätzlich verboten. Danach sind sie zulässig, wenn sie im Vertrag ­vereinbart wurden. Indirekte Preis­anpassungen durch eine Einschränkung des Leistungsange­botes sind nur dann zulässig, wenn sie mit dem Bewohner individuell aus­ge­han­delt wurden. Andernfalls dürfen Leistungs­­änderungen nur geringfügig ausfallen und müssen sachlich gerechtfertigt sein.

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