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Altenpflege daheim (Teil 1) - In der Grauzone

In Österreich mangelt es an Einrichtungen, die Familienangehörige bei der Pflege entlasten könnten und die auch leistbar sind.

Wahrscheinlich wird meine Mutter nie mehr als einige Wörter sagen und nicht mehr gehen können, meinte der Arzt nach dem Schlaganfall. Aber es kam noch schlimmer: Tatsächlich sagte sie nur noch ein Wort: ‚Nein.’ Sie war bettlägrig und konnte ein einziges Wort schreiben: ‚Ende’ – wie im Abspann eines Films. Sogar das Nicken oder Kopfschütteln hatte sie verlernt. Sie verstand nicht, was wir ihr sagen wollten, und wir nicht, was sie ausdrücken wollte.“ So schildert Regina K. ihre schwierige Situation.

Pflegerinnen aus Kroatien

„Mutter brauchte jetzt einen streng geregelten Tag; alle Verrichtungen – Waschen, Ankleiden, Essen, Mittagsruhe, Toilettenbesuch etc. – mussten zur immer gleichen Zeit am selben Ort ablaufen. Mit Heimhilfen und Besuchsdiensten war das nicht zu machen – sie hat die wechselnden Gesichter und Zeiten nicht ausgehalten. Im Tagesheim, umgeben von vielen fremden Gesichtern, erlitt sie den ersten epileptischen Anfall. Ich bekam Panik: Wie sollte es weitergehen? Durch Mundpropaganda fanden wir zwei Pflegerinnen aus Kroatien, die abwechselnd alle vier Wochen ins Haus kommen, hier kochen, wirtschaften und wohnen."

Betreuung klappt gut

"Jede der beiden Pflegerinnen hat zwei Kinder, ihre Männer sind arbeitslos. Mit dem, was sie bei uns verdienen, erhalten sie ihre ganze Familie. Seit drei Jahren klappt diese Betreuung gut. Mutter hat sich an die beiden Frauen gewöhnt, legt Puzzles und schaut mit ihnen gerne Telenovelas an.“

Problem privatisiert

Jahrelang haben Experten vor steigendem Pflegebedarf gewarnt, mehrere österreichische Studien sich mit dem Pflegenotstand befasst. Hochbetagte, Pflegebedürftige und Familien sind in Not. „Das Problem wurde jahrelang vernachlässigt“, kritisiert Prof. Elisabeth Seidl, Leiterin des Instituts für Pflegewissenschaft in Wien, „Österreich ist mit ambulanten Strukturen besonders schwach ausgestattet.“ So plagen sich die Familien: Rund 90 Prozent der Pflegebedürftigen werden von Angehörigen oder Bekannten versorgt. Viele haben stundenweise Unterstützung durch mobile Dienste; aber soziale Servicedienste für die Nachtstunden und am Wochenende fehlen weitgehend. 

Illegal, aber menschenwürdig

Erschwinglich wären sie für die meisten Familien ohnehin nicht. Deshalb hat sich eine Grauzone entwickelt, in der Vermittler Arbeitskräfte aus dem Ausland ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung einschleusen. Eine „illegale“, aber menschenwürdige Lösung, mit der alle Beteiligten zufrieden sind: Die Vermittlungsagenturen in den Herkunftsländern der Pfleger und „Vereine“, die für die Verteilung der Arbeitskräfte vor Ort sorgen, streifen satte Gewinne ein.

Betreuung rund um die Uhr

Die Helferinnen, die alternierend meist für zwei Wochen rund um die Uhr Hilfebedürftige versorgen, bekommen für diese Arbeit mehr bezahlt als ein guter Job in ihrer Heimat einbrächte. Die Betreuten entwickeln vertrauensvolle Beziehungen zu den Pflegerinnen und erleben dankbar eine verlässliche Versorgung. Dass es gut funktioniert hat, bestätigt auch Dr. Werner Vogt, bis Jahresbeginn 2007 Pflegeanwalt von Wien: „Nie haben wir Beschwerden aus diesem Bereich bekommen!“ Manche Krankenschwestern berichten zwar von Fällen, bei denen Wundliegen übersehen wurde – aber das kommt gelegentlich auch in Pflegeheimen vor.

Teilweise legalisiert

Die Leistung der „Illegalen“ entspricht etwa 20.000 Vollzeitarbeitsplätzen. Zwar arbeiten annähernd 20.000 Österreicherinnen in der ambulanten Pflege. „Doch weil viele teilzeitbeschäftigt sind, decken sie insgesamt nur 8000 Vollzeitarbeitsplätze ab“, erklärt Monika Wild, Leiterin der Pflegeabteilung des Roten Kreuzes. Die Öffentlichkeit war erst aufgerüttelt, als Familien, die illegale Pflegekräfte ins Haus holten, Anzeigen und Strafen bis zu 6000 Euro erhielten, während Politikerfamilien ungestraft davonkamen. Als der mediale Druck immer größer wurde, sprach das Parlament eine Amnestie bis Ende Juni 2007 aus: Bis dahin dürfen die pflegenden Ausländerinnen ungestraft arbeiten.

Gesetz einhalten

Weiterhin nicht befreit sind Pflegende und Gepflegte von der Pflicht, Sozialabgaben zu leisten. Und auch arbeitsrechtliche Bestimmungen wie Mindestentgelt, Arbeitszeit und Pausen müssen nach dem Buchstaben des Gesetzes eingehalten werden. Geschieht das nicht, können die Pfleger ihr Geld einfordern, und zwar sogar rückwirkend. Anfang Juli soll es ein neues Pflegemodell geben. Angedacht ist, die 24-Stunden-Betreuung zu Hause der Pflege im Altersheim gleichzustellen. Details zur Bezahlung der Pflegekräfte und zur Finanzierung des Modells fehlen noch.

Jahrelange Misere

„Seit Jahren machen Wohlfahrtsverbände die Sozialpartner und die Politiker auf das rapid anwachsende Problem aufmerksam – aber das Echo war bisher gering“, kritisiert Monika Wild. Prof. Seidl, Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft, bestätigt: „Die Altenpflege hat in Österreich den schlechtesten Ausbildungsstand von ganz Europa. In unseren Nachbarländern wurde die Pflegeausbildung schon früh auf akademisches Niveau gehoben: in Polen, Tschechien und der Slowakei schon Anfang der Sechzigerjahre, in Italien und Slowenien zu Beginn der Neunziger, in der Schweiz und in Ungarn im Jahr 2000. In den Ostländern ersetzen die Krankenschwestern bereits den Hausarzt.“

Kompetenzen zersplittert

Bei uns ist Pflege Landessache. Das bedeutet, jedes Bundesland hat andere Standards, andere Sozialgesetze und organisiert Hilfe anders; die Kostensätze für Pflegende sind unterschiedlich, Pflegebedürftige tragen unterschiedlich hohe Selbstkostenanteile und die Angehörigen werden in unterschiedlichem Maß zu deren Deckung herangezogen (Genaueres dazu finden Sie in einem der nächsten Hefte).

Absurde Regelung

Die Wohlfahrtsverbände, die die Pflegekräfte zur Verfügung stellen, bekommen nur Verträge für jeweils ein Jahr. Der Pflegeberuf ist wenig attraktiv – und absurd geregelt: Übersiedelt eine Heimhilfe, die in Oberösterreich ausgebildet wurde, nach Niederösterreich, muss sie die Ausbildung nostrifizieren (anerkennen) lassen, sonst darf sie da nicht arbeiten. Dagegen wird das Diplom einer Fachpflegerin aus England in allen Bundesländern anerkannt. Zwar soll Mitte 2007 eine bundesweit einheitliche Ausbildung für „Sozialfachbetreuer und Altenarbeit“ starten, die Landesgesetze dazu fehlen aber teilweise noch.

Neues Modell

Ein Modell für eine längst notwendige Reform in Österreich hat das pflegewissenschaftliche Institut in Wien entworfen: eine integrierte Pflege- und Versorgungskette. Es stellt die Betroffenen, ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten in den Mittelpunkt und hat zum Ziel, trotz Wechsel in verschiedene Versorgungseinrichtungen die höchstmögliche Lebensqualität der Pflegebedürftigen zu erhalten.

Drei-Säulen-System

Das System ruht auf drei Säulen – dem ambulanten, teilstationären und stationären Sektor. Diese Sektoren sind eng vernetzt, und zwar durch regionale Gesundheitszentren, in denen Tag und Nacht eine diplomierte Schwester zur Verfügung steht. Dort werden alle Dienste koordiniert, um die Pflege daheim zu unterstützen. Es werden Plätze in Tageszentren vermittelt, die der Aufrechterhaltung der bisherigen Lebensweise in der eigenen Wohnung dienen: Tagsüber wird Betreuung bereitgestellt. So werden die Angehörigen entlastet.

Betreuung im Notfall

Im Akutfall werden Betroffene in auf alte Menschen spezialisierten Krankenhäusern behandelt. Der Langzeitpflege dienen Wohnheime, deren Tagesablauf und Freizeitangebote sich an den Vorstellungen und Bedürfnissen der Bewohner (und nicht der Organisation) orientieren.

Wertschätzung des Alters

Voraussetzung für dieses Modell ist allerdings eine Kultur der Anerkennung und Wertschätzung der Hilfsbedürftigen. Dazu braucht es viel Information über die letzte Lebensphase und die verschiedenen Alterskrankheiten. Angehörigen müssen Kenntnisse und Fertigkeiten für die Pflege daheim vermittelt und viel mehr Menschen für den Pflegeberuf gewonnen und qualifiziert werden. Dieses Modell entspricht dem europäischen Niveau.

Reformbedürftig

Auch die Wohlfahrtsverbände fordern ein flexibleres System und ein Netz von alternativen Angeboten wie Wohn- und Hausgemeinschaften, Tageszentren und -heimen für spezielle Zielgruppen wie etwa Demente; eine enge Verknüpfung der Angebote und einen Ausbau des mobilen Sektors; eine Vereinheitlichung von Aus-, Fort- und Weiterbildung für Pflegefachkräfte; eine Erleichterung von Ein-, Um- und Wiedereinstieg; österreichweit einheitliche, gesetzlich verankerte Standards und Kostentransparenz. Das alles wäre machbar. Aber dazu braucht es ein politisches Bewusstsein sowie eine bedeutende Aufstockung der Mittel. Spätestens Anfang Juli werden wir wissen, wohin die Reise geht.

So finden Sie Hilfe

In den nächsten Monaten soll es eine Lösung für den derzeitigen Graubereich der 24-Stunden-Pflege durch ausländische Helferinnen geben. So gehen Sie vor, wenn Sie schon jetzt Tag und Nacht Hilfe brauchen:

  • Handeln Sie sofort, wenn ein betagter Angehöriger ins Spital muss. Gerade alte, pflegebedürftige Menschen sind aus einem Akutspital schnell wieder draußen. Spätestens am Tag der Entlassung muss das Pflegenetz geknüpft sein.
  • Fragen Sie im Freundes- und Bekanntenkreis nach. Wer beschäftigt eine Pflegerin, wie wurde sie vermittelt und zu welchen Konditionen? Oft kommt man auf diesem Weg zu einer privaten Kraft
  • Erkundigen Sie sich im Spital oder am Sozialamt Ihrer Gemeinde nach einer 24-Stunden-Pflege. Bleiben Sie hartnäckig und lassen Sie sich durch den Hinweis „wir dürfen keine Adressen weitergeben“ nicht entmutigen. Eine Telefonnummer unter dem Siegel der Verschwiegenheit ist immer besser als gar keine.
  • Setzen Sie sich vor den Computer und gehen Sie ins Internet. Wenn Sie auf Google als Suchbegriff „Hauskrankenpflege“ oder „Rundumbetreuung“ eingeben, werden Sie schnell fündig.
  • Studieren Sie alle Angebote gründlich und verschaffen Sie sich einen Überblick über Leistungen und Preise.

Auf den Schultern der Frauen 

Zwei Drittel der rund 426.000 pflegenden Angehörigen sind Frauen, nur vier von zehn leben mit den Gepflegten im gleichen Haushalt. 43 Prozent der Pflegenden stehen weiterhin im Berufsleben, die meisten leisten 15 bis 35 Pflegestunden pro Woche. Jede(r) Vierte ist über 65 Jahre alt. Viele leiden unter der körperlichen und psychischen Anstrengung und der zeitlichen Belastung.

Pflegedauer gestiegen

Durch medizinische Fortschritte und höhere Lebenserwartung ist die Pflegedauer gestiegen – im Durchschnitt auf 5,6 Jahre, in manchen Fällen auf mehr als 10 Jahre. Viele Pflegende sind danach selbst pflegebedürftig.

(Quellen: Josef Hörl, Eurofamcare , National Background for Austria , January 2005; Rotes Kreuz )

In den nächsten Monaten:

  • Mai: Alles rund um die Finanzierung der legalen häuslichen Pflege
  • Juni: Was Sie tun müssen, damit Pflege daheim auch tatsächlich gelingt
  • Ratgeber Altenpflege: Zur Altenpflege ist eine neue gesetzliche Regelung in Vorbereitung. Sobald Details bekannt sind, werden wir unseren Ratgeber "Altenpflege daheim"   veröffentlichen. Er wendet sich an all jene, die einen betagten Angehörigen zu Hause betreuen möchten.

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