"Versicherungen entziehen sich der Leistungspflicht"
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Dr. Thomas Hartmann |
Konsument: Welche Bausteine der Rechtsschutzversicherung sind bei den Versicherten am stärksten gefragt?
Hartmann: Der am weitesten verbreitete Rechtsschutz-Baustein ist sicher der „Fahrzeug-Rechtsschutz“, der auch als „stand alone – Versicherungsprodukt“ abgeschlossen werden kann. In diesem Baustein ist die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen (insbesondere Schäden am versicherten Fahrzeug, Personenschäden der Insassen des versicherten Fahrzeuges) versichert, aber auch die Verteidigung in gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahren im Zusammenhang mit der Verwendung des versicherten Fahrzeuges.
Üblicherweise wird der Fahrzeug-Rechtsschutz mit dem Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz kombiniert und damit die Deckung erweitert auf Streitigkeiten aus im Zusammenhang mit dem versicherten Fahrzeug abgeschlossenen Verträgen (beispielsweise auf Streitigkeiten aus Reparaturaufträgen, aber auch auf Streitigkeiten aus einer allenfalls bestehenden Kasko- oder Insassenunfallversicherung).
Meist Pakete von Versicherungen üblich
Abgesehen vom Fahrzeug-Rechtsschutz, der auch „alleine“ abgeschlossen werden kann, werden die Rechtsschutz-Bausteine üblicherweise „als Paket“ angeboten, wobei die Konsumenten bei den meisten Versicherern zwischen mehreren Paketen unterschiedlicher Ausstattung – und unterschiedlicher Prämienhöhe – wählen können. Am weitesten verbreitet sind Pakete, die – neben dem wählbaren Fahrzeug-Rechtsschutz – jedenfalls die Bausteine „Allgemeiner Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz“, „Lenker-Rechtsschutz“, „Beratungs-Rechtsschutz“, „Arbeitsgerichts- und Sozialversicherungs-Rechtsschutz“ und den „Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz“ beinhalten.
In den ebenfalls angebotenen größeren „Paketen“ sind weitere Bausteine inkludiert wie beispielsweise der "Rechtsschutz aus dem Erb- und Familienrecht“ oder der Rechtsschutz im Zusammenhang mit bestimmten Immobilien (z.B. im Zusammenhang mit ge- oder vermieteten Wohnungen).
Neue Bausteine halten nicht was sie versprechen
In den letzten Jahren haben die einzelnen Versicherer zusätzliche Bausteine „erfunden“ wie beispielsweise den „Daten-Rechtsschutz“, „Steuergerichts-Rechtsschutz“, „Rechtsschutz für Ausfallschäden“, den „Patienten-Rechtsschutz“, den „Internet-Rechtsschutz“ und den „Auslandsreise-Rechtsschutz“, „ Rechtsschutz für Mobbing/Stalking“, um nur die weiter Verbreiteten zu nennen.
Nach einer in 2015 von der AK Wien (www: http…) in Auftrag gegebenen Studie bleibt der praktische Wert dieser modernen Bausteine meist weit hinter den vielversprechenden Überschriften zurück (oft beträgt die dafür vorgesehene Versicherungssumme nur einige hundert Euro).
Von der Anzahl der gedeckten Schadenfälle her betrachtet sind die Bausteine "Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz" (im Rahmen des Fahrzeug-Rechtsschutzes oder außerhalb) und der „Allgemeine Vertrags-Rechtsschutz für den Privatbereich“ am Wichtigsten. Auch der „Arbeitsgerichts-Rechtsschutz“ wird in der Praxis noch einigermaßen häufig in Anspruch genommen.
Konsument: Gibt es bestimmte Bereiche, wo sich eine Rechtsschutzversicherung eher empfiehlt, und solche, wo die Deckung erfahrungsgemäß häufig abgelehnt wird?
Hartmann: Generell beantworten lässt sich das nicht. Es kommt immer auf die konkreten Lebensumstände an: So zahlt sich beispielsweise ein Fahrzeug-Rechtsschutz nur für jemanden aus, der Besitzer eines Kfz ist, oder ein Rechtsschutz aus dem Erbrecht ist nur für jemanden sinnvoll, der die Aussicht hat, einmal etwas zu erben.
Der „Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz“ ist für jeden relevant, ebenso der „Allgemeine Vertrags-Rechtsschutz für den Privatbereich“. Da die meisten Verbraucher unselbständig erwerbstätig sind (also in einem privat- oder öffentlich-rechtlichen Arbeits- oder Dienstverhältnis stehen), gilt dies auch für den „Arbeitsgerichts- und Sozialversicherungs-Rechtsschutz“.
Die meisten Menschen sind auch entweder Eigentümer oder Mieter des Wohnobjekts, in dem sie mit ihrer Familie leben, was den Abschluss des Bausteines „Grundstückseigentum und Miete für den Selbstnutzungsbereich“ nahelegt.
Nicht alles versicherbar
Es gibt Risikoausschlüsse in der Rechtsschutzversicherung: So sind beispielsweise Streitigkeiten im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten (z.B. Lizenzen, Patente, Urheberrechte) oder im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsrecht (Aktiengesetz, GmbH-Gesetz und andere) vollständig aus dem Versicherungsschutz ausgeklammert. Gleiches gilt für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Bauarbeiten (einschließlich deren Planung und Finanzierung). Andere Bereiche wie beispielsweise das Familienrecht sind zwar grundsätzlich versicherbar, jedoch bestehen wesentliche unversicherbare Deckungslücken: So besteht grundsätzlich kein Versicherungsschutz für das Scheidungsverfahren und mit der Scheidung in Zusammenhang stehende Verfahren zwischen den Ehegatten. Unterhaltsstreitigkeiten zwischen Eltern und Kindern sind in diesem Baustein zwar grundsätzlich versichert, jedoch – im Fall einer Scheidung – nur für solche Streitigkeiten, deren Auslöser später als ein Jahr nach Beendigung des Scheidungsverfahrens liegt.
Einwände gegen Leistungspflicht möglich
Insgesamt ist nicht zu vergessen, dass die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (kurz ARB) ein sehr komplexes und umfangreiches (mehr als 20 DIN A4 -Seiten kleingedruckter Text, was ungefähr 50 Buchseiten entspricht) Regelwerk darstellen. Dieses Vertragswerk ermöglicht den Versicherern immer wieder – meist durch den Klauselwortlaut gedeckt, aber für die Versicherungsnehmer regelmäßig überraschend – Einwände gegen ihre Leistungspflicht vorzubringen. Versicherungsnehmer sind in aller Regel nicht im Stande, Deckungsablehnungen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen; dies gilt auch für viele Versicherungsvermittler, die diese ARB ebenfalls nicht verstehen.
Konsument: Was sind die häufigsten Problemstellen für Konsumenten?
Hartmann: Die wichtigste Quelle von für Konsumenten überraschende Deckungsablehnungen liegt in der Konzeption der Rechtsschutzversicherung selbst: Versicherungsschutz besteht von vornherein nur für die in der Polizze als versichert angeführten Bausteine und Eigenschaften, die dann in den ARB weiter konkretisiert werden. Fällt die Rechtswahrnehmung, für die der Versicherungsnehmer um Deckung ansucht, nicht in einen dieser Bausteine (konkreter: in die dort vorgenommene Umschreibung der versicherten Rechtswahrnehmungen), dann braucht man gar nicht mehr weiter in Richtung Risikoausschlüsse (oder zeitlicher und örtlicher Geltungsbereich) zu prüfen. Denn dann fehlt schon die Grundvoraussetzung für die Deckung.
Voraussetzungen müssen erfüllt werden
Als weitere Voraussetzung für die Deckung muss der Versicherungsnehmer darlegen, dass der „anspruchsbegründende Umstand“ in versicherter Zeit eingetreten ist, wobei in den ARB zusätzliche weitere zeitliche Risikoausschlüsse vorgesehen sind: So muss beispielsweise der Baustein „Erbrecht“ mindestens bereits ein Jahr vor dem Ableben des Erblassers abgeschlossen worden sein, damit Deckung für daraus entstandene Streitigkeiten besteht. Auch in anderen Bausteinen gibt es sogenannte Wartefristen.
Pflicht des Versicherers
Eine zunehmend aktuelle Problemstellung für die Konsumenten liegt in der sogenannten „Informationsobliegenheit“: Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer bei der Deckungsanfrage über den Sachverhalt wahrheitsgemäß und vollständig (also auch einschließlich der Einwände des Gegners) zu unterrichten. Verletzt er diese Pflicht, kann dies den Verlust der Deckung bedeuten. Prozessuale Schritte muss er jedenfalls mit dem Versicherer abstimmen. Das Thema Obliegenheitsverletzungen hat in den letzten Jahren an Bedeutsamkeit gewonnen: Mit Obliegenheitsverletzung begründete Deckungsablehnungen nehmen zu. Generell kann man sagen, dass die Versicherer mehr denn je jede in den ARB vorgesehene Möglichkeit wahrnehmen, um die Deckung ablehnen zu können.
Konsument: Ist die Beratung vor Abschluss einer Rechtsschutzversicherung ausreichend? An wen sollte man sich dafür am besten wenden?
Hartmann: Mittlerweile bieten einige Versicherer die Möglichkeit an, eine Rechtsschutzversicherung „online“ abzuschließen; dabei findet – von einer kurzen Beschreibung der Rechtsschutzbausteine auf der Website dieser Versicherer einmal abgesehen – überhaupt keine Beratung statt. Wird die Versicherung dagegen über einen Vermittler abgeschlossen (das ist nach wie vor der übliche Weg), dann sind zwei Gruppen von Vermittlern zu unterscheiden: Die eine Gruppe ist jene der Versicherungsmakler, die andere sind alle Vermittler (wie auch immer sie sich selbst bezeichnen), die keine Versicherungsmakler (diese Gruppe wird im Versicherungsvertragsgesetz als „Agenten“ bezeichnet) sind.
Erwartungen an die Versicherer
Vom Versicherungsmakler kann der Kunde erwarten, dass dieser seinen individuellen „Rechtsschutzversicherungsbedarf“ analysiert und ihm ein dafür passendes Produkt empfiehlt. Letzteres schließt ein, dass der Makler die Feinheiten der von verschiedenen Versicherern angebotenen Produkte kennt. Verursacht der Versicherungsmakler durch einen Fehler bei Risikoanalyse und/oder Auswahl eines passenden Produktes eine vermeidbare Deckungslücke, dann haftet er dem Kunden für den Schaden.
Dagegen sind die Anforderungen an Vermittler, die keine Versicherungsmakler sind, wesentlich geringer: Diese Personen müssen zwar an die vom Kunden gestellten Fragen zum Produkt richtig beantworten oder erkennbare Fehlvorstellungen des Kunden über den Deckungsumfang korrigieren. Aber darüber hinaus bestehen keine weiteren Beratungspflichten; insbesondere also weder die Erhebung des konkreten Versicherungsbedarfes noch die Empfehlung des am besten auf dem Markt erhältlichen Produktes – die Empfehlung der „eigenen“ Produkte genügt.
Tendenziell kann sich der Konsument daher eine bessere Beratung erwarten, wenn er sich an einen Versicherungsmakler wendet: Aber auch hier ist Vorsicht geboten, denn zwischen den Maklern bestehen oft große fachliche Qualitätsunterschiede.
Achtung bei Aktualisierungen der Bestimmungen
Vermeidbare Deckungslücken entstehen häufig durch die „Aktualisierung“ eines bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages, denn in die von den Versicherern verwendeten ARB werden immer restriktiver: So enthielten ältere ARB keinen spezifischen Risikoausschluss für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Vermögensveranlagung (Stichwort „Schiffsfonds“, „Meinl European Land“, AMIS“ etc.), neuere dagegen schon. Es gibt noch eine Reihe anderer Beispiele für Deckungsverschlechterungen in neueren ARB, auf die die Versicherer in ihrer Produktwerbung mit keinem Wort hinweisen, während neuartige zusätzliche Bausteine [wie die oben bereits erwähnten Bausteine „Daten-Rechtsschutz“, „Steuergerichts-Rechtsschutz“, „Patienten-Rechtsschutz“ etc.) zu Unrecht als attraktive Erweiterungen dargestellt werden.
Deckungslücken als Risiko
Wechselt ein Kunde mit seinem Rechtsschutzversicherungsvertrag zu einem anderen Versicherer (Versichererwechsel), kommt zu den beim Stichwort „Aktualisierung“ dargestellten Nachteilen noch das Risiko zeitlicher Deckungslücken dazu: Der „alte“ Versicherer verweigert zum Beispiel die Deckung, weil der Versicherungsfall erst nach seiner Laufzeit eingetreten ist; der „neue“ Versicherer verweigert ebenfalls die Deckung und beruft sich dabei auf eine „Wartefrist“; das sind nur Beispiele für Deckungslücken, die mit einem Versichererwechsel verbunden sind.
Bei großen Maklerunternehmen oder solchen, die sich einem der großen Maklerverbände (ÖVM, IGV, etc.) angeschlossen haben, ist davon auszugehen, dass sie solche Nachteile für ihre Kunden über Rahmenvereinbarungen (Sondervereinbarungen) mit den Versicherern ausschließen. Kleinen Maklerunternehmen (ohne Maklerverband im Rücken) fehlt dagegen in der Regel sowohl die Kapazität wie insbesondere auch Verhandlungsmacht, die zum Ausverhandeln derartiger Sondervereinbarungen mit den Versicherern notwendig ist.
Konsument: Nehmen die Konflikte mit Rechtsschutzversicherern aus Konsumentensicht zu?
Hartmann: Diese Frage lässt sich eindeutig mit ja beantworten. Zigtausende Österreicher haben in den letzten Jahren viel Geld verloren, das sie in fragwürdige „Finanzprodukte“ investiert hatten. Daraus resultierten viele Prozesse, die die Rechtsschutzversicherer zu finanzieren hatten, denn in älteren ARB gab es, wie weiter oben erwähnt, keinen Risikoausschluss für „Vermögensveranlagung“.
Härtere Gangart bei Deckungsprüfung
Zusätzlich hatte der Oberste Gerichtshof (OGH) in mehreren Entscheidungen der letzten Jahre die Möglichkeit der Versicherer immer weiter reduziert, die Deckung wegen „nicht hinreichender Erfolgsaussichten“ ganz oder teilweise abzulehnen. Beide Umstände haben die unternehmerischen Ergebnisse der Rechtsschutzversicherer erheblich verschlechtert, was für sich schon eine „härtere Gangart“ bei der Deckungsprüfung erklärt. Dazu kamen in den letzten Jahren restriktivere Vorschriften für die Versicherer (Stichwort Basel II) und die Tatsache, dass (auch) die Versicherer mit der Veranlagung eingenommener Prämien nichts mehr verdienen.
Deckungsablehnungen werden schwieriger
Eine „härtere Gangart“ bei der Deckungsprüfung bedeutet zweierlei: Zum einen nehmen die Deckungsablehnungen zu, weil die Schadenbearbeiter jeden auch nur irgendwie in Betracht kommenden Einwand gegen die Leistungspflicht aufgreifen (Motto: In Zweifelsfällen wird zunächst einmal abgelehnt).
Zum anderen ist es nun viel schwieriger geworden als früher, den Schadenbearbeiter zur Rücknahme einer Deckungsablehnung zu bewegen, weil das Geschäft insgesamt schneller und unpersönlicher geworden ist. Bei manchen Versicherern ist es fast unmöglich, einen bestimmten Schadenbearbeiter ans Telefon zu bekommen. Ein Einlenken des Versicherers nach erfolgter Deckungsablehnung ist meist nur mehr dann zu erreichen, wenn ihr stichhaltige juristische Argumente – am besten unterlegt mit einer OGH-Entscheidung – entgegengehalten werden. Es gibt auch deutlich mehr Deckungsprozesse als früher. Dazu genügt ein Blick in das Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleiamtes (RIS) mit den veröffentlichten OGH-Entscheidungen zur Rechtsschutzversicherung, deren jährliche Anzahl stetig zunimmt.
Da die Deckungsablehnungen häufiger werden und es gleichzeitig schwieriger geworden ist, den Versicherer ohne stichhaltige juristische Argumente zum Einlenken zu bewegen, wird die Prüfung der Deckungsablehnung durch vom Versicherer unabhängige Experten für die Konsumenten immer wichtiger.