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Handys: Wenn Senioren testen - Firmen konzentrieren sich auf Junge

  • Seniorentaugliche Modelle im Vergleich
  • Wenige Probleme, solange es nur ums Telefonieren geht
  • Unnötige Hürden sorgen für Verdruss

Vor 10 Jahren dachte noch keiner an den Handy-Boom

Vor gerade einmal 10 Jahren glaubte hier zu Lande noch mehr als die Hälfte der Menschen, das Leben ohne Mobiltelefon bewältigen zu können. 2004 wiesen Statistiken 86 Prozent der Österreicher als Besitzer von Handys aus. Und neuerdings erfasst die Handymania auch eine Zielgruppe, die sich lange „handyscheu“ zeigte: die Senioren.

Handys vor allem für Jugendliche 

Dabei setzt die Mobil-Industrie in ihrer Werbung auf betont jugendliche Images und Dynamik, wie auch die Produktentwicklung ungebremst immer gefinkeltere, variantenreichere, eindeutig jugend-orientierte Modelle forciert. Ältere Menschen werden ausgeklammert. Das liegt zum einen daran, dass sie für die Netzbetreiber zu wenig Profit abwerfen: Sie telefonieren üblicherweise weniger als jüngere Zeitgenossen und nutzen die kostenintensiven Zusatz- und Sonderoptionen wie Internetverbindung, Nachrichtendienste, Spiele, Foto- und Videofunktionen nicht oder kaum. Ohne Betreiben der Provider aber rühren die Hersteller aus Sorge, sie könnten allein im Regen stehen bleiben, keinen Finger.

Bedienungsfreudliche Handys sind gefragt

Gerne spricht man Senioren auch von vornherein die Befähigung zur Beherrschung von Mobiltelefonen ab. Solchermaßen unterschwellig als inkompetent diskreditiert, könnten indes „die Alten“ diesmal beim Trend die Nase vorn haben. Denn Schwierigkeiten mit den Raffinessen und Kinkerlitzchen der Geräte haben nicht nur sie, sondern der gesamte Bevölkerungsdurchschnitt. Dies jedenfalls legt eine Umfrage nahe, die der Verband der deutschen Internetwirtschaft, eco-Forum, Ende letzten Jahres durchgeführt hat. Sie zeigte deutlich: Quer durch alle Alters- und Bildungsschichten wünschen sich Konsumenten eine einfachere Bedienung.

Telefonieren ohne Handbuch

Die Kunden wollen Handys oder die trendigen Smartphones nur dann kaufen, wenn sie diese auch bedienen können, ohne ständig zum Handbuch greifen zu müssen. Dagegen wird das vielfältige Angebot an Funktionen und Möglichkeiten, mit dem die Werbung gerne und lautstark lockt, weitgehend als durchaus verzichtbar empfunden. Sehr interessantes Detail am Rande: 36 Prozent der befragten Fachleute raten zu einem Anfängermodus mit Schritt-für-Schritt-Erklärung und einem davon getrennten Expertenmodus.

Eine Testerin gab auf

Ähnlich das Ergebnis unseres Tests: Innerhalb von neun Tagen haben neun Testpersonen mit einem Altersquerschnitt von 60 bis 70 Jahren erkundet, wie gut sie mit Mobiltelefonen zurechtkommen. Geprüft wurden normales Nummern-Anwählen, Wählen über Telefonbuch, Telefonbuch einrichten, Meldungen abhören, Meldungen löschen, Kurzwahl einrichten und anwählen sowie die Brauchbarkeit der Ausstattung. Ursprünglich war als zehnte Teilnehmerin eine 77-jährige Frau mit dabei, doch warf diese nach dem zweiten Gerät das Handtuch. Wie zwei weitere Teilnehmer, die indes die Grundfunktionen relativ mühelos lernten (siehe dazu: Inhaltsverzeichnis - "Geduld muss man haben"), hatte sie keinerlei Handy-Erfahrung mitgebracht. Ihre frühzeitige Resignation mag wohl auch veranschaulichen, wie gut (bzw. schlecht) Handys den Möglichkeiten und Bedürfnissen der Altersgruppe 75+ entgegenkommen.

Es wurden keine speziellen Senioren-Handys getestet

Betont werden muss an dieser Stelle, dass es eben kein Test von Senioren-Handys war, die man auch unter Bezeichnungen wie „Drei-Tasten-Handys“ kennt, sondern von ganz normalen, von den Anbietern als seniorentauglich (oder „noch am ehesten seniorentauglich“) eingestuften Marktmodellen. Wo einer der sechs Hersteller sich nicht selbst zu einer Auswahl aufraffen konnte oder wollte, wie es bei Samsung der Fall war, trafen wir sie (bestimmt nicht zu Samsungs Schaden, wie das Testergebnis zeigt).

Keine Erklärung

Als herausragend seniorentauglich hat sich keines der neun Geräte profiliert. Es wurde aber auch keines schlechter als durchschnittlich bewertet. In erster Linie liegt es daran, dass das, was immer noch als Hauptaufgabe eines Handys gesehen wird – nämlich das Telefonieren –, bei allen tadellos funktioniert.

Bedienungsanleitungen nicht leicht zu lesen

An anderer Stelle jedoch tun sich Abgründe auf. Das trifft vor allem auf die Bedienungsanleitungen zu. Abgesehen davon, dass sie sich vieler, nicht näher erklärter englischer Wörter bedienen – ScreenSaver, Wallpaper, Browser, Softkey, Headset u.v.a. –, unterschlagen sie gerne die Notwendigkeit, einen Schritt oder eine Programmierung durch Drücken der O.K.-Taste zu bestätigen. Handy-Profis ist dieser Routineakt in Fleisch und Blut übergegangen – keineswegs aber kann er bei weniger Geübten wie eben Senioren als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Als häufiges Ärgernis erwiesen sich Diskrepanzen zwischen Handbuch und dem Display eines Geräts. Für dieselben Funktionen werden verschiedene Ausdrücke gebraucht – hier Kurzwahl, dort Schnellwahl, hier Terminplaner, dort Organizer etc. Überdies ist nicht einzusehen, warum oft eine Schrift verwendet wird, die den Griff zur Lupe zumindest eine Überlegung wert macht. Es ist somit kein Wunder, dass sich in unserem Test einige Personen leichter taten, direkt den Anweisungen auf den Geräten zu folgen als in den Bedienungsanleitungen nachzusehen. Zumal diese ihr Augenmerk bisweilen eher trickreichen und technisch zweifelsohne beeindruckenden multimedialen Zusatzfunktionen zu widmen scheinen als dem, was Senioren in aller Regel als wesentlich definieren: Sie wollen telefonieren.

Kurzbedienungsanleitung nur bei Motorola

Jedenfalls wäre es nur recht und billig, auf die Benutzerbedürfnisse älterer Menschen in einer entsprechend gestalteten Kurzform der Bedienungsanleitung einzugehen. Für die spezifischen Funktionen wäre dann noch immer die Langform da, die Profi- oder Spezialisten-Ausgabe gewissermaßen. Ein Hersteller, nämlich Motorola, bietet für seine beiden Geräte tatsächlich eine Kurzfassung. Nur wird nicht klar, für wen und warum diese gemacht wurde, denn sie hastet nach dem Erklären der allerersten Schritte gleich zu Feinheiten wie Video-Aufnahmen und -Calls, MP3-Abspielen, Wallpaper und Screensaver sowie den fotografischen Möglichkeiten – greift also just die Funktionen für den geübten, üblicherweise jüngeren Anwender heraus.

Kurzwahleinrichtung war sehr schwierig

Was sich als äußerst schwierig erwiesen hat – nachvollziehbar, wie unsere „Superviser“ bestätigten – war das Einrichten der Kurzwahl. Sechs von neun Testpersonen hatten dabei gröbere Probleme; beim LG L1100 und dem Siemens A 65 scheiterten fast alle Tester. Eine andere Quelle des Verdrusses waren die Tastaturen, die oft für Fingernagel-Betätigung konzipiert sind, was nicht jedermanns Sache ist. Bei den Displays hat sich oft der Eindruck von Symbolverwirrung eingestellt: Wohl nicht nur für Senioren, aber besonders für diese, ist es einfacher und übersichtlicher, wenn die Funktionen und Optionen von oben nach unten in verbaler Form angeordnet sind und nicht kreuz und quer als Symbole über den Bildschirm verstreut. Was allerdings nicht den Handyherstellern angelastet werden kann, sondern den Providern, die sich von einer firmenspezifischen Oberfläche (vor allem international) einen hohen Wiedererkennungswert versprechen.

Designer-Gags

Nicht selten leisten auch die Designer ihren Beitrag, dass den Benutzern das Sein nicht unerträglich leicht werde: So etwa scheint das wahrhaftig blendende, silbergraue V3 von Motorola für eine ansehnliche Zweitkarriere als Spiegel prädestiniert. Weniger klar ist, wo Motorola die besondere Seniorentauglichkeit ortet. Das fragt man sich allerdings auch bei Motorolas zweitem Gerät, dem C 975: Letzteres wird statt von der üblichen Pfeiltastatur durch einen Joystick gesteuert, der Fehler beträchtlich erleichtert. Und sich einmal bei einem Bedienungsschritt zu verhauen, ist im günstigsten Fall einfach nur lästig, im schlimmsten Fall macht es einen kompletten „Neuaufbau“ des Handys notwendig.

Vereinheitlichte Bedienungsrichtlinien

So wenig, wie es bei Handys einheitliche Preise gibt – die Kosten hängen vom Vertrag ab –, so wenig gibt es gesetzliche oder branchenintern verbindliche vereinheitlichende Bedienungsrichtlinien. Da die Hersteller naturgemäß versuchen, Kunden den Wechsel zu einem Konkurrenten zu erschweren, ist jede Marke signifikant anders zu handhaben. Beim Gros unserer Testpersonen jedenfalls wich anfängliche Euphorie bald der Ernüchterung, nicht selten der Ermüdung. Am Ende stand die Sinnfrage: Man hat es – aber braucht man’s auch?

"Geduld muss man haben" - Interview

Hilde und Franz Fröschl

Das Test-Ehepaar Hilde und Johann Fröschl (65 bzw. 69 Jahre) hatte bisher keine Erfahrungen mit Handys. Hier die Eindrücke vom Test.

Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, ein Handy zu besitzen?

Johann F.: Ich bin jetzt 12 Jahre mit dem Rennrad auf Straßen unterwegs, und ein einziges Mal habe ich gedacht, es wäre nicht schlecht, eins zu haben. Jeden Mittwoch geh ich mit einem Kollegen rauf auf den Mödlinger Hausberg, den Anninger. Da könnte man ein Handy vielleicht brauchen. Aber da gibt’s ein paar Stellen – kein Empfang. Egal bei welchem Provider. Auch beim Wirt – kein Empfang. Ich warte lieber, bis ganz ausgebaut ist.

Wie haben Sie sich beim Test getan?

Hilde F.: Einstellen, PIN-Code eingeben, telefonieren, das war kein Problem. Aber für gewisse Sachen, Telefonbuch einrichten, da haben wir schon in der Bedienungsanleitung schauen müssen. Dann ging das auch.

Johann F.: Die Bedienungsanleitungen sind für ältere Menschen schwierig zu lesen. Viele Fachausdrücke, viele in Englisch. Oft dachte ich, ich will mir das nicht antun.

Hilde F.: Beim Telefonieren waren alle Geräte Spitze. Aber ich würde nie jemandem was schreiben, weil ich will den hören.

Johann F: Ohne Brille geht beim SMS gar nichts. Wenn ich Rad fahre, nehme ich sicher nicht meine teure Gleitsichtbrille mit.

War irgendeine der Zusatzfunktionen für Sie interessant?

Ich habe mein Enkerl fotografiert und eingespeichert. Aber nicht dass ich das jetzt regelmäßig machen wollte.

Wie ging’s mit der Kurzwahl?

Hilde F.: War manchmal problematisch.

Johann F.: Man macht viele Fehler beim Kurzwahl-Einrichten und Speichern. Ich habe z.B. oft zu kurz gedrückt. Und dann: immer bestätigen. Das ist man nicht gewohnt. Wenn man die Bedienungsanleitung zur Hand nimmt, macht die kleine Schrift Probleme.

Hilde F.: Ich glaube aber nicht, dass wir Probleme hätten, wenn wir ein Handy kriegen und uns länger damit beschäftigen.

Hat Ihnen der Test Spaß gemacht?

Johann F.: Es war eher anstrengend.

Hilde F.: Er hat keine Geduld! Und Geduld muss man dabei haben. Mir hat’s schon Spaß gemacht.

"Keine Schwellenangst" - Interview

Martina Koepp ist Geschäftsführerin der GGT Deutsche Gesellschaft für Gerontotechnik® mbH, Iserlohn, die Produktentwicklungen und Dienstleistungen für den stark wachsenden Markt der Generation 50+ fördert.

Martina Koepp

Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Probleme älterer Menschen mit Handys?

Über die Grundfunktionen hinaus sind die Geräte mit Zusatzfunktionen überfrachtet. Die Menüführung ist zu komplex. Die Tasten sind zu klein, ebenso die Schriftgröße bzw. das Display. Außerdem ist bei den meisten Geräten wegen der zu geringen Kontrastwirkung die Lesbarkeit nicht ausreichend.

Gibt es Schwellenangst? Eine Tendenz, von vornherein aufzugeben, weil alles so kompliziert ist?

Bei den Generationen oberhalb von 50/60 gibt es aus unserer Erfahrung keine Schwellenangst. Man ist an neuen Technologien durchaus interessiert. Wenn Technik einfach zu bedienen ist, sind auch die Älteren schnell zu überzeugen.

Ist das Handy auch für ältere Menschen ein Statussymbol?

Das Handy soll eine bestimmte Funktion erfüllen, namentlich in erster Linie das Telefonieren. Es wird daher eher als Funktionsprodukt gesehen.  Als Statussymbol eher nicht.

Was sind die größten Beweggründe für Senioren, sich ein Handy zuzulegen?

Sicherheit vor Komfort, gefolgt von Kommunikation.

Und was sind die größten Beweggründe, sich keines zuzulegen?

Ein unübersichtlicher Provider-Markt und dadurch nicht nachvollziehbare Tarife sowie überfrachtete Technik.

Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Industrie ein, auf die Bedürfnisse von Senioren einzugehen?

Besonders im letzten Jahr hat die Industrie an diesem Thema großes Interesse gezeigt. Hier spiegelt sich der demografische Wandel der Bevölkerung wider, ein kaufkräftiger Konsumentenmarkt zeigt Wirkung, und dies gilt letztlich europaweit.

Und wie sieht es mit der Bereitschaft der Provider aus?

Aus unserer Sicht liegt hier der Kernpunkt des Problems. Die Provider gehen grundsätzlich davon aus, dass das Telefonierverhalten von Senioren stark abweicht von dem jüngerer Nutzergruppen. Die Senioren beanspruchen einfach nicht genug „air time“-Gesprächszeiten usw., sodass hier nicht genug „Umsatz“ erwartet wird.

Kompetent mit Konsument

  • Tasten, Display, Kurzwahl. Ältere Menschen wollen telefonieren, dazu brauchen sie eine vernünftige Tastatur, ein gut lesbares Display und die Möglichkeit der Kurzwahl. Aufwendige Extras wie Foto- oder Videofunktionen sind kaum von Interesse. 
  • Nur Spitzenreiter wirklich nutzerfreundlich . Das Telefonieren funktioniert bei allen tadellos; gute Übersichtlichkeit bieten aber nur die Spitzenreiter unseres Tests.
  • Schwachpunkt Bedienungsanleitung. Die größten Probleme verursachen die Bedienungshandbücher mit ihren Anglizismen, kleinen Unterlassungen und Widersprüchen zu den Anleitungen am Display. Was fehlt, sind Kurzanleitungen.

So haben wir getestet

Im Test 9 „seniorentaugliche“ Handys, ausgewählt nach Hersteller- bzw. Providerempfehlung.

Überprüft wurden die Produkte in Hinsicht auf „Seniorentauglichkeit“; leichte Bedienbarkeit, gut lesbare Schrift und Anzeigen sowie Bedienungsanleitung. Die Prüfer mussten vorgegebene Funktionen ausführen und beurteilen.

Die Bewertung erfolgte anhand eines Fragebogens, der von 9 Testpersonen im Alter von 60 bis 70 Jahren ausgefüllt wurde.

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