Abfertigung neu: Negatives Veranlagungsergebnis 2022
Die aktuelle Kontoinformation der betrieblichen Vorsorgekassen hat für viel Ärger und Enttäuschung gesorgt. Warum ist das Veranlagungsergebnis 2022 im Minus? Was bedeutet das für mich? Was kann ich tun? Wie veranlagen die Vorsorgekassen?
Eine kritische System-Analyse der Abfertigung neu.
Was ist die Abfertigung neu?
Die Abfertigung neu besteht seit 2003 und stellt eine soziale Absicherung für Arbeitnehmer:innen dar. Gleichzeitig soll sie den Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge ermöglichen (nach Pensionsantritt wahlweise als steuerbegünstigte Einmalzahlung oder als lebenslange steuerfreie Zusatzpension). Auch bei Beendigung des Dienstverhältnisses ist eine Auszahlung möglich, um zum Beispiel die Zeit bis zum Antritt eines neuen Jobs zu überbrücken. Ebenso ist es möglich, die Abfertigung beitragsfrei weiterlaufen zu lassen oder bei einem neuen Dienstverhältnis zu einer anderen Kasse mitzunehmen.
Insgesamt beträgt das in der Abfertigung neu verwaltete Vermögen rund 17 Mrd. Euro (Stand Jahresende 2022).
Vorsorgekasse versus Pensionskasse
Es ist wichtig, zwischen betrieblichen Vorsorgekassen und Pensionskassen zu unterscheiden. Erstere sind für die Abfertigung neu zuständig, letztere für freiwillige betriebliche oder vertragliche Pensionsversicherungen. Die Vorsorgekasse wird vom Arbeitgeber ausgewählt, eine Wahlfreiheit für die Arbeitnehmer:innen gibt es nicht. Wählt der Arbeitgeber keine Vorsorgekasse, erfolgt eine Zuweisung.
Insgesamt sind acht Anbieter auf dem Markt vertreten:
Abfertigung neu: Mit Kapitalgarantie
Der Arbeitgeber zahlt Beiträge in Höhe von 1,53 Prozent des Einkommens (brutto) an die gewählte Vorsorgekasse. Diese legt die eingezahlten Beträge in Form eines Sondervermögens an. Es besteht eine Kapitalgarantie. Das bedeutet, dass im Falle einer Auflösung zumindest die eingezahlten Beträge zuzüglich allfälliger erwirtschafteter Erträge ausbezahlt werden. Einige Mitarbeitervorsorgekassen (z. B. Fair-Finance) bieten zusätzlich eine Zinsgarantie an. Das bedeutet, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt auch die erwirtschafteten Erträge garantiert sind.
Vorschriften zur Risikominimierung
Hinsichtlich der Veranlagung gibt es eindeutige Vorschriften, wie die Gelder der Anspruchsberechtigten anzulegen sind. Es bestehen zum Beispiel Bestimmungen für:
- Beteiligungswertpapiere (z. B. Aktien): maximal 40 %
- Guthaben bei Kreditinstituten – maximal 25 % bei einer Kreditinstitutsgruppe
- Alternative Investments: maximal 5 %
Ferner gibt es eine ganze Reihe von Bestimmungen bezüglich maximaler Anlagen eines Emittenten, in Bezug auf Fremdwährungen etc. Ziel dieser Vorschriften ist es, Klumpenrisiken zu vermeiden, eine möglichst breite Streuung und damit Sicherheit für die Anlegergemeinschaft zu erreichen sowie einen stetigen Vermögensaufbau zu gewährleisten. Fairerweise muss berücksichtigt werden, dass die breite Streuung und die Risikominimierung zwangsläufig zu einer Verringerung der Ertragschancen führen.
Veranlagungsergebnis 2022 – Ursachen
Im ersten Halbjahr 2023 haben die Vorsorgekassen die Kontoinformationen (per 31.12.2022) versandt und mit einem ausgewiesenen Minus für Verärgerung gesorgt. Im Durchschnitt aller acht Vorsorgekassen sackte das Veranlagungsergebnis um fast acht Prozent ab, keine einzige Vorsorgekasse konnte 2022 positiv abschließen.
Um diese Veranlagungsergebnisse beurteilen zu können, gilt es zunächst die Rahmenbedingungen genauer zu betrachten, also sozusagen Ursachenforschung zu betreiben:
Aktien
Das Jahr 2022 verlief für bestehende Veranlagungsgemeinschaften sehr ungünstig. Der ATX der Wiener Börse lag Ende 2022 bei 3.126,39 Punkten. Ende 2021 notierte er noch bei 3.861,06 Punkten. Dies entspricht einem Rückgang von rund 19 Prozent. Der MSCI World Aktienindex verzeichnete ein Minus von 12,78 Prozent (Quelle: Statista.com). Aktien (die maximal zu 40 % als Anlage genutzt werden dürfen) erzielten somit zweistellige negative Renditen.
Anleihen
Laut der Website des Verbandes der Vorsorgekassen waren zuletzt zwischen 75 und 80 Prozent der Mittel in Anleihen investiert, also in Anlageformen, die gemeinhin als sicher bezeichnet werden/wurden. Eine Vorschrift (genannt Tageswertprinzip) führte in Verbindung mit der „Großwetterlage“ am Anleihemarkt (steigende Leitzinsen) dazu, dass die Vorsorgekassen ein negatives Veranlagungsergebnis faktisch nicht vermeiden konnten. Das Ergebnis dieser Gemengelage war ein „buchungstechnischer Kursverlust“. Anlageformen, die neutrale oder positive Renditen hätten erzielen können, wurden aufgrund der Anlagerichtlinien untergewichtet und konnten somit die Verluste nicht kompensieren.
Ein Lichtblick: Spiel auf Zeit
Die „Großwetterlage“ wird sich auch 2023 nicht signifikant ändern. Die Leitzinsen steigen weiter. Dies könnte die Veranlagungsergebnisse der Vorsorgekassen auch im Jahr 2023 belasten. Aber ein Lichtblick bleibt für jene Anleger:innen , die noch einige Zeit im System verbleiben. Die jetzt nach unten korrigierten Kurse der Anleihen müssen sich bis zur Endfälligkeit wieder 100 Prozent nähern und bringen so in den nächsten Jahren vermutlich eben auch eine erhöhte Rendite. Dies sollte sich positiv auf die zukünftigen Veranlagungsergebnisse auswirken.
HTM-Widmung
Der Gesetzgeber hat den Vorsorgekassen ein Werkzeug verschafft, diese Situation kosmetisch etwas zu verschönern. Es existiert die Möglichkeit, Anleihen unter bestimmten Voraussetzungen einer sogenannten HTM-Widmung zu unterziehen (= Held to Maturity oder „Halten bis zur Fälligkeit“). Das heißt, dass diese Anleihen bis zur Fälligkeit im Portfolio verbleiben. In diesem Fall darf die Vorsorgekasse das Tageswertprinzip verlassen und die Anleihe weiterhin mit dem Nominal- oder dem Anschaffungswert bewerten. Wird dies gemacht, entfällt der „buchungstechnische Kursverlust“ durch die Zinssatzänderung.
Unterschiede zwischen den Kassen
Die Finanzmarktaufsicht (FMA) hat im März dieses Jahres klargestellt, dass maximal 60 Prozent des Vermögens und maximal 25 Prozent in Unternehmensschuldverschreibungen so gewidmet werden dürfen. Dazu gibt es noch Klarstellungen über Bonitätsvoraussetzungen, Laufzeiten und Verzinsungen, die entsprechend erfüllt sein müssen. Diese Möglichkeit wurde von den einzelnen Kassen in unterschiedlichem Ausmaß in Anspruch genommen. So wurde hier ein Ermessensspielraum geschaffen, in welcher Höhe ein Verlust ausgewiesen werden kann, der eine Vergleichbarkeit für Anleger:innen erschwert.
Auswirkungen
Man kann HTM-Widmungen durchaus mit geteilter Meinung gegenüberstehen. Einerseits können hier Ausschläge des Veranlagungsergebnisses geglättet werden (zumindest in einem gewissen Umfang). Dies bedeutet für Anleger:innen, die in nächster Zeit ausscheiden, natürlich einen Vorteil, da die Anleihen mit einem höheren als dem aktuell erzielbaren Ertrag bewertet werden. Dieser Vorteil ist gleichzeitig der Nachteil für Neueinzahlungen, da die Beiträge jetzt eigentlich zu günstigeren Kursen und damit besseren Renditen angelegt werden könnten, diese aber durch den Bestand der HTM-Anleihen gedämpft werden.
Wenn ein:e Anleger:in bzw. ein Arbeitgeber jetzt eine neue Abfertigungskasse sucht, kann der Anteil an gewidmeten Veranlagungen ein Aspekt der Auswahl sein.
Kritikpunkte
Trotzdem bleibt Kritik gegenüber den Vorsorgekassen. Die Gewerkschaft GPA kritisiert zu Recht die von ihr festgestellten Eigentümerrenditen von rund 21 Prozent gegenüber der Performance der angelegten Gelder. Letztere liegt im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre bei rund zwei Prozent.
Nun speisen sich die Vergütungen der Kassen nicht aus der Performance, sondern aus den eingehobenen Beiträgen und dem veranlagten Volumen. Als die Kostenanteile (in der Regel ein Prozentwert) festgelegt wurden, stand das System noch am Anfang, von hohen Volumina war keine Rede. Nach mittlerweile 20 Jahren hat sich jedoch einiges angesammelt. Es ist im Sinne der Anleger:innen zu prüfen ob die erhobenen Gebühren noch angemessen sind. Zwar würde auch die Senkung der Kostensätze ein schlechtes Jahr wie 2022 nicht aufwiegen. Langfristig jedoch können Kosten sehr wohl zu einer spürbaren Verbesserung der Anlageentwicklung beitragen.
Keine Qual der Wahl
Die Wahl der Vorsorgekasse obliegt dem Arbeitgeber. Was man aus praktischen Gründen verstehen kann, damit entsprechender Aufwand bei der Buchhaltung und Abführung vermieden werden kann. Allerdings handelt es sich um Geld der Arbeitnehmer:innen, die nur indirekt und wenig Einfluss auf die Auswahl der Kasse haben. Das System dahingehend zu öffnen, dass die eigentlichen Anleger:innen die für sie passende Kasse auswählen dürfen, könnte in Anbetracht der fortgeschrittenen IT-Technik sicherlich geprüft werden. Im Endeffekt könnte dies den Wettbewerb zwischen den Kassen deutlich erhöhen und Verbesserungen erreichen. Arbeitgeber, mit Ausnahmen natürlich, interessieren sich eher wenig für die Performance der Kassen. Die Eigentümer des Geldes umso mehr.
Empfehlungen
Wie sollte man also mit der Jahreskontoinformation umgehen? Zunächst einmal: Keine Panik! Ja, es liest sich schmerzhaft, doch hat man noch einige Zeit bis zur Pensionierung bzw. bis zur Auszahlung, so wird sich diese harte Zäsur durch tendenziell höhere Renditen in den kommenden Jahren wieder ausgleichen. Für den Vergleich und die Bewertung der langfristig orientierten Anlagen einer Vorsorgekasse bietet sich eher die Performance p. a. über einen Zeitraum von fünf oder besser noch zehn Jahren an. Hier liegt man zwar immer noch nur etwa bei einem Inflationsausgleich (~ 2% Rendite über 10 Jahre), allerdings relativiert dies dann tatsächlich ein negatives Jahr wie 2022. Wenn man als Anleger:in die Entwicklung zwischen den Kassen vergleichen möchte, sollte man das auch in diesem Bereich tun – insbesondere, weil über diesen Zeitraum auch einzelne „Schönungsaktionen“, etwa durch HTM-Widmung von Anleihen, nicht so ausschlaggebend sind.
Fazit
Das System der Vorsorgekassen ist nicht perfekt, jedoch als langfristige Anlage gesehen und hinsichtlich der Kapitalausstattung zumindest eine akzeptable Form des Vermögensaufbaus bzw. der Pensionsvorsorge.
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