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Citizen Science - Jeder ist Wissenschaftler

Citizen Science. „Bürgerwissenschaftler“ produzieren mit ihren Beobachtungen eine Datenmenge, die die „echte“ Wissenschaft alleine nie bereitstellen könnte. Einige Beispiele aus der Praxis.

 

Citizen Science: "Bürgerwissenschaftler" produzieren große Datenmengen; Bild: älterer Mann untersucht Blatt am Baum mit der Lupe; Foto: Just-dance/Shutterstock.com

Als Carl H. an der Gartenmauer eine etwa 50 Zentimeter lange Schlange entdeckte, war das aufregend – und durchaus etwas unheimlich. Denn in seinem Garten hatte er noch nie eine Schlange gesichtet. Welche Art ist das, ist sie giftig? Diese Frage, ins Internet gestellt, führte auf die Website Amphibien und Reptilien Österreichs, die einlädt, Sichtungen von Amphibien und Reptilien in ­Österreich zu melden, am besten mit Foto.

Basis für wissenschaftliche Publikationen

Die von Herpetofauna gesammelten und ausgewerteten Daten werden an die her­petofaunistische Datenbank des Naturhistorischen Museums in Wien weitergeleitet. Sie stellen eine Grundlage zur Kenntnis über die Verbreitung von Amphibien und Reptilien in Österreich dar. Die Fundmeldungen dienen als Basis für wissenschaft­liche Publikationen, Gutachten, Diplom­arbeiten und Dissertationen sowie die bildliche Darstellung in Form von Verbreitungskarten. Binnen weniger Stunden bekam Herr H. Antwort; die gesichtete Schlange war eine harmlose, ungiftige junge Äskulapnatter. Und Herr H. war mit seiner Sichtungsmeldung unvermittelt zum Citizen Scientist, zum Bürgerforscher, geworden.

Wissen von Laien

Citzen Science (Bürgerwissenschaft) macht sich das Interesse und Wissen von wissenschaftlichen Laien zunutze. Sie generiert aus Einzelbeobachtungen einen Mehrwert, indem diese systematisiert an die Wissenschaft weitergeleitet und zu einem größeren Ganzen zusammenfügt werden. So wird die Verbreitung von Tieren und Pflanzen, werden Wetter- und Klimaereignisse doku­mentiert, um damit Natur, Artenvielfalt und ­Klimaentwicklungen besser verstehen und wissenschaftliche Erkenntnisse und Maßnahmen daraus ableiten zu können.

Die Kombination aus Citizen Science, Web 2.0 und der Open-Access-Bewegung hat das Zusammenwirken vieler Menschen in einem Projekt stark erleichtert und dieser Form der Wissenssammlung, -nutzung und -verbreitung in den vergangenen Jahren enormen Auftrieb verliehen. Wikipedia ist wohl eines der bekanntesten Beispiele für ein solches Zusammenwirken. Die Ahnenforschung mit GenTeam (GenTeam - Die genealogische Datenbank) und die Geschichtsforschung mit dem nach Gemeinden geordneten Zugänglichmachen alter Fotos und Unterlagen im Projekt Topothek (Topothek - Unsere Erinnerung) sind weitere anschauliche Beispiele. Naturbeobachtungen unterschiedlichster Art sind aber das Feld, in dem wohl die meisten Citizen-Science- Projekte angesiedelt sind.

Projekte zum Schutz der Natur

Natur bewusst wahrnehmen

Es gibt kaum ein Thema, ob lokal begrenzt oder global, wo nicht durch ein Citizen- Science-Projekt wissenschaftliches Arbeiten unterstützt werden kann. Auf der Online- Plattform Naturbeobachtung des Naturschutzbundes Österreich werden Sichtungen von Tieren, Pflanzen und Pilzen gesammelt, die über eine einfache Eingabe- Maske eingetragen werden können; auch Fotos kann man hochladen. Experten überprüfen dann die Einträge und helfen bei der Bestimmung von Arten. So entsteht eine Österreich-Karte, die zeigt, wann wo welches Lebewesen gesehen wurde. Im ­Diskussionsforum ist ein Austausch mit ­anderen Natur­interessierten möglich. In Themen-Aktionen wie Säugetiere in Oberösterreich, ­Reptilien und Amphibien in der Steiermark, Hummeln erleben, Kirchturmtiere, Vögel im Siedlungsraum, Aufblühn in Salzburg werden spezifische Beobachtungen gesammelt.

Tiere mit App erfassen

Beim Projekt Kirchturmtiere, einer gemeinschaftlichen Aktion des Vereins zur Förderung kirchlicher Umweltarbeit, von BirdLife Österreich und dem Naturschutzbund ­Österreich, wird erforscht, welche Tiere – egal ob Insekten, Spinnen, Vögel, Säuge­tiere oder Amphibien – im 100-Meter-­Umkreis um Kirchen in Österreich leben; etwa in Pfarrgärten, Kirchtürmen, Mauern, Dächern sowie Wiesen. Eine kostenlose App erleichtert das Erfassen der Tiere. So erhöht sich unter Mithilfe naturinteressierter Menschen der Datenbestand rasch; die Wissenschaft alleine könnte das nie leisten. Es entsteht eine Karte von Österreich mit allen Tieren, die rund um Kirchen leben. In einem weiteren Schritt soll das gewonnene Know-how helfen, diese Lebensräume für ihre tierischen Bewohner zu schützen und langfristig zu erhalten – insbesondere ­während Renovierungsarbeiten und bei Umbauten. Denn nur was wir kennen, das können wir auch schützen.

Schutz der heimischen Vogelarten

Der Verein BirdLife Österreich erforscht und schützt die heimische Vogelwelt seit über 50 Jahren. Dabei ist seit jeher Citizen Science eine wesentliche Grundlage dieser Arbeit. Auf der Plattform Vogelbeobachtung können Vogelbeobachtungen gemeldet sowie Fotos und Tonaufnahmen von Vögeln hochgeladen werden. Auf diese Weise wird Wissen über die heimische Vogelwelt gesammelt. Als Basis für Artenschutz-­Aktionen gibt es immer wieder spezielle Schwerpunkte. So hatten der Verein BirdLife und die Umweltabteilung der Stadt Wien kürzlich aufgerufen, Spatzen zu zählen, um einen Überblick über die Spatzenpopulation in Wien zu gewinnen. Es wurden 3.400 Spatzen und 199 Spatzen-WGs gesichtet und gemeldet.

Gefahren für Tiere auf der Straße erkennen

Im Projekt Roadkill (Roadkill) wird erhoben, wo welche Tiere auf Straßen zu Tode kommen. Ziel ist, mit diesen Daten die Anzahl auf Straßen getöteter Tiere zu reduzieren, indem den Ursachen auf den Grund gegangen wird, und Gefahrenpunkte zu entschärfen.

Ragweedvorkommen dokumentieren

Ragweed, eine in Nordamerika heimische Pflanze, wurde nach Europa eingeschleppt. Sie spielt für Pollenallergiker vor allem im Osten und Süden Österreichs eine große ­Rolle. Daher hat der Österreichische Pollenwarndienst an der MedUni Wien den Ragweedfinder (Ragweedfinder ) entwickelt. Damit kann jeder dazu bei­tragen, Ragweedvorkommen öffentlich zu dokumentieren und aufzuzeigen, wo die ­Belastung für Allergiker besonders hoch ist, damit Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.

Wasser-Projekt

Am Thema Wasser Interessierte lädt CrowdWater (ein Citizen-Science-Projekt der Uni Zürich) ein, mit der CrowdWater-App hydrologische Daten in verschiedenen Kategorien zu sammeln; etwa zu Wasserstand, Bodenfeuchte, Plastikverschmutzung in und an Gewässern und zu Fließgewässern – auch in Österreich. Langfristig ist Ziel des Projekts, mithilfe der gesammelten Daten die Vorhersage hydrologischer Ereignisse wie zum Beispiel Trockenheit oder Überschwemmungen zu verbessern. Die Methode soll auch in entlegenen Regionen und Entwicklungsländern Anwendung finden.

Forscher Plattformen

Die ganze Erde im Blick

Global angelegt ist Geo-Wiki (Geo-Wiki: Erdbeobachtung & Citizen Science), das 2009 vom International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg gegründet wurde. Es bietet Bürgerwissenschaftlern die Möglichkeit, sich am Umweltmonitoring der Erdoberfläche zu beteiligen, indem sie Satel­liten- und Luftbilder detailliert auswerten, etwa betreffend Entwaldung und Hurrikanschäden. So werden Wissenschaftler dabei unterstützt, verlässliche Informationen und genaue Landkarten über den Zustand und die Veränderungen auf unserem Planeten zu generieren.

Zersetzung von Tee

Kurios mutet auf den ersten Blick das internationale Projekt Tea Bag Index (Tea Bag Index) an, bei dem Zersetzungsprozesse pflanzlichen Materials im Boden erforscht werden. Dazu werden Grüntee-Beutel vergraben und die GPS- Daten notiert. Nach drei Monaten werden die Beutel wieder ausgegraben, getrocknet und gewogen. Die Ergebnisse werden samt GPS-Daten in eine Karte eingetragen. Der Gewichtsverlust zeigt an, wie viel des ­enthaltenen Tees zersetzt wurde. So kann beispielsweise von der Wissenschaft der Einfluss von Standort und Bodenzusammensetzung auf die Zersetzungsgeschwindigkeit analysiert werden.

Forscher-Plattformen

Nationale und internationale Plattformen erleichtern die Suche nach interessanten Projekten. In Österreich informieren die Plattform „Österreich forscht“ (Österreich forscht) sowie das Zentrum für Citizen Science (Zentrum für Citizen Science) über das Thema sowie über ­aktuelle Citizen-Science-Projekte. Zoo­niverse (Zooniverse) und Sci­Starter (Sci-Starter) sind zwei internationale englischsprachige Web-Portale, die zahlreiche Bürgerwissenschafts-Projekte aus unterschiedlichsten Fachgebieten vorstellen.

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