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Feuerwerkskörper - "Frauen sind geduldiger"

In der Silversternacht werden wieder Hunderttausende Raketen den Himmel in allen Farben erstrahlen lassen. Kaum jemand ist sich dessen bewusst, unter welch menschenverachtenden Bedingungen die Feuerwerksartikel hergestellt werden.

Böller und Raketen

Es ist bald wieder so weit: Das neue Jahr wird mit Böllern und Raketen begrüßt. In rund 10.000 Verkaufsstellen – von Baumärkten über Supermärkte bis zu Papier- und Juxartikelgeschäften – gehen pro Jahr Waren im Wert von 8 Millionen Euro über den Ladentisch, geschätzte 80 Prozent davon werden vor Silvester umgesetzt. Das wird wieder mehr als tausend Personen Gehörschäden oder Handverletzungen bescheren, einige werden dauerhaft schwerhörig bleiben, anderen werden Finger amputiert werden müssen ...

7000 Fabriken in China

Doch das ist nur ein kleiner Teil der Schreckensbilanz. Die meisten Opfer der Pyrotechnikindustrie sind bei der Erzeugung der Feuerwerkskörper zu beklagen. Längst schon wurde der Großteil der Produktion in Länder der Dritten Welt ausgelagert. Neun von zehn Raketen, Batterien oder Römischen Lichtern weltweit kommen heute aus China. 7000 Fabriken gibt es dort, sie beschäftigen eine halbe Million Menschen. Und das ist nur der legale Bereich, die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein. Viele zugelassene Fabriken gehen dazu über, besonders gefährliche Produktionsaufträge an Subunternehmen weiterzuleiten, die sie wiederum in Heimarbeit vergeben – an (kinderreiche) Familien.

Laut Statistik 10.000 Tote

Anfang März 2001 explodierten in einer Grundschule in der ostchinesischen Provinz Jianxi Feuerwerkskörper. Das Gebäude wurde vollständig zerstört und über 60 Kinder und Lehrer wurden getötet. Die Kinder hatten Zündschnüre an Feuerwerkskörpern angebracht, um Geld für die Schule zu beschaffen. Nichts Ungewöhnliches in China: Für Lehrer, die häufig gar nicht oder nur mit großer Verspätung entlohnt werden, stellt das eine Möglichkeit dar, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.

Verheerende Unfälle 

In den letzten 20 Jahren wurden laut offizieller Statistik rund 10.000 Menschen Opfer von Unfällen in Feuerwerksfabriken. Einer der letzten, die international bekannt wurden, geschah in der Provinz Hunan im September 2005. Bei einer Explosion wurden alle Gebäude im Umkreis von 500 Quadratmetern zerstört. 13 Menschen verloren ihr Leben.

 

Hunan: Metropole für Feuerwerksartikel

Im September 2006 startete ein dänisches Reporterteam Richtung China. Unter dem Vorwand, Feuerwerksartikel für zahlungskräftige heimische Kunden importieren zu wollen, hatten die Reporter eine Einladung von der Firma Fuxiang Fireworks, einem der größten Feuerwerksproduzenten in Liuyang, bekommen. Die Stadt in der Provinz Hunan gilt als die Metropole für Feuerwerksartikel. Böller und Raketen im Wert von 370 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr in alle Teile der Welt geliefert. Im Empfangsraum des Unternehmens waren Batterien in der Größe von Abfalleimern, bazookaartige Kanonenrohre und Tisch-Bomben mit barbusigen Frauen ausgestellt – das sollte signalisieren: Wir produzieren Artikel in jedem Design.

Hauptsächlich weibliche Arbeitskräfte

In den Fuxiang-Werken, die 300.000 Quadratmeter Land beanspruchen, sind kaum Männer zu sehen. Die meisten der 2200 Arbeitskräfte sind Frauen: „Frauen sind geduldiger“, erklärt der Juniorchef Jiang Xisong. In einer Halle legen 9 Frauen Schicht für Schicht von graubraunem Papier um eine Sprengladung. 18 Schichten sind notwendig, jede Frau schafft 200 Bomben täglich. In einer anderen Halle füllen Frauen leicht entzündliche Sternspritzer in eine Pappkartonröhre. Wenn sie feucht werden oder zu Boden fallen, könnten sie sich entzünden. Feuerlöschgeräte sind nirgends zu sehen – nur ein paar Wasserbottiche außerhalb der Gebäude.

Kaum Überlebenschancen

Besonders gefährliche Arbeiten, wie das Abfüllen von Schwarzpulver, werden im Freien ausgeführt. Hier gibt es sogar so etwas wie ein primitives „Sprinkler-System“: Über den Köpfen der Arbeiterinnen hängen mit Wasser gefüllte Plastiksäcke. Sollte sich das Pulver in den Händen der Frauen entzünden, würde die Temperatur auf über 300 Grad C steigen. Das würde die Säcke zum Schmelzen bringen – ebenso wie die Haut der Frauen. Auch ihre Lungen würden in Mitleidenschaft gezogen, die Überlebenschancen wären in einem solchen Fall gering. Aber kaum eine der Frauen trägt eine Schutzmaske oder Handschuhe. Auf einer Wäscheleine sind Masken zum Trocknen aufgehängt …

Chemikalien gefährden die Gesundheit

Schwarzpulver ist nicht die einzige Substanz, die Gefahren birgt. Um all die hübschen Farben einer Rakete herzustellen, werden eine Menge Chemikalien eingesetzt, Barium für Grün, Strontium für Rot, Sodium für Gelb, Kupfer für Blau. Substanzen, die beim Einatmen oder bei Körperkontakt die Gesundheit gefährden. Von der „Sondergefahrenzone“ bleiben auch die dänischen Besucher ausgesperrt.

 

Sicheres Feuerwerks-Herstellen unmöglich

Viele der in chinesischen Fabriken eingesetzten Chemikalien sind so gefährlich, dass sie in Europa längst verboten oder mit so strengen Auflagen verbunden sind, dass sie kaum Verwendung finden. Lars Hoffmann Barfod, ein früherer Feuerwerksproduzent aus Dänemark, attestierte dem Reporterteam nach dessen Heimkehr: „Die wirklich gefährlichen Materialien, die für die meisten schweren Unfälle verantwortlich sind, hat man euch gar nicht gezeigt.“ Es sei naiv zu glauben, man könne Feuerwerke sicher herstellen. „Es ist eine Frage der Statistik. Die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls wächst mit dem Ausmaß der Produktion.“

Langer Arbeitstag, höhere  Gefährdung

Der 17-Stunden-Tag erhöht das Gefährdungspotenzial zusätzlich. „Die Arbeiter werden müde, und dann stellen sich Fehler ein.“ Lars Barfod hat den Niedergang der europäischen Feuerwerksindustrie miterlebt: „Wir sehen alle gerne ein prächtiges Feuerwerk, aber wir wollen nicht, dass es bei uns zu Haus hergestellt wird. Deshalb siedeln wir die Fabriken weit weg von uns an, um Unfälle zu vermeiden.“

120 Euro  pro Monat

Die Arbeiterinnen von Fuxiang Fireworks können 120 Euro pro Monat verdienen, das ist für chinesische Verhältnisse sehr viel. In den kleineren Unternehmen, die überwiegend für den Inlandsbedarf produzieren, bekommen die Arbeitskräfte nur halb so viel. Und dort sind auch die Sicherheitsstandards noch niedriger als in den großen Fabriken, die für den Weltmarkt produzieren.

Produktion um jeden Preis

Selbst bei Fuxiang dauert ein Arbeitstag von 6 Uhr früh bis 23 Uhr, was gegen die chinesischen Gesetze verstößt. Doch Gesetze stehen infolge der weitverbreiteten Korruption bloß auf dem Papier. Die einzige Gewerkschaft des Landes wird vom Staat kontrolliert. Im günstigsten Fall hält sie sich aus Arbeitskonflikten heraus, wenn sie nicht aktiv die Staatsinteressen verfolgt, die da lauten: Die Produktion muss um jeden Preis angekurbelt werden.

 

Niedriges Preisniveau erwünscht

Branchenvertreter in Europa sehen die Dinge gelassen. Kurt Lang, Geschäftsführer des Bundesgremiums Eisen- und Hartwarenhandel in Österreich: „Die Produzenten müssen die pyrotechnischen Bestimmungen einhalten.“ Dabei geht es um die Sicherheit beim Gebrauch von Feuerwerken. Auflagen, die Sicherheits- und Sozialstandards in der Produktion betreffen, sind ihm nicht bekannt.

„Ich wüsste nicht, was das für einen Sinn haben soll“, meinte dazu Werner Wolm, Geschäftsführer der Großhandelsfirma Pyrostar. Er wäre zwar dafür, dass die chinesischen Lieferanten einen fairen Preis erhalten, aber der Markt werde von deutschen Großhändlern dominiert, die Lebensmitteldiskonter und Baumärkte zu Niedrigstpreisen beliefern.

Größerer Druck bewirkt Abwanderung

Lars Schou Hansen vom dänischen Großhandelsverband spricht mit seinen beschwichtigenden Worten wohl vielen Branchenkollegen aus der Seele: „Die Produzenten in China müssen die Behördenauflagen erfüllen, um eine Exportgenehmigung zu erlangen. Daher gibt es keinen großen Bedarf dafür, unseren Lieferanten zusätzliche Auflagen zu erteilen. Und wenn wir zu viel Druck ausüben, dann wandert die Produktion von China ab, nach Äthiopien oder sonst wohin.“

Bildergalerie: Feuerwerk-Herstellung

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Feuerwerk-Herstellung
Feuerwerk-Herstellung Unter der Decke: Mit Wasser gefüllte Plastiksäcke als Ersatz für eine Sprinkleranlage. | Bild: Foto: Taenk, ms, Heft 1/2007
Feuerwerk-Herstellung
Feuerwerk-Herstellung Chinesische Arbeiterin steckt Sicherungen in Kartonschalen, die zur Herstellung kleiner Bomben dienen. | Bild: Foto: Taenk, ms, Heft 1/2007
Feuerwerk-Herstellung
Feuerwerk-Herstellung Unter der Decke: Mit Wasser gefüllte Plastiksäcke als Ersatz für eine Sprinkleranlage. | Bild: Foto: Taenk, ms, Heft 1/2007
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Feuerwerk-Herstellung Chinesische Arbeiterin steckt Sicherungen in Kartonschalen, die zur Herstellung kleiner Bomben dienen. | Bild: Foto: Taenk, ms, Heft 1/2007

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