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Spielzeughersteller im Ethiktest - Schlaflos in Guangdong

, aktualisiert am

Damit die Puppe oder das Auto rechtzeitig auf dem Gabentisch landet, gönnt man den chinesischen Arbeiterinnen kaum Pausen. Sind die Zustände in der Branche seit unserer letzten Untersuchung fairer geworden?

Auch heuer wird sich unter dem Weihnachtsbaum wieder millionenfach Spielzeug stapeln, seien es Puppen, Plüschtiere, Spiele oder Sportartikel. Auf 80 Milliarden US-­Dollar wird der weltweite Spielzeugmarkt geschätzt und ein Großteil davon wird zum Jahresende ausgegeben, um Kinderaugen bei der großen Bescherung zum Leuchten zu bringen.

Arbeiterinnen in einer Spielzeugfabrik; Bild: ICRT 

Spielzeug aus China

Doch woher kommen die vielen verlockenden Dinge, unter welchen Bedingungen werden sie hergestellt? Mittlerweile genießt China als Spielzeugproduzent fast schon ­Monopolstatus, 86 Prozent der Spielzeug­importe in die EU werden im Reich der Mitte gefertigt, zum Großteil in der Provinz Guangdong, im „Hinterland“ von Hongkong. Was bekommen die Menschen dort vom „Fest der Liebe“ mit, was bringt ihre Augen zum Glänzen – Freude oder Leid?

Produktionsbedingungen: Mattel, Lego, Playmobil u.a. im Test

Mehrere europäische Verbraucherorganisationen, darunter der Verein für Konsumenteninformation (VKI), haben eine Untersuchung der Produktionsbedingungen der wichtigs­ten Markenhersteller in Auftrag gegeben – von Mattel über Walt Disney, Lego, Play­mobil bis Hasbro und MGA. Von jedem ­dieser Unternehmen wählten wir zwei der meistverkauften Artikel aus – Puppen, Action-­Figuren, Plüschtiere, Spielzeugautos etc. –, um ihrer Entstehungsgeschichte auf den Grund zu gehen.

Verhaltenskodex zu fairen Arbeitsbedingungen

Hat sich die Situation seit dem letzten Ethik-Test über die Spielwarenbranche vor acht Jahren (lesen Sie auch Spielzeughersteller im Ethik-Test KONSUMENT 12/2004) verbessert? Immerhin hat sich der internationale Spielzeugindustrieverband ICTI (International Council of Toy Industries) einen Verhaltenskodex (Code of Conduct) auf­erlegt, der faire Arbeitsbedingungen sowie Sicherheit und Gesundheit der Arbeit­nehmer zum Inhalt hat. Auf der anderen Seite ist der Trend zum Auslagern der Produktion zum Billigstbieter weiter fortgeschritten. In Europa gibt es nur mehr ganz wenige Produktionsstätten von Spielzeug, auch frühere Vorzeigeunternehmen suchen ihr Heil (sprich: Gewinnmaximierung) in China.

Hier finden Sie alle KONSUMENT-Tests zum Ethischen Konsum.

Zu lange Arbeitszeiten, zu niedrige Entlohnung

Grobe Missstände hinter der Fassade

Nun, augenscheinlich hat sich in China einiges zum Besseren gewendet. Die Fabriken wurden modernisiert, die Gebäude sind relativ neuwertig, in den Produktionshallen herrscht Hightech-Equipment vor. Und auch die Menschen haben sich geändert. Eine neue Generation von Wanderarbeitern ist heute aktiv. Sie sind, nicht zuletzt dank dem weitverbreiteten Internet, viel besser informiert als früher. Die Arbeitskräfte lassen sich nicht mehr alles gefallen, Medienberichte über spontane Protestaktionen und Streiks häufen sich. Meist geben die Arbeitgeber schnell nach, um zu verhindern, dass die ­Rebellion auf andere Abteilungen oder Betriebe übergreift.

Doch hinter der Fassade verbergen sich nach wie vor grobe Missstände. Am wei­testen verbreitet sind übermäßig lange ­Arbeitszeiten und zu niedrige Entlohnung. So gibt es Berichte, dass die – überwiegend weiblichen – Arbeitskräfte in der Saison 12-Stunden-Schichten ableisten müssen, sieben Tage in der Woche. Das erlaubte Überstundenlimit wird damit bei Weitem überschritten, gleichzeitig liegt die Überstundenzahlung mit 75 Euro-Cent pro ­Stunde weit unter dem gesetzlichen Limit. Kost und Quartier werden automatisch vom Lohn abgezogen, auch wenn die ­Arbeiter dies gar nicht in Anspruch nehmen. Die Schlafsäle sind schmutzig und überfüllt, Ratten und Wanzen keine ­Seltenheit.

Viele kennen ihre Rechte nicht

Viele Fabriken heben Strafbeträge ein, wenn ein Arbeiter sich weigert, Überstunden zu leisten, oder zu lange auf der Toilette war. Und trotz des gewachsenen Selbstbewusstseins der Arbeiter(innen) ist vielen von ihnen nicht bekannt, welche Rechte ihnen zustehen. Häufig bekommen sie nicht einmal eine Kopie ihres Dienstvertrages ausgefertigt, sie erhalten keine Entschädigung im Krankheitsfall, der ausstehende Lohn wird ihnen vorenthalten, wenn sie den Betrieb verlassen.

Wozu die Fairness-Verpflichtung?

Wie verträgt sich das mit der Fairness-­Verpflichtung von ICTI? Sieben der neun untersuchten Markenkonzerne (Ausnahmen: Disney und MGA) lassen sich von ICTI überprüfen und verlangen auch von ihren Lieferanten ein ICTI-Zertifikat. Doch die Auflagen sind nicht gerade streng – so kann man ein Zertifikat schon erlangen, wenn die Arbeitszeit „nur“ 200 Prozent über der gesetzlich erlaubten Arbeitszeit liegt. Viele Unternehmen meinen, mit der Teilnahme an den ICTI-Programmen ihre Pflicht erfüllt zu haben, und bemühen sich gar nicht mehr, die gesetzlichen Bestim­mungen zu erfüllen oder zu überprüfen, ob nicht ihre Einkaufspraktiken, wie zu knappe Lieferfristen, schuld an den miserablen Arbeitsbedingungen sind.

Nur zwei Unternehmen geben Informationen preis

„Ohne Druck kein Fortschritt“

Ein paar Verbesserungen habe es in den ­letzten Jahren gegeben, etwa bei den Mindestlöhnen und bei Maßnahmen zur Sicherheit und Gesundheit, stellt auch Debby Chan von der Hongkonger NGO (Nichtregierungsorganisation) SACOM fest, auch die Fälle von Kinderarbeit seien zurückgegangen. Aber substanziell seien diese Veränderungen nicht gewesen. Auch für Qiang Li von China Labour Watch waren die Verbesserungen sehr begrenzt und sind nur durch den Druck der Öffentlichkeit zustande gekommen. „Ohne Druck von außen würden die Markenkonzerne keinen Finger rühren.“

Informationen nur von zwei der neun Unternehmen

Die Ergebnisse unserer Untersuchung bestä­tigen diese zurückhaltenden Experteneinschätzungen. Dass nur zwei von neun untersuchten Unternehmen überhaupt Informa­tionen zur Verfügung stellten, mag belegen, dass die Branche lieber den Mantel des Schweigens über ihre Taten breiten würde. Nur ein Konzern, Hasbro, kooperierte von Beginn an. Playmobil entschloss sich erst nach einer Nachdenkphase zur Kooperation. Auch Lego zeigte sich letztlich zu einer wenigstens partiellen Teilnahme bereit, allerdings erst zwei Monate nach Abschluss der Untersuchung – dieses verspätete Angebot konnte somit nicht mehr berücksichtigt werden. Vier der sieben Verweigerer fanden es nicht einmal der Mühe wert, eine Begründung für ihre Weigerung zu liefern.

So konnten auch nur zwei chinesische Werke von Hasbro und eines von Playmobil (in Malta) besichtigt werden. Von den übrigen sieben Marken wurden die öffentlich zugänglichen Informationen ausgewertet.

Vorstufen bleiben im Dunkel

Was die Unternehmenspolitik betrifft, so scheinen die US-Konzerne Hasbro und Mattel am besten gerüstet, um ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. An dritter Stelle folgt Walt Disney. Dies gilt vor allem für die Sozialmaßnahmen. Bezüglich umwelt­bewusster Politik kann eigentlich nur Hasbro als auf der Höhe der Zeit bezeichnet werden.

Besonders schwach ausgeprägt ist die Verantwortung für die Vorstufen. Ob die Lie­feranten Mindeststandards einhalten oder nicht, wird kaum geprüft. Mit unfairen Einkaufspraktiken wird den Lieferanten das ­Messer angesetzt (nur Hasbro bildet eine ­Ausnahme). Extremer Preisdruck, kurze Lieferzeiten und Auftragsänderungen in letzter Minute sind ja mitverantwortlich dafür, dass die Lieferanten ihren Arbeitern keine höheren Löhne zahlen und die erlaubte Arbeitszeit massiv überschreiten.

Einige Verbesserungen feststellbar

In den untersuchten Produktionsstätten ­waren die Arbeitsbedingungen einigermaßen in Ordnung. Vor allem die Lebensumstände abseits des Arbeitsplatzes wurden generell positiv hervorgehoben. Alle drei Fabriken bezahlten auch mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Andererseits gehören 12-Stunden-Arbeitstage in China wie in Malta während der Saison zur Regel. Die Umweltkriterien wurden vielfach nur unzureichend erfüllt. So kümmerte sich keine Fabrik darum, ihre ­Produkte recycelbar zu machen. Insgesamt zeigte sich auch in den Produktionsstätten, dass man kaum Kenntnis über die Zustände bei den Vorlieferanten besitzt. Weder die Einhaltung der Sozial- noch jene der Umweltstandards wird ausreichend überprüft.

Testtabelle: Spielzeughersteller im Ethik-Test

Sind die Konsumenten schuldig?

Das häufig strapazierte Argument, die niedrigen Preise ­seien schuld am Elend der Arbeiter in den Produktions­ländern, erscheint fragwürdig, wenn man sich die Preisstruktur vor Augen hält (hier am Beispiel einer Puppe um 15 Euro dargestellt). 80 Prozent des Verkaufspreises einer Puppe sahnen Marketing, Handel und Transport ab, während die Arbeiterinnen mit 0,8 Prozent abgespeist werden. ­

Existenzminimum sichern

Würden Markenkonzerne, Handelsketten, Werbeagenturen und all die übrigen Profiteure auch nur auf ein paar Cent ihrer Margen verzichten, könnte den Arbeiterinnen ein Leben über dem Exis­tenzminimum gesichert werden.

 Sind die Konsumenten schuld? Quelle: Südwind/Illustration: E. Haberl

 

Zusammenfasssung

  • Überstunden zum Überleben. Die gesetzlichen Mindestlöhne sind zu niedrig, ohne Überstunden könnten viele Arbeiter nicht überleben. Die Folge: 12-Stunden-Tag und ­Sieben-Tage-Woche sind keine Seltenheit.
  • Alles ICTI. Der Verband der Spielzeugindustrie ICTI hat ein Programm für mehr Fairness in der Branche in die Wege geleitet, dem sich die Mehrzahl der Mitgliedsunternehmen unterworfen hat. Doch das hat dazu geführt, dass viele Hersteller jegliche Verantwortung auf ICTI abwälzen.
  • Helfen Sie mit. Schreiben Sie an die von Ihnen bevorzugten Markenhersteller oder Händler. Adressen oder Kontaktformulare finden Sie auf deren Homepage. Fordern Sie sie auf, sich mehr dafür zu engagieren, dass ihre Arbeitskräfte und die ihrer Lieferanten in Würde leben können.
  • Alternativen. Spielzeug aus Holz belastet die Umwelt in der Regel weniger. Bei Spielzeug aus Österreich oder benachbarten Ländern sind zumindest die Transportwege kürzer. Beispiel Matador: Die Bauklötze aus Holz werden in Waidhofen/Thaya produziert. Eine andere Alternative bieten die Weltläden: Dort gibt es fair produziertes Spielzeug aus der Dritten Welt.

Testkriterien

Testkriterien Ethik-Test Spielzeughersteller

Die Untersuchung wurde im Rahmen einer internationalen Kooperation von einer branchenkundigen Audit-Organisation durchgeführt. Fokus waren die sozialen und ökologischen Bedingungen in der Spielzeugindustrie. Ausgewählt wurden große, international tätige Markenfirmen.

Fragebogen, Unterlagen, Field-Studies

Die Untersuchung basiert auf einer Erhebung mittels Fragebogen, Interviews und einer Analyse von Sekundärmaterial. Im Fragebogen werden zahlreiche Kriterien zur gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung (CSR) abgefragt. Sie werden ergänzt bzw. untermauert oder auch widerlegt durch Interviews mit verantwortlichen Managern, durch die interne Dokumentation der Unternehmen, Gehaltslisten, Arbeitszeitaufzeichnungen, Jahresberichte, Untersuchungsberichte sowie durch Interviews mit Experten und Stakeholdern und nicht zuletzt durch vertrauliche Gespräche mit Arbeitskräften.

Soferne es die Unternehmensführung bewilligt, führen außerdem Expertenteams (unterstützt durch ortskundige Experten) Field-Studies (Vor-Ort-Untersuchungen) in der Konzernzentrale sowie in Produktionsstätten durch.
Erhebungszeitraum: Jänner bis August 2012.

So wird beurteilt

Jedes Kriterium wird validiert: in 5 Stufen von 0 = kein Nachweis für eine Umsetzung erbracht bis 5 = Umsetzungsehr gut belegt. Dargestellt werden die Gruppenurteile und das Gesamturteil in einer fünfstufigen Skala von A bis E. Stufe A bedeutet, dass zumindest 80 Prozent aller Kriterien erfüllt sein müssen; E am anderen Ende der Skala steht für ein Ergebnis, bei dem unter 20 Prozent der Kriterien erfüllt wurden. Das Gesamturteil wird außerdem in einer Prozentangabe (wie viel Prozent vom bestmöglichen Ergebnis wurden erreicht) angegeben.

Die Kriterien im Einzelnen

Auf Unternehmensebene

Sozialpolitik: Generelle CSR-Politik, Sozialstandards und sozialpolitische Anforderungen für die Wertschöpfungskette (Zulieferbetriebe), Umsetzung sozialer Verantwortung im Unternehmen, Monitoring der Wertschöpfungskette und Sozialberichtswesen.
Umweltpolitik: Verpflichtung zum Umweltschutz, Status quo im Unternehmen, Umsetzung von Beschaffungsrichtlinien, Monitoring und Berichtswesen.
Faire Einkaufspraktiken: angemessene Vertragsbedingungen im Einkauf, Umsetzung und Kontrolle derselben.
Gesellschaftliches Engagement: Dialog mit NGOs und Zivilgesellschaft, Unterstützung gemeinnütziger Projekte in den Produktionsländern.
Transparenz: Offenlegung der Produktionsstätten, Inspektion zugelassen: Fragebogen beantwortet, Konsultation der Konzernzentrale.

Produktionsstätten

Sozialkriterien: Managementsystem, Einhaltung der ILO-Kriterien wie freie Wahl des Arbeitsplatzes, Nicht-Diskiminierung, keine Kinderarbeit, akzeptable Arbeitszeitregelungen, faire Entlohnung sowie Sicherheit und Gesundheit. Anforderungen an die Zulieferer, Monitoring des eigenen Betriebes bzw. der Vorstufen, Berichtswesen.
Umweltkriterien: Managementsysteme, Umweltanforderungen in der Produktion, Maßnahmen zur Eindämmung von Umweltverschmutzung bei den Zulieferbetrieben, Berichtswesen.
Faire Einkaufspraktiken: faire Bezahlung, angemessene Lieferfristen, langfristige Verträge.
Gesellschaftliches Engagement: Dialog mit NGOs und Zivilgesellschaft, Unterstützung gemeinnütziger Projekte in den Produktionsländern.
Transparenz: Zugang zu allen Dokumenten und Arbeitsplätzen, Offenheit und Kooperationsbereitschaft des Mangements, keine Täuschungsmanöver, keine Behinderung der Befragung von Arbeitskräften.

Leserreaktionen

Marodes System

China nennt sich verrückterweise seit Jahrzehnten kommunistisch. Dieses Wort wurde von der Regierung mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit pervertiert. Diese Arbeiterinnen sind moderne Arbeitssklaven und nichts hat sich seit der industriellen Revolution geändert. Einzig und allein die Standorte.

Wurden damals Europäer und Amerikaner unmenschlich ausgebeutet, sind es heute Chinesen, Inder und der Rest der "dritten“ Welt. Nette Idee, dass man die Hersteller anschreiben soll mit dem Hinweis auf mehr Würde, aber leider ist das ganze System marode.

Mag. Sylvia Dürr
Innsbruck
(aus KONSUMENT 2/2013)

Buchtipp: "Nachhaltig leben"

Durch das eigene Konsumverhalten einen Beitrag zu einer "besseren" Welt zu leisten, ist der Wunsch vieler Verbraucher. Doch welche Möglichkeiten hat der Einzelne, dies im Alltag umzusetzen? Unser Buch gibt Tipps und Anregungen für all jene, die ganz individuell zu einem verantwortungsvollen Lebensstil finden wollen.

www.konsument.at/nachhaltig-leben

Aus dem Inhalt

  • Lebensmittel: fair und natürlich
  • Lifestyle: modisch, aber ökologisch
  • Mobilität, Tourismus, Freizeit
  • Nachhaltigkeit im Haushalt
  • Abfall vermeiden, Ressourcen schonen
  • Trend: gemeinsam nutzen statt besitzen

160 Seiten, 14,90 € + Versand

KONSUMENT-Buch: Nachhaltig leben (Bild:VKI)

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