Zum Inhalt

Hintergrundmusik in Geschäften - Konsumklänge

Manche nervt sie, andere hören sie gern oder sie nehmen sie gar nicht wahr: die Musik in Geschäften, Restaurants oder Hotels. Was wird damit bezweckt?

Wie stehen Sie zu Musik im öffentlichen Raum? (Bild: Aaron-Amat/shutterstock.com)

Dass Musik unsere Stimmung beeinflusst, ist keine Überraschung – dass weiche Musik, etwa die sanften Töne eines Streichquartetts mit wenigen Rhythmuswechseln, dafür sorgt, dass uns der Pullover im Kleidungsgeschäft weicher erscheint, dagegen schon. „Was wir hören, bestimmt auch, was wir fühlen“, erklärt Monika Imschloß, Junior-Professorin an der Universität Köln und Expertin für Marketing. „Als Kunde nimmt man die Musik häufig nicht bewusst wahr. Beeinflusst wird man von ihr trotzdem.“ So bringt langsamere Musik die Menschen dazu, langsamer durch das Geschäft zu schlendern. Eine Erkenntnis, die Imschloß selbst durch wissenschaftliche Beobachtungen belegte.

Immer mehr Händler widmen der Hintergrundmusik daher größere Aufmerksamkeit. Musik schafft Atmosphäre und ist für den stationären Handel ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zum Onlinehandel. „Einkaufen ohne Musik wäre auch bisschen langweilig“, betont Imschloß. Zudem schaffe Musik ein wenig Ablenkung: „Man will ja beim Anprobieren nicht, dass andere alles hören.“ Musik kann aber zum Störfaktor werden, wenn sie unpassend und zu laut ist.

Musik scheidet die Geister

Dass Musik beim Einkaufen durchaus polarisieren kann, zeigt eine Umfrage, die wir kürzlich in Wien-Mitte durchführten. Für Heinz, Mitte 60, ist sie „eher lästig, einlullend; meist ist es keine gute Musik“. Johanna, Anfang 20, bekommt die Musik oft gar nicht mit: „Ich bin da ganz auf mich konzentriert.“ Ihre Freundin Finia stört die Musik beim Shoppen nicht – außer, es wird Jazz gespielt: „Das macht mich wahnsinnig.“ Die Leserinnen und Leser von KONSUMENT fühlen sich, wie viele Zuschriften der letzten Zeit zeigen, in der überwiegenden Mehrheit sehr gestört.

In einer kürzlich auf Facebook durchgeführten Umfrage mit über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern fühlen sich 55 Prozent durch Musik gestört. Kommentar einer mehrfach Betroffenen: „Seit ich nicht mehr im Handel tätig bin, nicht. Vorher allerdings schon, wenn man tagtäglich den gleichen Sud hört – überhaupt in der Weihnachtszeit.“ Die Motive der Händler, Musik zu spielen, sind unterschiedlich. Größere Ketten setzen auf standardisierte Playlists, um ein einheitliches Markenerlebnis zu schaffen. Eigentlich sollte die Musik möglichst unauffällig sein. Einige Modehäuser, wie Abercrombie & Fitch, konterkarieren das bewusst und setzen mit lauter Musik auf eine jüngere Zielgruppe.

Geschmäcker sind verschieden 

„Es geht ums Wohlfühlen“

Da immer mehr Geschäfte Musik strategisch einsetzen möchten, gibt es auch mehr externe Anbieter, die sich darauf spezialisieren. Einer davon ist Reditune mit Sitz in Salzburg. „In der Vergangenheit wurde Hintergrundmusik eingesetzt, um den normalen Geräuschpegel im Geschäft, wenn Lebensmittel aus den Regalen genommen werden, zu kaschieren. Mittlerweile geht es ums Wohlfühlen“, erklärt Geschäftsführer Siegfried Obermayr. Je wohler sich der Kunde fühle, desto länger bleibe er und könne mehr einkaufen. Reditune erstellt Musiklisten für Unternehmen aus unterschiedlichen Bereichen: vom Autohandel über Möbel- und Bekleidungshäuser bis hin zum Lebensmittelhandel. 

Die Spar-Filialen können unter zwei bis drei Programmen mit verschiedenen Titeln wählen, zwischen den Songs laufen Werbebotschaften. Die Lautstärke können die Filialen selbst einstellen. Bei Spar ist die Zielgruppe sehr breit, weswegen der Fokus auf angenehmer, beschwingter und positiver Musik liegt, auch „Easypop“ genannt. „Gespielt wird nichts, was zu viel Schlagzeug und Gitarrensolos enthält“, sagt Obermayr. 

Negative Rückmeldung durch Konsumenten

Auch die Jahreszeiten spielen eine Rolle. Im Sommer dürfe es ruhig ein bisschen mehr nach Urlaub, Strand und Meer klingen, im Winter sollten Weihnachtsklassiker wie „Driving Home for Christmas“ nicht schon im November ertönen. Der Anteil werde über den Advent langsam gesteigert. „Unser Maximum sind 30 bis 40 Prozent an Weihnachtstiteln“, betont der Experte. Auf Nachfrage bei Spar-Österreich hieß es, dass es durchaus Rückmeldungen zur Musik gebe; etwa, wenn sie zu laut erscheint oder einzelne Kunden Musik grundsätzlich nicht mögen. Bei Weihnachtsmusik gelte es tatsächlich, nicht zu früh zu beginnen und sensibel zu sein. Klassiker wie „Stille Nacht“, die man unter dem Weihnachtsbaum anstimmt, werden nicht gespielt. 

Geschmäcker sind verschieden 

Die Geschmäcker sind bekanntlich sehr verschieden. Auf den Playlists finden sich daher auch „jüngere Oldies“, wie sie auch im Radio gespielt werden, nur nicht zu abgedroschen. Genres wie Rap, Rock oder klassische Musik und Jazz würden zwar vereinzelt nachgefragt, seien aber Randthemen und würden oft nicht passen; das zeigten auch Versuche mit Instrumentalmusik: „Es ist vielen relativ schnell fad geworden“, sagt Obermayr. Wenn man Kunden durch Musik dazu bewegen könne, mehr zu kaufen, „dann rein über die Zeit – wenn man das Gefühl hat, es ist da angenehm, man fühlt sich wohl; damit steigt auch die Verweildauer“. 

Solange die Menschen im Geschäft seien, sähen sie etwas, was sie vielleicht kaufen möchten, und das steigere den Umsatz, so Obermayr. Während Ketten wie Spar und Rewe auf Musik setzen – Rewe hat mit Radio Max einen eigenen Sender –, setzt man beim Diskonter bewusst auf Stille: „Wir achten auf das Wesentliche und möchten den Kunden eine Atmosphäre bieten, in der sie sich in Ruhe auf ihren Einkauf konzentrieren können, ohne zusätzliche Ablenkungen“, so die Hofer KG.

Versuch im Lebensmittelgeschäft

Baguette oder Ciabatta

Musik schafft nicht nur Atmosphäre oder beeinflusst unsere Geschwindigkeit beim Einkauf, sie kann auch für Gusto sorgen. Das zeigt ein Versuch von Monika Imschloß und ihren Probanden in einem deutschen Lebensmittelgeschäft. Auf einem Warentisch im Eingangsbereich lagen auf einer Seite französische Lebensmittel, auf der anderen italienische. Das Match: Baguette vs. Ciabatta, Pizza vs. Flammkuchen. Im Hintergrund lief abwechselnd französische oder italienische Musik. Das Ergebnis: Bei französischer Musik richteten die Kunden ihre Aufmerksamkeit auf französische Spezialitäten und umgekehrt.

Musik zum Wohlfühlen

Sanfte Töne zum Frühstück, Loungemusik in der Lobby: Das 4-Sterne-Hotel Spiess & Spiess im dritten Wiener Gemeindebezirk setzt bei der Hintergrundmusik bewusst auf verschiedene Klänge. „Ein Raum ohne Musik kann abweisend wirken“, sagt Geschäftsführer Jean-Philipp Spiess. Durch Musik fühle man sich wohler und sie ermögliche Privatsphäre, „damit nicht jeder mithören kann“. Es klinge angenehmer; die Musik fülle den „leeren Raum“, um ihn attraktiver zu gestalten.

Als Hintergrundmusik spielt das Hotel eine Mischung aus Klassik, jazziger Musik und Pop. „Ein bunter Mix, der sich nicht zu sehr in den Vordergrund drängen darf.“ Bevor man auf einen externen Anbieter zurückgriff, kümmerte man sich selbst um die Musik, erzählt Spiess. Was dann gespielt wurde, hing immer stark von der Person ab, welche die CDs einlegte: „Da hatten wir dann schon den dritten Tag hintereinander den Strauß-Walzer. Es braucht Abwechslung; vor allem, weil die Geschmäcker der Gäste sehr unterschiedlich sind.“

Externe Anbieter für Musik

Die Musik ändere sich mit der Tageszeit: „Beim Frühstück ist sie etwas dezenter.“ Außerdem laufe nicht in allen Räumlichkeiten dieselbe Musik, es gebe verschiedene Playlists. Die Zusammenarbeit mit Reditunes funktioniert so: „Wir haben einen Player, der an die Soundanlage angeschlossen ist und von Reditunes zur Verfügung gestellt wird. Dieser lädt sich die Playlists regelmäßig über das Internet herunter“, erklärt Spiess. Diese werden automatisch aktualisiert.

Anfangs habe man in das Sortiment hineingehört und eine Auswahl getroffen. Die Lautstärke wird im Hotel selbst reguliert. Die Musikauswahl von einem externen Anbieter erledigen zu lassen, hat laut Spiess viele Vorteile: „Wir haben nicht die Ressourcen, uns damit im Betrieb auseinanderzusetzen. Wenn man die Musik selbst zusammenstellt, ist man außerdem geneigt, das zu nehmen, was einem selbst gefällt.“ 

Musik als Stimmungsmacher

Laut einer Metaanalyse des „Journal of Retailing“ 2017 hat Musik positive Auswirkungen auf Zufriedenheit, Wohlbehagen und Verhaltensweisen. Musik könne als Servicefeature gesehen werden, das während des Kaufvorgangs „konsumiert“ werde. Kunden, die bei Betreten des Geschäfts nur wenig „stimuliert“ seien, können durch Musik angeregt werden. Andere können sich durch die Musik entspannen. Da diese Stimulation als Multiplikator positiver In-Store- Erlebnisse gelte, könnten positive Effekte auf Verhalten und Zufriedenheit der Kunden erwartet werden.

Kommentar: Musik gewordenes Grauen

Der Mensch ist bekanntlich ein sonderbares Wesen. In dieser Rolle hält er auch verdammt viel aus. Nur keine Stille.

KONSUMENT-Kolumnist Michael Hufnagl (Foto: Ela Angerer) Es gibt Statistiken, die besagen, dass ein österreichischer Fernsehapparat im Durchschnitt vier Stunden pro Tag läuft. Von den Radios, die in traditioneller Selbstverständlichkeit die Büroräume des Landes mit Hintergrundgedüdel fluten, ganz zu schweigen. Und wer zuletzt in einem Kaufhaus war, ohne gnadenlos und ungefragt beschallt zu werden, der zeige bitte auf. Wir haben uns längst an die Dauerberieselung gewöhnt.

Bis man sie nicht mehr ignorieren kann...

Aber irgendwann kommt doch der Augenblick, wo du merkst, dass dich etwas haarscharf über der Wahrnehmungsgrenze subtil in den Wahnsinn treibt. Du liegst nach der Sauna in einer der Entspannungsliegen, liest ein Buch, blickst durch die großen Panoramascheiben in die bunte Herbstwelt hinaus, und plötzlich hörst du es: das Lied „Scarborough Fair“ von Simon & Garfunkel. Diese wunderbare Musik dringt ganz leise in dein Ohr und schlängelt sich in grenzenlosem Sanftmut weiter ins Unterbewusstsein. Aber nicht als Original, sondern ... in zermürbender halber Geschwindigkeit, ohne Gesang, und nur von Xylophon und Harfe intoniert. Du erkennst es, und von nun an kannst du es nicht mehr ignorieren. 

Musik gewordenes Grauen

Das Musik gewordene Grauen hält dich gefangen, schnürt dich ein, und es belebt nur einen Gedanken: Ich will nicht in einem spirituellen Schwebezustand einen Baum umarmen, nein. Ich will stattdessen nur, dass alle Ruheraummusikarrangeure einen Tag lang zu ihren eigenen Schandtaten in ein Tepidarium gesperrt werden, am besten alle gemeinsam, um selbst nach einer Antwort auf die quälende Frage zu suchen: Ist das die Erholung, die wir meinen? Daher fordere ich auch Gerechtigkeit für Simon & Garfunkel. Am besten mit „Sound of Silence“. Und zwar so laut wie möglich.

mail@michael-hufnagl.com

Leserreaktionen

Keine Ruhe

Diese Musik ist auch sehr störend bei der ÖBB Station Handelskai. Ich arbeite in einem Krankenhaus und bin den ganzen Tag mit sehr vielen Menschen konfrontiert. Ich möchte dann am Abend in Ruhe nach Hause fahren, werde dann aber mit klassischer Musik, teilweise mit Gesang, beschallt. Neben quietschenden Zügen, Verspätungen und Zugausfällen macht mich das jeden Tag wahnsinnig. Laut Aussage der ÖBB soll dies zur Verbesserung der Atmosphäre dienen, dies ist aber ganz und gar nicht der Fall.

Monika Stahl
Hollabrunn
(aus KONSUMENT 1/2020)

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

Sozialministerium

Zum Seitenanfang