- Anbieter sind Lebensberater, Masseure, Apotheker und Ärzte
- Ob Chinesisches empfehlenswert ist, bleibt fraglich
- Am besten erforscht ist die Akupunktur
Singen und heilen
Das Wartezimmer war brechend voll. In den Behandlungsräumen sind ein Dutzend Leute nebeneinander gesessen und gelegen, gespickt mit Nadeln. Es war mir unangenehm, dass mich der chinesische Arzt vor allen anderen Patienten nach meinen Beschwerden gefragt hat, und es hat sehr weh getan, als er die Nadeln gesetzt hat“, erzählt Brigitte G. von ihrer Begegnung mit dem Modearzt. Dem gebürtigen Chinesen, der eine Ausbildung zum Opernsänger durchlaufen hat, strömen die Kunden in Wien scharenweise zu. Um sie abzulenken, singt er den Patienten gelegentlich eine Arie vor.
Exotik hat Hochkonjunktur
Sich mit Nadeln stechen zu lassen ist im letzten Jahrzehnt für viele Leidende fast selbstverständlich geworden. Nachweislich ist Akupunktur – wie klinische Tests belegen – bei Schmerzzuständen wirksam. Demnach übernehmen manche Kassen (Oberösterreichische, Kärntner und Vorarlberger Gebietskrankenkasse) die Kosten bei der Indikation Schmerzbehandlung, alle anderen Kassen zahlen dafür einen Kostenzuschuss. In Österreich bieten 6000 Ärzte Akupunktur für unterschiedlichste Beschwerden an. Allerdings haben nur 1800 von ihnen ein von der Ärztekammer ausgestelltes Diplom. Ohne eigentlich dazu befugt zu sein, setzen aber auch Masseure, Krankenschwestern und Physiotherapeuten Nadeln.
Rechtlich im Abseits
„Auch Chinesen arbeiten oft im rechtlichen Abseits und nicht mit einem Arzt zusammen!“, kritisiert Dr. Andreas Bayer, umtriebiger Leiter der Wiener „Akademie für Traditionelle Medizin“. „Meist können sie ein chinesisches Diplom vorweisen, das sie gelegentlich sogar als ‚Doktordiplom‘ präsentieren.“ Bayer plädiert für eine fundierte ärztliche Ausbildung. „Keine chinesische Medizin ohne universitäre Medizin!“ Warum Ärzte die fernöstliche Methode – kurz TCM – überhaupt einsetzen sollten, beantwortet er mit einem Begriff jenseits von „alternativ“ oder „komplementär“: TCM sei eine „kooperative Medizin“, denn sie schaue mit einem anderen Auge auf Krankheiten als die westliche. Erst beides zusammen ergäbe den umfassenden Blick.
Im Westen wurde überwiegend die TCM der Pekinger Schule adaptiert. Jedoch: „Die chinesische Medizin als Ganzes oder gar in ihrer rein chinesischen Urform in den Westen zu übertragen ist unmöglich“, sagt der Münchner Sinologe Paul Unschuld, Professor für Medizingeschichte und profunder Kenner der TCM, „westliche Logik modelliert sich die Lehre zurecht.“ Im Westen wurden viele der fremdartigen Begriffe umgedeutet. Durch westliche Interpretation erscheint die TCM mit ihrem systemischen Ansatz als harmonische, natürliche, sanfte Medizin. „Sanft ist die TCM nicht“, so Bayer: „Wo ein Nutzen, ist auch ein möglicher Schaden.“ Weltweit sind schwere Zwischenfälle bei Akupunktur und Schäden nach Behandlung mit Chinakräutern bekannt geworden.
Von dem Arzneischatz der Chinesen, der unglaubliche 11.000 Mittel umfasst, werden im chinesischen Arzneibuch 1000 Mittel und 1800 Mischungen genannt, davon werden hierzulande nur etwa 500 Rezepte und 800 Rohstoffe angewendet. Die Kräutermischungen aus bis zu zwei Dutzend Bestandteilen werden als Tee, Brühe oder in Wasser aufgelöste Granulate eingenommen. Die Mixturen werden nach „Erfahrung“ zusammengestellt. Sie sind in Rezepturbüchern festgehalten.
Hierzulande verbreitet sich auch chinesische Gesundheitsvorsorge: Physiotherapeuten bieten Tuina und Qi gong an, Hebammen betreiben „geburtshilfliche TCM-Beratung“, Ernährungsberaterinnen propagieren chinesische Diätetik. Laien können in Volkshochschulen „therapeutisches Kochen nach den Fünf Elementen“ lernen, oder im esoterisch orientierten „Shambala“ Tai-chi-Schnellkurse buchen. Von dem exotischen Boom wollen alle profitieren. In Raststätten entlang der Autobahn werden skurrile „Chi-Matten“ angepriesen, die durch Rütteln „Energie“ spenden und entspannen sollen.
