Welche Bedürfnisse haben Menschen mit Demenz, welche Wünsche? Diesen Fragen geht der diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger Raphael Schönborn in seiner Masterarbeit nach.
Was wünscht der Konsument? Worauf legt er Wert? Bevor ein Unternehmen ein neues Produkt auf den Markt bringt, versucht es, Antwort auf diese Fragen zu bekommen. Alles andere wäre schlicht unverantwortlich. Was in der Wirtschaft selbstverständlich ist, das ist im Bereich Demenz eine große Lücke. Da werden vielfach Informationsbroschüren verfasst und Empfehlungen gegeben, ohne dass jene, die es unmittelbar betrifft, mit einbezogen würden: die Menschen, die unter kognitiver Beeinträchtigung leiden.
Nichtbeachtung gang und gäbe
Man stelle sich vor, es würden neue Rollstuhlfahrer-freundliche Konzepte für den U-Bahn-Bau erstellt, ohne die Rollstuhlfahrer in die Planung mit einzubeziehen. Undenkbar! Ein Aufschrei des Protests würde sich erheben. Bei Menschen mit Demenz ist diese Nichtbeachtung aber gang und gäbe, zumindest in Österreich.
Lange Zeit noch selbstreflektiert
Warum ist das so? Warum wird eine Bevölkerungsgruppe einfach übergangen? Raphael Schönborn sieht eine wesentliche Ursache in dem weit verbreiteten Bild, das die Öffentlichkeit von dieser neurodegenerativen Erkrankung hat. Sehr viele Menschen setzen sie nämlich schlicht mit Unzurechnungsfähigkeit und Unmündigkeit gleich. Wer Alzheimer (die häufigste Form der Demenz) hat, meinen sie, sei nicht mehr Herr seiner Sinne, lebe gleichsam in einem Zustand der geistigen Umnachtung!
Dieses Krankheitsbild, sagt der diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger und Erziehungswissenschaftler Schönborn, könne sich im Endstadium der Erkrankung je nach Demenzform im Einzelfall tatsächlich zeigen. Doch es sei keineswegs generell typisch für die dementielle Erkrankung. Im Gegenteil: Viele Menschen mit dieser Beeinträchtigung seien lange Zeit zu einem selbstständigen Leben und zur Selbstreflexion fähig. Das weiß er aus der Praxis, aus seiner jahrelangen Arbeit mit Betroffenen. Nun hat er die Lebenslage von Menschen mit Demenz auch wissenschaftlich untersucht, im Rahmen seiner Masterarbeit an der FH Campus Wien. Titel der Arbeit: „Demenzsensible psychosoziale Intervention. Subjektorientierte partizipative Interviewstudie mit Menschen mit dementiellen Beeinträchtigungen.“
Betroffene zu Wort kommen lassen
Schönborn hat, nach den Grundsätzen der Grounded-Theory-Methodologie, die Betroffenen befragt: Wie sehen sie ihre Krankheit? Wie kommen sie damit zurecht? Welche Wünsche haben sie an ihre Umgebung, an die Gesellschaft? Hier wird nicht die Außenperspektive eingenommen, hier kommen die Betroffenen selbst zu Wort. Denn wer, wenn nicht sie selbst, könnte kompetenter über ihr Innenleben Auskunft geben?