Bei der Geburt des zweiten Kindes kommt es bei einer Patientin zu massiven Komplikationen, die auf Fehler bei der ersten Entbindung zurückzuführen sind.
Der Fall
Bei der Geburt ihres ersten Kindes erleidet Frau F. einen Dammriss vom Schweregrad III. Dieser wird unter lokaler Betäubung genäht. Bei der Kontrolle nach zwei Wochen beurteilt der Arzt die Wundheilung als gut. Weitere Untersuchungen werden keine gemacht. Zwei Jahre später erwartet Frau F. ihr zweites Kind. Die Ärzte und die Hebamme weisen auf mögliche Komplikationen aufgrund des Dammrisses bei der ersten Geburt hin. Doch Frau F. wünscht sich eine natürliche Geburt und lehnt sowohl einen Kaiserschnitt als auch einen vorzeitigen Dammschnitt ab.
Probleme bei Stuhlgang und Geschlechtsverkehr
Diesmal erleidet sie einen Dammriss, der von der Hebamme mit Schweregrad II eingestuft und von einem Turnusarzt versorgt wird. Knapp zwei Monate später stellt der Frauenarzt bei der Nachuntersuchung fest, dass der Damm stark verkürzt und nur noch als dünne Haut vorhanden ist. Die Patientin leidet in der Folge unter Problemen beim
Stuhlgang sowie beim Geschlechtsverkehr und an wiederkehrenden Infektionen.
Intervention
Frau F. wendet sich an die Patientenanwaltschaft. Diese gibt ein medizinisches Gutachten in Auftrag.
Ergebnis
Der Sachverständige hält fest, dass bereits der Dammriss bei der ersten Geburt nicht nach dem Stand der Wissenschaft (lege artis) versorgt worden sei. Gemäß den entsprechenden Leitlinien hätte ein Dammriss vom Schweregrad III unter Vollnarkose genäht und 3 Monate danach eine Analsonographie zur Kontrolle durchgeführt werden sollen. Im Nachhinein ließe sich jedoch nicht mehr feststellen, ob der Schließmuskel zu diesem Zeitpunkt noch voll funktionsfähig gewesen sei.
Verletzung der Sorgfaltspflicht
Bei der zweiten Geburt hätte unter diesen Umständen jedenfalls ein Facharzt zur Beurteilung des Schweregrades des Dammrisses hinzugezogen werden müssen. Da dies nicht erfolgt ist, stellt der Gutachter eine Verletzung der Sorgfaltspflicht des diensthabenden Facharztes fest. Das Krankenhaus weist diesen Vorwurf zurück und betont in seiner Stellungnahme, dass der Turnusarzt den Dammschnitt „lege artis“ versorgt habe und die Patientin sowohl den empfohlenen Kaiserschnitt als auch einen vorzeitigen Dammschnitt ausdrücklich abgelehnt habe. Das Ergebnis des Verfahrens ist noch offen.
Fazit
Bei medizinischen Komplikationen sind Patienten oft in einer schwächeren Position, da sie einem einflussreichen Expertensystem gegenüberstehen. Um einen Ausgleich zu schaffen, wurden in jedem Bundesland unabhängige und weisungsfreie Patientenanwaltschaften eingerichtet. Diese informieren über Patientenrechte, vermitteln bei Streitfällen, klären Missstände auf und unterstützen bei der außergerichtlichen Streitbeilegung nach Behandlungsfehlern. Durch die qualifizierte Aufarbeitung der Beschwerden können viele Gerichtsverfahren, die keine Aussicht auf Erfolg haben, vermieden werden. Die Dienstleistungen sind kostenlos. Patientenanwaltschaften dürfen Patienten allerdings nicht vor Gericht vertreten.