Laufguru Dr. Ulrich Strunz gibt fragwürdige Ratschläge.
Tänzelnd und mit ausgebreiteten Armen schwebt er über die Bühne: „Wollen Sie
sich wirklich wie eine Ameise abmühen? Machen Sie es wie die Adler, segeln Sie
mit dem Rückenwind durch die Lüfte!“ Es ist eine perfekte Bühnenschau. Mit
Theatralik und penetrantem Singsang eines amerikanischen Fernsehpredigers
beschwört Dr. Ulrich Strunz sein Publikum, fixiert die Leute mit durchdringend
lächelndem Blick. Er hüpft vor bis zur Rampe, läuft wieder zurück in die
Bühnentiefe. „Laufen Sie!“, fordert er die Zuhörer auf, „aber nicht verbissen,
laufen Sie leicht und locker – und Sie werden glücklich sein.“
Fit ohne Plage?
Strunz verheißt Erfolg ohne Anstrengung. Der deutsche Arzt hat angeblich erst
mit 45 mit dem Ausdauersport begonnen und bei mehreren Ironman-Triathlons und
Langstreckenläufen Spitzenplätze erreicht. Zehn Jahre später tourt er kreuz und
quer durch deutschsprachige Lande, hält Vorträge und hat einen wahren Lauf-Boom
ausgelöst.
Strunz ist ein geschickter Rhetoriker und Motivator. Er wiederholt ständig
Floskeln und Bilder, die sich einprägen. Er polarisiert und spricht die Ängste
der Wellness-Generation an. Seine Heilslehre verspricht, dass sie ihren
medizinischen „Drohwerten“ entkommen und durch Laufen „Frohwerte“ und
schließlich 120 gesunde Lebensjahre erreichen könnten! In Gedanken schnüren die
Hörer schon die Laufschuhe, um seine Bücher zu besorgen: wochenlang an der
Spitze der Bestsellerlisten, beide betitelt „Forever young“. Wer wollte nicht
„für immer jung“ bleiben? Das eine Buch bietet dazu das „Ernährungsprogramm“ an,
das andere „das Erfolgsprogramm“: „Laufen Sie sich jung. Essen Sie sich jung.
Denken Sie sich jung!“ Wenn das so einfach wäre!
Frohbotschaft als Marketing-Schmäh
Die Bücher sind reißerisch aufgemacht. Die Ernährungsratschläge darin
entsprechen im Großen und Ganzen einer ausgewogenen und vollwertigen Kost mit
wenig Fett. Der Teufel aber steckt im Detail, und die Texte strotzen vor
Fehlern: So behauptet der Autor etwa, dass Genuss von Süßem zu Diabetes führe,
Gelatine und Vitamin E eine Gelenksentzündung stoppen oder Honig Krebs vorbeugen
könne und viel anderen Unsinn mehr. Strunz verwechselt Linolsäure mit
Linolensäure, empfiehlt Carnitin zum Abnehmen: viele Halbwahrheiten, die dem
Stand der Ernährungs- und der Sportwissenschaft widersprechen. Insgesamt wirkt
die Sprache verkürzt, die Rezeptur sektenähnlich. Das verwundert nicht, denn
Strunz bezeichnet sich als „Orthomolekular-Mediziner“, ein Begriff, der laut
Österreichischer Ärztekammer nicht definiert ist. Strunz behauptet weiters, dass
unsere Böden ausgelaugt wären und die Lebensmittel zu wenig Vital-, aber zu
viele Schadstoffe enthielten. Ein Argument, dass von der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung eindeutig widerlegt wird. Fazit der Panikmache: „Der Mensch ist
ein Giftlager“, deshalb benötige er zusätzlich Vitamine, Mineralstoffe und
Spurenelemente: ein Mehrfaches dessen, was die Ernährungswissenschaft empfiehlt.
So rät Strunz etwa zum 30fachen des tatsächlichen Bedarfs an Vitamin C (kann in
derart hohen Dosen das Immunsystem sogar schwächen!) oder zum 10fachen an
Beta-Carotin (gerade bei Rauchern muss die Unbedenklichkeit derart hoher Dosen
infrage gestellt werden!). Zusätzlich empfiehlt er, Enzyme einzunehmen, die der
Körper ohnedies selbst produziert, bei Milchunverträglichkeit gar Kapseln mit
E-coli-Bakterien (als Ersatz für probiotische Jogurts), ein Testosteron-Gel
gegen den Bauch. All das ist unnötig und kann gefährlich werden. Überdies
behauptet er, wer Sport betreibt und wer abnehmen will, brauche doppelt Eiweiß
in Form von Eiweiß-Drinks.
Humbug, aber es wirkt: Verängstigte wollen nun gerne ihre „Vitalwerte“ messen
lassen und Nahrungsergänzungen schlucken. Es ist wohl kein Zufall, dass Strunz
bei seinen Vorträgen allen Ernstes behauptet, die Labortests könnten nur in
seiner Praxis durchgeführt werden – wofür er Anmeldeformulare bereithält –, kein
Zufall, dass sich auf etlichen Buchseiten Hinweise auf die Firma Vitalmind
finden: Sie führt die empfohlenen Produkte und managt seine Vortragsreisen.
Irreführend
Eine umfassende Blutanalyse, wie der Laufpapst sie propagiert, kostet 15.000
Schilling. Doch solche „aufwendigen und zudem teuren Laborkontrollen sind, um
regelmäßig so genannte ‚Frohwerte’ zu bestimmen, nicht erforderlich“, kritisiert
Prim. Dr. Norbert Langmayr, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft
für Ernährung. Ein normales Körpergewicht, gute Kondition und das subjektive
Wohlbefinden reichen als Parameter zur Selbstbeurteilung aus. Nehme man die von
den wissenschaftlich gesicherten Normalwerten zum Großteil stark abweichenden
„Frohwerte“ ernst, so Prof. Dr. Thomas Vukovich vom Institut für Labordiagnostik
im AKH, könnte „eine Vielzahl schwerer Krankheitsbilder unerkannt bleiben“, wie
Lungenkrankheiten, Leberzirrhose, Nierenversagen, Herzinfarkt.
Ähnliche Kritik kommt aus den Reihen der Sportmediziner: Manche von Strunz’
Angaben seien „alles andere als exakt“: Für Freizeitläufer sei zwar das
Laufprogramm moderat, aber für Anfänger und Korpulente ist eine Stunde Lauf
täglich sicher zu viel, der Laufstil auf den Ballen ungeeignet. Strunz tänzelt
die Lauftechnik vor: „auf den Zehen wie die Rehe“. Doch Menschen sind keine
Paarhufer. Der Ballenlauf ist etwas für Sprinter. Wenn ungeübte Läufer den Fuß
im Bereich des Ballens aufsetzen, die Ferse aber nicht, dann „entstehen
Beschwerden im Bereich der vorderen Unterschenkelmuskulatur,“ kritisiert Univ.
Prof. Prim. Dr. Alfred Aigner vom Institut für Sportmedizin an den
Landeskliniken Salzburg. Unter Laufexperten ist bereits vom „Strunz-Syndrom“ die
Rede. Freizeitjogger sollten sich möglichst natürlich bewegen und den Fuß von
der Ferse her rund nach vorne abrollen. Die Ratschläge des Lauf-Gurus Strunz
laufen in die falsche Richtung.