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Wirtschaftsbegriffe: Demografie - Daten von begrenzter Aussagekraft

Immer mehr Alte, immer weniger Junge – wie soll sich das ausgehen? Bei der Demografie-Debatte würde ein wenig mehr Gelassenheit nicht schaden.

Wir schreiben das Jahr 2068. Österreichs Bevölkerung ist auf 9,8 Millionen Menschen angewachsen. Das ist ein Plus von rund einer Million im Vergleich zu 2018. Der Anteil der Jungen unter 20 Jahren an der Gesamt­bevölkerung liegt unverändert bei rund 19 Prozent. Jener der Älteren über 65 Jahre hat um neun Prozentpunkte auf 28 Prozent zugenommen. In absoluten Zahlen: um 1,1 Millionen auf 2,8 Millionen Menschen. Das prognostiziert die Statistik Austria.

Aber wird es wirklich so kommen? Wird Österreich immer weiter überaltern? Und werden wir vor diesem Hintergrund unser Pensionssystem noch aufrechterhalten können? Die in der öffentlichen Debatte befeuerten Antworten auf diese drei Fragen lauten: Ja, ja und nein. Doch woher kommt dieser Pessimismus? Müsste man Prognosen, die ein halbes Jahrhundert in die Zukunft reichen, nicht automatisch viel kritischer hinterfragen? Müsste man nicht offen zugeben: Die Zukunft ist ungewiss.

Geburtenzahl, Alterung und Migration

Was ist Demografie eigentlich? Demografie ist die Wissenschaft von den Populationen. Wie sich diese verändern, untersuchen Demografen an drei maßgeblichen Pro­zessen: Geburtenzahl, Alterung und Migration. Gemeinsam ergeben sie, wie Popu­lationen bestehen und sich wandeln – wie die Menschen die Erde bevölkern, wie sie Nationen und Gesellschaften bilden oder wie sie Kultur hervorbringen.

Geburtenraten unterhalb Bestandserhaltung

Das Interesse an Demografie ist groß. Der demografische Wandel ist in vielen ent­wickelten Ländern auch ein wichtiges ­politisches Thema. In den meisten dieser Länder liegen die Geburtenraten unterhalb des Bestandserhaltungsniveaus von 2,1 Kindern pro Frau, gleichzeitig steigt die Lebens­erwartung beträchtlich. Diese Entwicklung wird oft als "Altern der Gesellschaft" bezeichnet.

Unbehagen geht um

Faktum ist, dass, wie bereits erwähnt, die demografischen Prognosen in weiten Bevölkerungsteilen Unbehagen hervorrufen. Im öffentlichen Diskurs werden mitunter Untergangsängste geschürt, die sinkenden Geburtenraten als nationale Tragödie ins­zeniert. Kaum ein politisches Ziel oder eine ökonomische Forderung, die nicht mit dem Hinweis auf die Veränderungen in der Altersstruktur begründet werden.

Prognosen und ein Blick zurück

Politische Prozesse verändern Annahmen

Jedoch sind, so die Kritiker einer unreflektierten Demografie-Debatte, die Prognosen im Grunde nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen: Es handle sich dabei ja nicht einmal um Prognosen, sondern um reine Annahmen. Denn schon im Zeithorizont von 5 Jahren können politische und gesellschaftliche Prozesse in Gang kommen, die demografische Entwicklungen massiv beeinflussen. 50-Jahres-Prognosen gleichen da einer Kaffeesudleserei.

In den Berechnungen werden die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen generell linear fortgeschrieben. Damit schleicht sich eine Reihe von folgenschweren Fehlern ein. Keine Krise, kein Krieg, kein großer Aufschwung wurde ­jemals richtig vorausgesagt. Vielleicht müssten die Demografen es mehr mit dem US-Schriftsteller Mark Twain halten, der einmal gesagt haben soll: "Voraussagen soll man unbedingt vermeiden, besonders solche über die Zukunft."

Ein Blick zurück

Wie so oft kann ein Blick in die Vergangenheit relativierend sein. Schon im vorigen Jahrhundert ist die Lebenserwartung in westlichen Industrieländern um mehr als 30 Jahre gestiegen. Der Anteil der Jungen hat sich halbiert, während jener der über 65-Jährigen sich verdreifacht hat.

In der Weimarer Republik (1918 bis 1933) ging die Angst vor "Geburtenschwund und der Überalterung des deutschen Volkskörpers" um. 1953 befürchtete der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer gar unser "Aussterben". Ebenso war schon in den 1950er-Jahren die Annahme weit verbreitet, dass die Pensionen, die heute aus­bezahlt werden, nie und nimmer finanzierbar sein würden.

Zunahme der Produktivität und Zuwanderung

Wir sind aber nicht ausgestorben, der ­Sozialstaat wurde auf- und nicht abgebaut. Der in seiner Grundtendenz nicht zu bestreitende demografische Wandel, also im Wesentlichen der Rückgang der Geburten und die steigende Zahl von Menschen im nicht erwerbstätigen Alter jenseits der 65, wurde durch Zuwanderung mehr als kompensiert.

Und vor allem: Die Produktivität wurde gesteigert. Wir arbeiten durchschnittlich deutlich weniger als noch vor 50, 100 Jahren, schaffen aber mehr Output. Der Wohlstand wird nicht nur von neuen Bürgern geschaffen, sondern in hohem Maß auch durch Effizienzsteigerung, technischen Fortschritt, höhere Bildung und bessere Gesundheit.

Ideologie schwingt mit

Ideologie schwingt mit

Wenn man also von einer Krise der Sozialsysteme sprechen mag, dann liegen die Probleme nicht vorrangig in der Überalterung der Gesellschaft – vielmehr in dem Umstand, dass die Erlöse aus der Produktionssteigerung nicht im erforderlichen und gerechten Ausmaß im Pensionssystem, also bei den Menschen, angekommen sind.

Gerd Bosbach, Professor für Statistik und empirische Wirtschafts- und Sozialforschung, sagte in einem Interview mit der deutschen "Tagesschau" sehr pointiert: "Der demografische Wandel ist die willkommene Universalentschuldigung für ­alles, was schiefläuft. Interessensgruppen beeinflussen (die öffentliche Meinung, Anm.) über Dutzende von Forschungseinrichtungen, die Studien veröffentlichen, die in ihrem Sinne argumentieren. Und die werden zum Teil ungeprüft übernommen."

Es gelte also nach wie vor der Satz von ­Voltaire, wonach man einer hundert Mal gehörten Lüge mehr glaubt als einer einmal gehörten Wahrheit. Auch der deutsch-­britische Demograf David Eversley konstatiert, dass "die Geschichte der Bevölkerungsprognosen nie frei von Ideologie" sei.

Demografie und Altersvorsorge

Tiefe Spuren hat die Demografie-Debatte jedenfalls in der Altersvorsorge hinterlassen. Pensionsreformen wurden und werden mit dem demografischen Wandel legitimiert, die private Vorsorge wird damit als Heilsbringer für die Absicherung im Alter propagiert. Die Versicherungsbranche reibt sich die Hände.

Doch vergessen diejenigen, die eine Katastrophe für das Pensionssystem herbeireden möchten, dass dasselbe dann auch für alle Vorsorge- und Rentenprodukte in der 3. Säule (private Vorsorge) und der 2. Säule (betriebliche Altersvorsorge) gelten muss. Denn auch das System der kapitalgedeckten Produkte basiert auf einer Art Generationenvertrag und wird instabil, wenn immer weniger Junge nachkommen, die Veranlagungsprodukte kaufen.

Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 1968 (Grafik: VKI, Quelle: Statistik Austria)
Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 1968

Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 1968

Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 2018 (Grafik: VKI, Quelle: Statistik Austria)
Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 2018

Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 2018

Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 2068 (Grafik: VKI, Quelle: Statistik Austria)
Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 2068

Bevölkerungspyramide Österreich im Jahr 2068

Bevölkerungspyramiden Österreichs: 1968, 2018, 2068

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