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Fotografieren: Schnappschüsse - Im richtigen Moment

Im entscheidenden Augenblick abdrücken: Das gilt für den Schnappschuss – und vielleicht liegt darin überhaupt die Kunst der Fotografie. Ein Auszug aus unserem Buch "Fotografieren statt knipsen".

Das kleine Kind legt sein Gesicht in Falten, und es ist klar, dass es in der nächsten ­Sekunde losheulen wird. Der Fußballer ist in die Höhe gestiegen und wird gleich zum Kopfball ansetzen – wir sehen sein hoch ­konzentriertes Gesicht und wie der Ball auf ihn zugeflogen kommt. Die Katze ist zum ­Absprung bereit – gleich wird sie sich auf die Maus stürzen.

Drei Bildbeispiele aus unterschiedlichen Bereichen, aus der Familien-, Sport- und Tier­fotografie. Was verbindet diese Aufnahmen? Sie alle halten einen entscheidenden Moment fest, einen, der nicht kurz vorher und auch nicht kurz nachher da ist, sondern nur in eben dieser Sekunde oder gar Zehntelsekunde.

Den Fluss der Zeit anhalten

Das Wesen der Fotografie besteht darin, den Fluss der Zeit mit der Kamera anzuhalten. Manchmal kommt es auch darauf an, genau jenen kurzen Moment zu treffen, in dem sich eine Situation in markanter Weise verdichtet. Ein weinendes Kind bietet keinen ungewöhnlichen Anblick, auch kein ungewöhnliches Foto. Doch wer die Sekunde erfasst, kurz bevor die Tränen zu fließen beginnen, dem gelingt ein ­ungewöhnliches, weil seltenes Foto. Ein Foto zudem, das uns in die Lage versetzt, jenen Moment genauer zu studieren, der im wirk­lichen Leben so schnell vorübergeht, dass wir ihn gar nicht richtig erfassen.

Einzigartigkeit des Moments

Jedes Foto ist unwiederholbar, sofern es ­einen Augenblick festhält, der sich so nicht wieder herstellen lässt. Jedes Foto ist aus diesem Grund auch einmalig – und manchmal sticht uns diese Einmaligkeit ­direkt ins Auge; dann nämlich, wenn ein selten außergewöhn­licher Augenblick festgehalten wird. In diesem Fall müssen wir nicht lange nachdenken, keine aufwendigen Analysen vornehmen, uns ist vielmehr auf Anhieb klar: Das ist ein besonderer Treffer! Da ist es uns gelungen, etwas Dramatisches oder Wichtiges oder Lustiges, in jedem Fall Besonderes festzuhalten, das sich auf die genau gleiche Weise mit Sicherheit (und vielleicht zum Glück) nie wieder abspielen wird. Gerne sprechen wir in einem solchen Fall auch von ­einem Schnappschuss.

Keine reine Glückssache

Das Wort Schnappschuss hat nicht den ­besten Beigeschmack. Viele verbinden damit Glück und Zufall. Tatsächlich sind viele Schnappschüsse, vor allem jene, die in die Kategorie Spaßfotos fallen, glücklichen Umständen zu verdanken, so etwa dem zufällig zeitrichtigen Auslösen. Die gelungenen Resultate brauchen nicht einmal beabsichtigt gewesen zu sein, manchmal offenbaren sie sich erst auf dem fertigen Bild.

Wer eine Katze mitten im Sprung auf ihre Beute fotografiert, muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Und das heißt in der Regel: Er muss Glück haben. Dabei nehmen wir ­jenen Fall aus, dass der Fotograf Forscher ist und tagelang nichts anderes tut, als auf der Lauer zu liegen.

Vertrautheit mit seiner Kamera

Glück gehört zum Leben, und bekanntlich benötigt auch ein Fußballverein jede Menge Glück, um Meister zu werden. Doch mit Glück allein ist es nicht getan, nicht im Fußball und nicht in der Fotografie. Hinzukommen muss das Können – in der Fotografie das Können, die außergewöhnliche Situation erstens zu erfassen und dann auch noch blitzschnell mit der Kamera festzuhalten. Wer mit seiner Kamera nicht auf Du und Du ist und einige Zeit dafür benötigt, alle notwendigen Ein­stellungen vorzunehmen, kommt hoffnungslos zu spät zu seinem Bild, nämlich erst dann, wenn die interessante Situation längst vorüber ist.

Entscheidende Momente vorausahnen

Große, um nicht zu sagen blinde Vertrautheit mit der Kamera ist daher eine notwendige Voraussetzung auf diesem Gebiet. Dazu kommt die Fähigkeit, entscheidende Mo­mente antizipieren, das heißt vorausahnen zu können. Gerade in der Sportfotografie spielt diese Fähigkeit eine große Rolle. Wer zu aufregenden Fußball-Fotos kommen möchte, muss etwas von der Materie verstehen, also darüber im Bilde sein, wo und wann sich wohl spannende Situationen ereignen werden. Noch besser, wenn er über spezifische Eigenheiten von Mannschaften und Spielern Bescheid weiß. Dann kann er seine Kamera schon im Voraus entsprechend in Stellung bringen. So wie der Fernsehmoderator sollte sich auch der Sportfotograf auf ein Ereignis vorbereiten.

Geduld, Kamera griffbereit

Das Wort vom "entscheidenden Moment" hat Henri Cartier-Bresson (1908–2004) geprägt, jener französische Fotograf, der auch die legendäre Bildagentur "Magnum" mit ins Leben gerufen hat. Seiner Ansicht nach wohnt jedem Ereignis, nicht nur dem spek­takulären, ein Höhepunkt inne, in dem es sein ganzes Wesen, seine Essenz offenbart. Die Kunst der Fotografen bestünde nun darin, nicht zu früh und nicht zu spät abzudrücken, sondern just in dem Augenblick, da die Situa­tion kul­miniert.

Diese Empfehlung brauchen wir in ­Zeiten der digitalen Technik nicht mehr wortwörtlich zu nehmen, da die unbrauchbaren, ­also zu früh oder zu spät geschossenen Bilder sofort wieder von der Speicherkarte gelöscht werden können. Um den entscheidenden Moment einzukreisen, ist es nicht nur legitim, sondern darüber hinaus empfehlenswert, mehrere Aufnahmen zu machen. Was man hat, hat man. Was überflüssig und nicht brauchbar ist, kann im digitalen Papierkorb landen.

Geduld und griffbereite Kamera

Bresson war mit seiner Kamera auf den ­Straßen unterwegs, immer auf der Suche nach dem "entscheidenden Moment". Dieser Moment lässt sich allerdings genauso wenig erzwingen wie das Glück. Viel öfter ist Geduld gefragt. Und immer sind die Augen offen zu halten und die Kamera griffbereit.

Einem Magnum-Kollegen von Bresson, Robert Capa, gelang im Spanischen Bürgerkrieg ein Foto, das zur Ikone, zum Symbol­foto gegen den Krieg, gegen alle Kriege ­aufstieg. Es zeigt, wie ein Milizionär, von ­einer Gewehrkugel im Rücken getroffen, ­zusammenbricht. Eine legendäre Aufnahme, an deren Echtheit mittlerweile jedoch gezweifelt wird.

Schnappschuss auch ohne Bewegung

Wir neigen dazu, die Forderung nach dem "entscheidenden Augenblick" bloß auf außer­gewöhnliche Situationen zu beziehen. Doch sie gilt auch für statische Aufnahme­situationen in der Landschafts- oder Architekturfotografie. Es darf beispielsweise nicht der Augenblick verpasst werden, da sich das Bauwerk (oder der Baum) im besten Licht präsentiert. Möglicherweise kommt es ohnehin in allen fotogra­fischen Bereichen darauf an, den "entscheidenden Augenblick" einzufangen.

Fotobeispiele

Bei Kindern muss man nur die Kamera schussbereit halten, denn bald stellen sie Sachen an, die schnappschussreif sind.

Bild: Wenzel Müller 

Die Näherin des Stifts Klosterneuburg ist so sehr ins Gespräch vertieft, dass sie die auf sie gerichtete Kamera gar nicht bemerkt. Ein guter Moment für ein aussagekräftiges Foto.

Bild: Wenzel Müller 

Rauch- und Trinkpause bei einem Fußballturnier: Der Spieler erklärt gestenreich, wieso seine Mannschaft gerade verloren hat.

Bild: Wenzel Müller 

Buchtipp: Fotografieren

Die Möglichkeit jederzeit, schnell und einfach Fotos erstellen zu können ruft auch einen Überdruss hervor. Die Flut der vielen beliebigen und nichtssagenden Fotos nährt die Sehnsucht nach dem Besonderen,  nach authentischen Bildern. Weg von der Massenware und hin zum individuellen und unverwechselbaren Ausdruck.

In unserem Buch "Fotografieren statt knipsen"  wollen wir ungewohnte Wege gehen und zusammenbringen, was sonst streng getrennt ist: Fototheorie und Fotopraxis. Es soll – anhand vieler Beispiele – Lust darauf machen, die eigene Kreativität zu entdecken und das Thema Fotografie buchstäblich mit anderen Augen zu sehen.

Wir wollen Möglichkeiten aufzeigen und Anregungen bieten, die Sie unterstützen zu Ihrem eigenen, ganz persönlichen Ausdruck in der Fotografie zu finden.

www.konsument.at/fotografieren

Aus dem Inhalt

  • Zeichnen mit Licht
  • Schärfe und Unschärfe
  • Flächen, Linien, Perspektive
  • Porträt- und Landschaftsfotografie
  • Architekur- und Sachfotografie

184 Seiten, 19,60 € + Versand

Fotografieren statt knipsen

 

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