Univ.-Prof. Dr. Engelbert Hanzal (Univ.-Klinik für Gynäkologie am
Wiener AKH) über Harninkontinenz.
Konsument: Welche Formen von Inkontinenz gibt es?
Prof. Hanzal: Zum einen die Stressinkontinenz, wo es bei
körperlicher Belastung wie Husten, Lachen, Niesen oder sportlicher Betätigung
zum unwillkürlichen Harnverlust kommt. Dann die Dranginkontinenz. Hier ist der
Harnverlust mit verstärktem Harndrang verbunden. Als dritte Gruppe gibt es die
verschiedensten Formen des unwillkürlichen Harnverlustes mit unterschiedlichen
Ursachen. Dies kann auch gefährliche Ursachen wie zum Beispiel Multiple
Sklerose, bösartige Tumore in der Blase etc. beinhalten. Darum ist es besonders
wichtig, dass die Harninkontinenz ernst genommen und ärztlich abgeklärt
wird.
Konsument: Von welchen Formen der Inkontinenz sind
unsere Probandinnen besonders betroffen?
Prof. Hanzal: In erster Linie von der Stressinkontinenz.
Diese Form ist vor allem bei Frauen jüngeren und mittleren Alters die häufigste
und wird oft gemeinsam mit Senkungszuständen der Gebärmutter und der Scheide
diagnostiziert. Als Risikofaktoren dafür gelten Schwangerschaft und Geburt,
Alter, Lebensstil wie zum Beispiel Rauchen und Übergewicht, sowie Erkrankungen,
die beispielsweise mit einem chronischen Husten verbunden sind.
Konsument: Wann soll die Frau einen Arzt
aufsuchen?
Prof. Hanzal: Die Inkontinenz stellt nach wie vor ein
gewisses Tabu dar. Der regelmäßige Besuch bei Frauenärztin oder -arzt ist eine
Gelegenheit für Frauen, das Thema zur Sprache zu bringen. Es ist umgekehrt auch
wichtig, dass Gynäkologe oder Gynäkologin das Problem des unwillkürlichen
Harnverlustes aktiv ansprechen. Nur dann kann es abgeklärt und behandelt werden.
Konsument: Welche medizinischen Möglichkeiten gibt es
für den Arzt?
Prof. Hanzal: Zuerst die Abklärung der Ursache des
unwillkürlichen Harnverlustes. Dies ist heute durch relativ einfache
diagnostische Schritte möglich. Damit kann der Arzt feststellen, ob gleich mit
einer Behandlung begonnen werden kann oder erst ein Spezialist konsultiert
werden muss.
Bei Behandlungsmöglichkeiten unterscheiden wir zwischen
Inkontinenzoperationen und so genannten konservativen Behandlungsformen. Vor
Inkontinenzoperationen ist unbedingt eine Abklärung mittels der „Urodynamik“
anzustreben. Inkontinenzoperationen werden von Gynäkologen und Urologen
durchgeführt. Bei der konservativen Behandlung kommt der Physiotherapie ein
besonderer Stellenwert zu. Gezieltes Training der Beckenbodenmuskulatur bringt
erstaunliche Erfolge. Bei der Dranginkontinenz ist die Behandlung mit
Medikamenten besonders erfolgreich. Außerdem kann mit elektrotherapeutischen
Maßnahmen Besserung erzielt werden. Auch vor konservativen Maßnahmen ist eine
ärztliche Untersuchung anzuraten, um sinnlose Behandlungen zu vermeiden.
Konsument: Was können Frauen selbst gegen Inkontinenz
unternehmen?
Prof. Hanzal: Das Beckenbodentraining hat praktisch keine
Nebenwirkungen. Diese Behandlung ist prinzipiell vorbeugend. Allerdings gibt es
derzeit keine wissenschaftlichen Daten, die den Wert des Beckenbodentrainings
bei der Vorbeugung eindeutig belegen können. Wichtig erscheint mir, dass Frauen
spätestens in der Schwangerschaft bei der Geburtsvorbereitung auf die Bedeutung
des Beckenbodens im Hinblick auf die Kontinenz hingewiesen werden. Dabei sollten
Möglichkeiten gezeigt werden, wie mit Beckenbodenproblemen umzugehen ist, die
nach einer Entbindung auftreten können. Es sollte heute für jede Frau
selbstverständlich sein, zu wissen, wo sie ärztliche Hilfe bekommen
kann.