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Pharmakonzerne im Ethik-Test - Fatale Nebenwirkungen

  • Lifestyle-Produkte bringen größten Umsatz
  • Marketing geht vor Forschung
  • US-Unternehmen schwach
  • Schlechte Karten für die Dritte Welt

Schlechtes Image der Pharmabranche

Im Gegensatz zur „schwarzen“ Ölbranche, die Thema des letzten Ethik-Tests im Dezember 2005 war, dominiert in der Pharmabranche die Farbe weiß: Die Forscher in ihren Mänteln, die keimfreien Labors oder die großzügigen, lichtdurchfluteten Konzernzentralen – alles wirkt hell und sauber. Doch das ist bloß das äußere Erscheinungsbild, das Image der Pharmakonzerne scheint kaum besser zu sein als jenes der Ölmultis. Hohe Profite, Bestechung von Ärzten und Krankenhauspersonal, Patienten als Versuchskaninchen, Manipulation von Studienergebnissen, skrupellose Torpedierung von Fortschritten in der Gesundheitspolitik – all das werfen Kritiker den Medikamentenherstellern vor.

Es geht um viel Geld

Weltweit werden im Pharmasektor rund 520 Milliarden Euro umgesetzt (2004). Allein in Österreich sind es 2,4 Milliarden Euro, wenn man den Verkauf in Apotheken und Spitälern zusammenrechnet. Obwohl sich auf dem Markt an die 400 Unternehmen tummeln, dominieren einige wenige das Geschehen. 20 Konzerne vereinen zwei Drittel des Marktes auf sich. Die drei Großen, der US-Konzern Pfizer, GlaxoSmithKline aus Großbritannien und Sanofi-Aventis aus Frankreich beanspruchen zusammen 20 Prozent des Kuchens für sich. Das gilt weltweit ebenso wie in Österreich, allerdings hat der französische Sanofi-Konzern nach der Einverleibung des deutschen Konkurrenten Aventis den bis dahin unangefochtenen Marktführer Pfizer auf dem heimischen Markt bereits überholt.

Fusionen, Allianzen verringern Wettbewerb

Der Trend der letzten Jahre weist in Richtung weiterer Fusionen, strategischer Allianzen und Spezialisierungen; Ziel ist es, die Kosten zu senken und die Marktposition auszubauen. Ob das den Patienten nützt, steht auf einem anderen Blatt. So hat Aventis schon vor der Übernahme durch Sanofi dank einer Fusion drei von vier Medikamenten gegen Schlafkrankheit in seinem Angebot vereint. Mit jedem Zusammenschluss von zwei Großkonzernen wird der Wettbewerb spürbar eingeschränkt.

Sieben amerikanische  Gesellschaften

Für unsere Erhebung wurden 16 der größten Pharmakonzerne der Welt ausgewählt, die auch in Österreich den Markt dominieren. Die geografische Verteilung zeigt die Vormachtstellung der USA: Sieben Gesellschaften haben dort ihren Stammsitz, Schweiz, Großbritannien, Deutschland und Dänemark sind mit je zwei Unternehmen vertreten, Frankreich mit einem.

Medikamentensicherheit

Die Sicherheit von Arzneimitteln wird in Tierversuchen und klinischen Studien ausgetestet. Das Risiko von Nebenwirkungen soll – in Relation zum therapeutischen Nutzen – so gering wie möglich gehalten werden. Es ist die Pflicht des Herstellers eines neuen Medikamentes, entsprechende Informationen zu sammeln und zu bewerten sowie negative Erfahrungen an die Gesundheitsbehörden zu melden. Das ist vor allem für die Versuche nach erfolgter Zulassung wichtig (post-marketing research).

Das System funktioniert nicht

Doch aus mehreren Gründen funktioniert das System nicht: Die Industrie macht großen Druck auf die Behörde, um eine möglichst schnelle Zulassung zu bewirken; die Behörde vertraut einseitig auf die Angaben des Unternehmens; die Behörde wird von der Industrie finanziell unterstützt; und es gibt keine vergleichende Medikamententests.

Arzneimittel-Agentur EMEA: zahnlos

Als besonders zahnlos erweist sich die Europäische Arzneimittel-Agentur EMEA (European Medicines Agency). Sie wird nur selten aktiv und hält Versuchsdaten unter Verschluss. Die amerikanische Behörde FDA (U.S. Food and Drug Administration) agiert wesentlich offensiver. So hat die EMEA im Jahr 2004 fünf Sicherheitsmeldungen ausgeschickt, im Jahr 2005 überhaupt keine. Dagegen hat die FDA 107 Warnungen allein 2005 ausgesprochen. Im Dezember 2003 warnte die britische Behörde vor dem Antidepressivum SSRI, die FDA reagierte darauf im März 2004, die EMEA ließ sich bis April 2005 Zeit.

Pfizer: acht Medikamente zurückgenommen

Trotz des lückenhaften Sicherheitssystems (auch die FDA ist weit vom Idealzustand entfernt) mussten die meisten großen Pharmakonzerne wegen Sicherheitsproblemen bereits Medikamente wieder vom Markt nehmen. Den Negativrekord hält Pfizer: Im Zeitraum 2000 bis 2005 wurden acht Medikamente zurückgenommen, GlaxoSmithKline folgt mit drei.

Nur wenige Medikamente sind ein Fortschritt

Bei Weitem nicht alle Medikamente, die auf den Markt kommen, stellen einen therapeutischen Fortschritt dar. Die Vielzahl an Präparaten gegen hohen Blutdruck oder hohe Blutfette, die den Markt überschwemmt, lässt sich eher mit den hohen Gewinnaussichten erklären als mit der Innovationsfreudigkeit der Unternehmen. Eine Untersuchung in Kanada kam zu dem Schluss, dass nur fünf Prozent der im Zeitraum 2000 bis 2004 zugelassenen Medikamente als innovativ eingestuft werden können, der große Rest waren je zur Hälfte Nachahmerprodukte und Nachfolgeprodukte bereits bestehender Medikamente (geänderte Rezeptur, neue Indikation, ...).

Johnson & Johnson: besonders innovativ

Ähnlich die Ergebnisse einer FDA-Studie für die USA: Nur 12 Prozent der Zulassungen wurde ein signifikanter therapeutischer Fortschritt attestiert. Zwei US-Konzerne halten in unserer Bewertung die Extrempositionen. Johnson & Johnson gilt als besonders innovativ, während Merck Sharp Dohme das Schlusslicht in diesem Ranking bildet.

Tierversuche und 3R-Prinzip

Die Gesundheitsbehörden schreiben Tierversuche für neue Arzneimittel zwingend vor. Tierschutzorganisationen halten diese rigide Haltung für überholt. Es gebe längst Alternativen wie die Verwendung von Organen oder Gewebekulturen, Computersimulation oder der Rückgriff auf Datenbanken von bereits durchgeführten Tests. Tatsächlich gibt es seit Jahrzehnten einen allgemein anerkannten Grundsatz, um den Einsatz von Versuchstieren so niedrig wie möglich zu halten: das 3R-Prinzip.

  • Reduction (Reduzierung): Anzahl der Tiere reduzieren
  • Refinement (Verfeinerung): Methoden erforschen, um das Tierleid zu vermindern
  • Replacement (Ersatz): Ersetzen von Tierversuchen durch alternative Methoden

Kritisiert wird vor allem die geringe Informationsfreudigkeit der Unternehmen. Nur AstraZeneca und Novo Nordisk stellen ausführliche Daten auf ihrer Homepage oder in ihren Geschäftsberichten zur Verfügung. Gegen letztere Firma spricht allerdings, dass die Zahl der Versuchstiere im Steigen begriffen ist und dass sie sich nicht von der AAALAC (einer unabhängigen Organisation zur Qualitätssicherung in der Labortierhaltung) akkreditieren lässt (nur Nycomed und Schering tun dies auch nicht).

Klinische Studien am Menschen

Hat sich ein Wirkstoff im Tierversuch bewährt, wird er auch an Menschen erprobt. Für diese so genannten klinischen Studien gibt es zahlreiche Bestimmungen und Richtlinien. Drei Phasen müssen durchlaufen werden: Zunächst wird der Wirkstoff an gesunden Menschen erprobt, die sich freiwillig dazu bereit erklären. In Phase 2 wird das Mittel an einer kleinen Zahl von Patienten erprobt. Die dritte Phase sieht die Erprobung an einer großen Zahl von Patienten vor (mehrere tausend). Erst nach Vorliegen der Ergebnisse dieser Phase kann ein Antrag auf Zulassung gestellt werden.

Wie funktioniert das Mittel wirklich?

Nach der Zulassung sollte es eine vierte Phase geben, die als „post-marketing research“ oder im Deutschen auch als „Anwendungsbeobachtung“ bezeichnet wird. Kritiker bewerten diese Phase als den eigentlichen großen „Feldversuch“, für den es allerdings kaum Bestimmungen gibt. In der Praxis wird daraus eine „Marketingaktion mit pseudowissenschaftlichem Anstrich“, wie es im Pharma-Brief Spezial 2/2005 (herausgegeben von der BUKO Pharma-Kampagne, Bielefeld) formuliert wird.

Viele Nebenwirkungen erst spät entdeckt

Mehr als die Hälfte der (schwer wiegenden) Nebenwirkungen von Medikamenten werden erst sieben oder mehr Jahre nach deren Zulassung entdeckt. Die Zahl der Todesopfer wird allein in den USA auf 100.000 geschätzt. Die Rücknahme des Rheumamittels Vioxx (von Merck Sharp Dohme) im Jahr 2004 hat den Ruf nach unabhängiger Überwachung der Phase 4 laut werden lassen.

Ethische Probleme mit Placebos

Aber auch bei den Studienphasen vor Zulassung liegt einiges im Argen. So wird vor allem kritisiert, dass bei Vergleichstests Placebos (Scheinmedikamente) verabreicht werden, obwohl es bereits eine erprobte Behandlung gäbe. Das kann letztlich darauf hinauslaufen, dass Patienten eine lebensrettende Behandlung vorenthalten wird, nur um die Zulassung eines neuen Medikamentes zu erlangen. Aus diesem Grund hat der Weltärztebund schon vor Jahren in der Deklaration von Helsinki die Behandlung schwerer Erkrankungen mit Placebos, sobald es erprobte Alternativen gibt, ausdrücklich verboten.

Glaub keiner Statistik, ...

Weitere Kritikpunkte sind: Anwendung untauglicher Vergleichs-Arzneimittel; zu geringe Dosierung des Vergleichsproduktes; Erprobung an zu jungen oder völlig gesunden Personen, um Nebenwirkungen möglichst gering zu halten.

... die du nicht selbst gefälscht hast

Maßlos überzogen scheinen die Kostenangaben, mit denen versucht wird, das Image der Branche zu heben. Eine gerne zitierte Quelle aus dem Jahr 2003 beziffert die Entwicklungskosten für ein neues Medikament mit 802 Millionen Dollar. Darin werden Opportunitätskosten (theoretische Kostenberechnungen) und abzugsfähige Steuern mitgerechnet. Alternative Kalkulationen kommen auf Kosten von lediglich 100 Millionen.

Studien in Billigländer verlagert

Dazu kommt, dass (wie erwähnt) nur ein kleiner Prozentsatz von Medikamenten wirklich innovativ ist. Ein nachgeahmtes oder adaptiertes Produkt hat natürlich wesentlich niedrigere Entwicklungskosten. Außerdem werden immer mehr klinische Studien in Niedriglohnländer ausgelagert: 40 Prozent aller Medikamentenversuche werden nach aktuellen Schätzungen in Osteuropa oder Asien durchgeführt. In Indien lassen sich auf diese Weise 60 Prozent der Kosten einsparen, in China sogar 80 Prozent.

Negative Studien werden selten veröffentlicht

Bei sieben Unternehmen in unserer Erhebung bestehen konkrete Verdachtsmomente, dass unethische klinische Studien durchgeführt werden (Boehringer, Glaxo, Novartis, Novo Nordisk, Pfizer, Sanofi und Wyeth). Am besten werden Roche und Abbott bewertet. Bei den insgesamt relativ guten Resultaten in diesem Bereich muss zweierlei berücksichtigt werden: Die gesetzlichen Bestimmungen sind zu lasch und die Dunkelziffer ist sehr hoch – negative Studienergebnisse werden selten publiziert.

Forschung: 100%, Vermarktung: 200%

Ohne Werbung läuft in der Branche überhaupt nichts. Für die Vermarktung ihrer Produkte geben die Firmen doppelt so viel aus wie für Forschung & Entwicklung. Die Methoden sind vielfältig und gehen über Prospekte oder Inserate in Fachzeitschriften weit hinaus. Ärzte erhalten regelmäßig Besuche von Pharmavertretern, bei denen Geschenke und Gratisproben nicht fehlen dürfen. In Belgien (mit Österreich vergleichbar) wird die Zahl der Vertreter auf 3500 geschätzt.

"Guten Tag Frau Doktor"

Eine britische Erhebung kommt zum Schluss, dass Ärzte so gut wie täglich mit einem Vertreterbesuch rechnen müssen. Sie werden für ihre Mitarbeit an klinischen Studien bezahlt, sie werden zu Weiterbildungskursen und Konferenzen eingeladen, die von Pharmakonzernen organisiert werden, und das womöglich in attraktiven Tourismusregionen. So ein bezahlter Urlaub kann (zumindest für Ärzte aus der Dritten Welt) wertmäßig ein Viertel des Jahreseinkommens ausmachen.

Gratis-Medikamente der Kasse verrechnet

Auch Gesetze und freiwillige Verhaltenskodizes können die Marketingpraktiken der Pharmaindustrie nur zum Teil eindämmen. Aktuelles Beispiel: Im Sommer 2005 gingen in Österreich die Wellen hoch, als der Autor des Buches „Bittere Pillen“, Hans Weiss, darauf hinwies, dass Ärzte mit Hausapotheke der Krankenkasse Medikamente verrechneten, dies sie selbst als Gratisprobe bekommen hatten. Der Gesetzgeber reagierte darauf mit einem Verbot für Naturalrabatte.

Geldrabatte bleiben erlaubt

Geldrabatte bleiben allerdings erlaubt, sofern sie die „Geringfügigkeitsgrenze“ von 7500 Euro jährlich nicht übersteigen. Hans Weiss hält das für Augenauswischerei, weil es niemand kontrollieren könne. „Wenn ich das nicht an die Öffentlichkeit gebracht hätte, wäre überhaupt nichts passiert.“

Wyeth-Lederle verstieß gegen Werbeverbot

Laienwerbung ist in Europa verboten. Die Bewerbung rezeptpflichtiger Arzneimittel darf sich nur an Fachleute (Ärzte) richten. Trotzdem kommt es immer wieder zu Übertretungen. Zuletzt – im Oktober 2005 – wurde der Firma Wyeth-Lederle auf Betreiben des Vereins für Konsumenteninformation untersagt, den Pneumokokken-Impfstoff im Internet zu verlosen.

GlaxoSmithKline: Panikmache um Hepatitis

Eine beliebte Umgehung des Werbeverbotes stellen die so genannten „disease awareness campaigns“ dar, also Aufklärungskampagnen, die Menschen vor schweren Krankheiten warnen sollen. Solche Kampagnen werden oft von Pharmafirmen finanziert, wenn es gilt ein neues Medikament zu vermarkten. In Österreich verursachen vor allem Impfkampagnen immer wieder Aufsehen, weil sie mehr mit Panikmache als mit Aufklärung zu tun haben. So die vor rund einem Jahr breit publizierte Hepatitis-Kampagne, die von GlaxoSmithKline unterstützt wurde (siehe „Konsument“ 6/2005, S. 10).

In diesem Bereich kann kein Unternehmen positiv hervorgehoben werden. Auch Unternehmen, die sich sehr wortreich und detailfreudig zu ethischem Verhalten verpflichten, sind ebenso häufig in Streitfälle verwickelt wie andere Firmen.

Mittel gegen Schlafkrankheit: vom Markt genommen

Eflornithin, ein besonders wirksames und gut verträgliches Mittel gegen die Schlafkrankheit, wurde 1985 zufällig im Rahmen der Krebsforschung entdeckt. Zehn Jahre später wurde das Medikament von Hoechst Marion Roussel (heute Sanofi-Aventis) vom Markt genommen, weil es nicht rentabel genug war. Fünf Jahre danach kam der Konzern Bristol-Myers Squibb drauf, dass der Wirkstoff auch das Haarwachstum hemmt, und brachte ihn als Creme gegen Damenbart wieder auf den Markt.

Kein Geld für Arme-Leute-Krankheiten

An diesem Beispiel, das BUKO Pharma 2004 veröffentlichte, wird das Verhältnis der Pharmaindustrie zur Dritten Welt sichtbar. Für typische Krankheiten der Dritten Welt wie Schlafkrankheit, Lepra, Tuberkulose oder Malaria werden kaum Forschungsgelder investiert. Selbst wenn etwas durch Zufall entdeckt wird lohnt es nicht, so ein Mittel anzubieten.

Viel Geld für Lifestyle-Krankheiten

Dagegen wird sehr viel Geld in die Erforschung von Mitteln gegen so genannte Lifestyle-Krankheiten gesteckt, bei denen die potenziellen Käufer erst überzeugt werden müssen, dass es sich überhaupt um eine Krankheit handelt, die medikamentös zu behandeln ist (Mittel für oder gegen Haarwuchs, gegen Falten, Schüchternheit oder Erektionsstörungen). Den größten Umsatz machen die Pharmariesen mit Mitteln gegen hohen Blutdruck, hohe Blutfette, Arthritis, Depression oder Allergien, und in diese Blockbuster („Kassenschlager“) wird folgerichtig auch am meisten investiert. Dagegen werden in die „vernachlässigten Krankheiten“ der Dritten Welt schätzungsweise nur 10 Prozent aller Forschungsmittel gesteckt – jene Krankheiten, die für 90 Prozent der krankheitsbedingten Todesfälle verantwortlich zeichnen.

AIDS: 39 Konzerne klagten Südafrika

Dass öffentlicher Druck die Branche zum Einlenken zwingen kann, mag das Beispiel Südafrikas belegen. Die südafrikanische Regierung wollte im Jahr 1997 die Produktion billiger AIDS-Medikamente ermöglichen und wurde daraufhin von 39 Pharmakonzernen geklagt. Die Berichterstattung darüber wirkte sich sehr negativ auf das Image der Branche aus, sodass die Konzerne im Jahr 2001 beschlossen, die Klage zurückzuziehen.

Zugeständnisse erst auf Druck

Welche Möglichkeiten hat ein Unternehmen, die Situation in der Dritten Welt zu verbessern? Vor allem müssten die Forschungsaktivitäten für „vernachlässigte“ Krankheiten erhöht werden, für lebenswichtige Medikamente wären Preisnachlässe zu gewähren bzw. Lizenzen zu deren kostengünstiger Herstellung zu vergeben. In Summe werden AstraZeneca, Glaxo und Novartis am besten bewertet, obwohl auch diese Firmen teilweise erst auf öffentlichen Druck zu Zugeständnissen bereit waren.

Umwelt & Soziales: bestenfalls Durchschnitt

Umwelt- und sozialgerechte Produktion, die bei Ethiktests üblicherweise die bestimmenden Faktoren sind, haben in der Pharmabranche nicht dieses hohe Gewicht. Die Herstellung von Medikamenten ist nicht sehr arbeitsintensiv, es werden eher hoch qualifizierte Arbeitskräfte eingesetzt. Probleme gibt es allerdings in den vorgelagerten Stufen, in denen Rohstoffe verarbeitet (Erdölindustrie) bzw. die Wirkstoffe hergestellt (Feinchemieindustrie) werden.

Gefährliche Produktion in Billigländer verlagert

Gefährliche und umweltbelastende Produktionsstufen werden häufig in Niedriglohnländer ausgelagert. Die meisten Unternehmen scheuen sich, die Verantwortung dafür zu übernehmen, sie erteilen den Zulieferbetrieben nur vage Auflagen und verstecken sich lieber hinter den vor Ort geltenden Gesetzen. Damit ist die Pharmabranche im Vergleich zu anderen Industriezweigen klar im Rückstand. Vor allem bei den sozialen Kriterien verdient kein Unternehmen eine positive Erwähnung.

Informationsoffenheit: Glaxo und Eli Lilly an der Spitze

Im letzten Bewertungspunkt geht es um Informationsoffenheit. Werden auf der Homepage des Unternehmens bzw. in Geschäftsberichten oder Ethik-Reports ausführliche Informationen über die soziale Verantwortung geboten? Wie bereitwillig werden Fragen der Erheber beantwortet? Nur zwei Konzerne ragen hier aus dem Feld heraus: Glaxo und Eli Lilly, während vor allem Pfizer jegliche Offenheit vermissen lässt.

US-Konzerne weit abgeschlagen

Alles in allem kann sich kein Pharmaunternehmen als Pionier in Sachen Ethik fühlen. Selbst der Schweizer Konzern Roche, der das Ranking mit deutlichem Abstand anführt, kann nur mit einem durchschnittlichem Ergebnis aufwarten (63 Prozent der möglichen Punkte erreicht). Etwas überraschen mag der zweite und dritte Platz für die relativ kleinen dänischen Branchenvertreter Nycomed und Novo Nordisk. Sämtliche US-Konzerne landen dagegen im geschlagenen Feld.

Kurzbewertung der Konzerne

Roche

Der weltweit achtgrößte Pharmakonzern ist deutlich besser als die Konkurrenz, aber auch ihm mangelt es an Verantwortungsbewusstsein – vor allem in Marketing und Zugang für die Dritte Welt.

Nycomed

Das dänische Unternehmen beweist, dass sich auch kleinere Unternehmen Ethik leisten können; Branchenbester im Marketing – wenn auch auf sehr niedrigem Niveau.

Novo Nordisk

Der zweite Vertreter Dänemarks liegt fast gleichauf mit Nycomed. Relativ ausgeglichene Wertungen ohne besondere Höhen oder Tiefen, punkto Sicherheit unter den Besten.

Schering

Der Berliner Konzern punktet vor allem bei Sicherheit (ex aequo Klassenbester) und Marketing. Schlusslicht allerdings punkto Tierversuche – das Problem wird völlig ignoriert.

GlaxoSmithKline

Der Konzern mit Sitz in London beeindruckt mit umfassender Ethik-Politik, Umsetzung jedoch mangelhaft; Kritik wegen Marketingpraktiken und Zurückhaltung von Studienergebnissen.

Novartis

Auch der (neben Roche) zweite Konzern aus Basel landet im vorderen Feld. Zeigt überdurchschnittliches Engagement beim Zugang für die Dritte Welt, wenig bei klinischen Studien.

AstraZeneca

Der britisch-schwedische Konzern überzeugt durch großes Engagement, Ersatz für Tierversuche zu finden. Wenig erfreulich sind hingegen seine Marketingmethoden.

Sanofi-Aventis

Der (nach Fusion) angehende Weltmarktführer gehört ethisch zu den Nachzüglern (kaum mehr als ein Drittel der Anforderungen erfüllt). Besonders negativ: Marketing, klinische Studien.

Abbott Laboratories

Die Gesellschaft aus Chicago kann sich damit trösten, bester US-Konzern zu sein. Klinische Studien werden relativ verantwortungsvoll durchgeführt, Tiefstwert bei Marketing.

Johnson & Johnson

Der riesige Konzern aus New Jersey ist in zahlreiche Tochtergesellschaften gegliedert – in Österreich als Janssen-Cilag. Positiv zu erwähnen ist nur die Top-Position für Innovation.

Eli Lilly

Lob für den Anspruch, alle Ergebnisse klinischer Studien – auch negative – zu veröffentlichen. Generell recht informationsfreudig; ansonsten nicht sehr ambitioniert.

Bristol-Myers Squibb

Ragt in keinem Bereich über den Durchschnitt hinaus. Steht unter Beschuss wegen Wettbewerbsbehinderung und irreführender Werbung; kleines Plus für Informationsoffenheit.

Merck, Sharp & Dohme

Auffallend ist das relativ umfassende Bekenntnis zu Standards in klinischen Tests. Sonst durchwegs schwache Performance, vor allem im Bereich Medikamentensicherheit.

Boehringer Ingelheim

Der Ingelheimer Familienbetrieb kann mit den restlichen europäischen Konzernen nicht konkurrieren. Schlusslicht bei klinischen Studien.

Pfizer

Der Weltmarktführer ist wirtschaftlich höchst erfolgreich: Allein mit dem Cholesterin-Mittel Lipitor setzt er 11 Milliarden Dollar um. Punkto Ethik dagegen unterstes Niveau.

Wyeth

Spielt gemeinsam mit Pfizer in der Unterliga. Positiv fällt lediglich der Bereich Umweltauflagen auf, in denen Wyeth die formalen Bedingungen am besten erfüllt.

Pharmakonzerne im Ethik-Test: So haben wir erhoben

Der Ethik-Test wurde im Auftrag europäischer Verbraucherorganisationen von der niederländischen Organisation SOMO (Zentrum zur Untersuchung Multinationaler Konzerne) durchgeführt. Untersuchungsgegenstand waren Pharmafirmen, die rezeptpflichtige Marken-Arzneimittel produzieren. Wir veröffentlichen die Ergebnisse von 16 der größten Pharmakonzerne in Österreich.

Wie die Erhebung durchgeführt wurde

Erhoben wurde mittels direktem Kontakt mit dem Unternehmen – Fragebogen, Gespräche mit Verantwortlichen, Briefverkehr – bzw. über Informationen auf Firmen-Website, in Berichten oder zur Verfügung gestellte Unterlagen sowie über Informationen von Organisationen der Zivilgesellschaft, Pressedatenbanken und öffentlich zugängliche Sekundärquellen.

Bewertung relativ, nicht absolut

Die Beurteilung erfolgt nach 7 Hauptkriterien. Die Bewertung erfolgt in 3 Stufen:

  • A bedeutet, dass das Unternehmen in diesem Bereich über dem Branchenstandard liegt („Pionier“); erfüllt die definierten Bedingungen
  • B : Unternehmen entspricht dem Branchenstandard; es erfüllt die definierten Bedingungen nur rund zur Hälfte
  • C : Unternehmen erfüllt den Branchenstandard nicht („Nachzügler“); nur ein (kleiner) Teil der Bedingungen wird erfüllt.

Die Festlegung der Bedingungen erfolgte branchenbezogen, ein A-Rating bedeutet also, dass das Unternehmen Branchenbester ist (bzw. einer der Branchenbesten). Es bedeutet aber nicht unbedingt, dass das Unternehmen in diesem Punkt als „sehr gut“ bezeichnet werden kann.

Die Kriterien werden gewichtet. Bedingungen, die die Gesundheit europäischer Konsumenten am meisten betreffen, wurden stärker gewichtet. Generell wird die praktische Umsetzung höher gewichtet als die Unternehmenspolitik.

Das Endergebnis für die „Unternehmensethik“ wird in Prozent vom maximal möglichen Ergebnis angegeben. Es kann somit zwischen 0 und 100 liegen. Überdurchschnittlich kann erst ein Ergebnis über 67 Prozent sein.

Die Kriterien im Einzelnen

Medikamentensicherheit (Gewichtung 20 %): Verletzung der Richtlinien für „good manufacturing practices“; Sicherheitswarnungen, Rücknahme von Medikamenten aus dem Markt; Werbung für „off-label-use“ (nicht zulassungskonformer Einsatz von Medikamenten).

Innovationsfreudigkeit (7 %): Anzahl der (meistverkauften) Medikamente mit der Klassifikation „substanzielle Verbesserung“ nach PMPRB (Kanada).

Forschung & Entwicklung (28 %, davon Tierversuche 25 % und klinische Studien 75 %)

  • Tierversuche
  • Politik, Berichtswesen, AAALAC-Akkreditierung, Alternativen.
  • Klinische Studien
  • Verpflichtung zu Bestimmungen und Industrie-Kodizes, Risikobeurteilung in der Dritten Welt, Streitfälle, Veröffentlichung der zu Grunde liegenden Politik bzw. der Versuchsergebnisse.

Marketingpraktiken (20 %): Umsetzung von Sektor-Kodizes und internationalen Bestimmungen, Regelung diverser Werbemethoden im Verhaltenskodex des Unternehmens, Streitfälle, Marketing-Budget und -Personal.

Dritte Welt: Zugang zu Medikamenten für (10 %)

Forschung & Entwicklung, Politik, Verhalten in der Praxis, Offenlegung von Lobby-Aktivitäten.

Auflagen an Zulieferbetriebe (12 %, je zur Hälfte Soziales und Umwelt)

Soziales: Verpflichtung zu den ILO-Standards, Monitoring- und Kontrollsysteme

Umwelt : Verpflichtung zu internationalen Kodizes, Umweltmanagementsysteme, Monitoring- und Kontrollsysteme.

Informationsoffenheit (3 %): Kooperation in der Erhebung, CSR- bzw. Nachhaltigkeitsbericht (gemäß den Leitlinien der GRI – Global Reporting Initiative).

Ethik-Test als Gemeinschaftsproduktion

Der Ethik-Test Pharmakonzerne ist Teil eines Projektes zur Förderung von Informationen zum Thema Ethik. Er wurde im Auftrag europäischer Verbraucherorganisationen von der niederländischen Organisation SOMO (Zentrum zur Untersuchung Multinationaler Konzerne) durchgeführt.

Einen Kommentar von Konsument-Redakteur Mag. Peter Blazek finden Sie unter dem Titel

[ Medikamente: Damenbart und Schlafkrankheit ]

Links und Buchtipp

Weitere Informationen über die Pharmabranche sind auf folgenden Websites zu finden:

Markenfirmen. com beruht auf dem Buch von Klaus Werner/Hans Weiss: „Das neue Schwarzbuch Markenfirmen “, Deuticke Verlag 2003.

Bereits erschienen

Als nächstes wird eine Studie über die europäische Tomatenproduktion erscheinen.

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