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Eine Frauenhand stoppt das Umfallen einer Reihe von Dominosteinen
Fairness und Anstand sind in der Wirtschaft oft Fremdwörter. Wir halten dagegen. Bild: Gajus/Shutterstock

VKI als moralische Anstalt: alte Worte, alte Werte

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„Ihr vom VKI benehmt´s euch ja wie eine moralische Anstalt.“ Den Vorwurf musste ich mir im privaten Kreis schon ein paar Mal anhören. Ja, stimmt.

Fairness, Anstand, Gerechtigkeit

Ja, wir sind es, mehr oder weniger, ob wir wollen oder nicht. Aber wo liegt das Problem? In unserer täglichen Arbeit versuchen wir, seriöse Information zu geben und Konsumenten auf einer sachlichen Ebene kompetent zu helfen. An der Oberfläche orientiert sich unsere Arbeit an Gesetzen, Service, Nutzen – nix Moral. Aber tief unter dieser sachlichen Firnis geht es vielen unserer Leser, User und Kunden auch um Fairness, Anstand und Gerechtigkeit. Alte Worte, alte Werte.

  • Im Lebensmittel-Check schreiben wir über Mogelpackungen.
  • In unseren Ethik-Tests berichten wir, unter welchen Bedingungen Menschen diese Produkte herstellen.
  • Unsere Rechtsabteilung klagt regelmäßig Firmen, die das Gesetz brechen; etwa eine Firma, die Volksschullehrer missbraucht, damit sie Kindern im Unterricht Werbung unterjubeln.

Es gibt unsere Tests und Berichte, Beratung, Klagen. Es ist immer wieder ein Kampf David gegen Goliath, für mehr Fairness zwischen Unternehmen und Kunden. Unsere Schleuder ist ausgeleiert, aber unsere Bilanz ist trotzdem gut, erstaunlich gut.

Leser und User treibt das Moralische

Viele Konsumenten, die sich an uns wenden, treibt das Moralische. Viele Anrufe und manche Mails unserer Leser und User kreisen um Anständigkeit und Fairness. Wir spüren deren Enttäuschung. Sie sind empört, weil sie sich von Unternehmen betrogen und mies behandelt fühlen (“Ich bin zutiefst enttäuscht von dem Hersteller“). 

Rufzeichen sind Lärmstangen

Solche Leser verwenden auffällig oft viele Rufzeichen. Rufzeichen sind Lärmstangen. Und diese Leser verwenden, weil sie es so empfinden, gerne das Wort „Betrug“. Juristisch ist das nicht korrekt (drückt einen schweren Verstoß im Strafgesetz aus - § 146 StGB). Wenn Konsumenten das Wort „Betrug“ verwenden, dann drücken sie damit ihre Wut aus. Es ist die Wut von Bürgerinnen und Bürgern, dass sich manche Unternehmen nicht mehr an die elementarsten Formen der Fairness halten und - so die Sicht der Betroffenen - die Schwäche der Kunden ausnutzen. Wer sich empört an uns wendet, dem geht es zwar vordergründig ums Geld, aber vielen - so mein Eindruck - auch um Gerechtigkeit und um das Bedürfnis, anständig behandelt zu werden. Willkommen in der moralischen Anstalt. - Unser früherer Geschäftsführer Franz Floss würde mir übrigens widersprechen: "Wir sind", schreibt er, "keine moralische Anstalt, auch wenn der erhobene Zeigefinger manchmal recht praktisch wäre."

Einnahmen durch Gesetzesbruch

2009 trat das Zahlungsdienstegesetz (ZaDiG) in Kraft; die Folge: Zahlscheingebühren sind ungesetzlich; aber A1, T-Mobile, Hutchison (Drei) und viele andere kassieren sie weiterhin. Warum lassen sie sich von unseren Klagen durch alle Instanzen treiben? Warum halten sie sich nicht sofort an das Gesetz? Weil das Gesetz nicht eindeutig ist, sagen diese Unternehmen, und weil sie angeblich der Meinung sind, durchaus das Gesetz zu erfüllen. Weil sich der Gesetzesbruch für sie auszahlt, sagen wir. Man nehme die Einnahmen durch den Gesetzesbruch, kalkuliere das Risiko, erwischt zu werden, und subtrahiere etwaige Anwalts- und Gerichtskosten. Ergebnis: Es zahlt sich aus.

Wir organisierten damals bei der Zahlscheingebühr eine Sammelaktion, klagten und gewannen in allen Instanzen. 8400 Teilnehmer - 830.000 Euro Rückvergütung. Den widerrechtlich kassierten Unrechtsgewinn der vielen Tausend (Hunderttausend?) weiteren Kunden konnten A1, T-Mobile und Hutchison und die Anderen behalten. Denn nur wer sich als geschädigter Kunde an der Sammelklage beteiligt hatte, bekam etwas zurück. 2015 verurteilte ein Gericht Spar wegen verbotener Preisabsprachen zu 30 Mio. Euro Strafe. Ö-Ticket verrechnete eine Gebühr dafür, dass man sich das Ticket selbst ausdruckt. VW betrog im Diesel-Skandal Kunden mit seiner Abgas-Software. T-Mobile sammelt mit gesetzwidrig-irreführender Werbung Kunden; wir klagen, gewinnen, aber das Unternehmen ignoriert das Urteil und macht weiter ...  Sind solche Kundenschädigungs- und Gewinnmaximierungs-Praktiken wirklich nur ein rechtliches und finanzielles Problem?

Manche lehnen uns ab

Perspektivenwechsel: Gelegentlich erreichen uns Konsumenten-Mails der anderen Art. Manche Schreiber lehnen die moralische Dimension unserer Arbeit strikt ab. Sie lehnen uns als Organisation ab, auch das ist spürbar. Sie wollen nicht an uns anstreifen, wollen in Eigenverantwortung ihr Leben und ihre Schwierigkeiten meistern – ohne die Unterstützung einer Organisation. Sie wollen sachliche Testberichte, wollen Zahlen, Daten, Fakten. Sie wollen durchaus unsere Empfehlungen, damit sie gut und günstig kaufen können. Nix Moral. Nix Anstand.

Aber was ist mit dem Nutzen und der Hilfe für die Vielen, die mit 1700 brutto auskommen müssen, die sich allein nicht wehren können? Nein, nein, bitte nicht, höre ich da. - Individueller Nutzen, mein persönlicher Nutzen - ja, bitte! Gemeinsam ist ihnen, so meine über viele Jahre gewachsene Wahrnehmung, dass solche Personen eine gute Ausbildung und ein gutes Einkommen haben, in gehobenen Berufen arbeiten, sehr leistungsorientiert sind, die "Presse" lesen und unsere Unterstützung nicht brauchen und vor allem: Sie wollen aus weltanschaulichen Gründen unsere Hilfe nicht. Politisch würde ich sie zwischen den deutschen Liberalen und den US-Republikanern einordnen. Ihr Motto: Hilf dir selbst und: Ein kleiner Sozialstaat ist ok.

„Mein Mann ist Anwalt“

Am Telefon höre ich einen Herrn (50+) mit selbstsicherer Stimme sagen: „Ich brauche ihre Beratung nicht; ich hab eine Rechtsschutzversicherung!“ Oder noch origineller der nasale Anruf einer sichtlich gut situierten Dame (65+): „Mein Mann ist Anwalt!“. „Das ist super, gnädige Frau“, habe ich ihr geantwortet, „aber was ist mit den anderen? Die können nicht alle ihren Mann heiraten.“ Spätestens, wenn der Anwaltsgatte keine Zeit für die Konsumenten-Probleme seiner Frau hat und die Rechtschutzversicherung strikt auf höhere Gewinne achtet, rufen solche Konsumenten doch unsere Beratung an (01 588 774).

Betrug durch Konsumenten

Noch eine Beobachtung: Zu viel Enttäuschung und Ohnmacht machen einsam, wütend und widerständig. Einige dieser Enttäuschten gehen in den kleinen Widerstand. Werden zu stummen Anarchisten und Querdenkern und versuchen dann ihrerseits, Unternehmen auszunehmen: „Jetzt hab ich“, erklärte mir ein Konsument am Telefon mit Blick auf seine Versicherung, „so viel eingezahlt … Ich hol mir nur mein Geld zurück, das sag ich ihnen." Und dann hat er noch noch einen kleinen Satz nachgeschoben: "Aug um Auge, Zahn um Zahn“. „Aug um Auge“ kommt aus der Zeit des Alten Testaments und nicht aus dem Konsumentenschutz. Oder vielleicht doch? Vielleicht war Gott in seiner Jugend Konsumentenschützer, denn bei Jesus Sirach 15,20 heißt es: „… und die Betrüger unterstützt er nicht.“

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