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Medikamente: Teil 2 - Marketing für Pillen

Bei der Produkt- und Preisgestaltung von neuen Medikamenten wird nichts dem Zufall überlassen.

Vielerlei will bedacht sein, bevor ein Medikament getauft werden kann. Einprägsam muss der Name sein, damit sich die nachfragenden Patientinnen und Patienten, aber auch die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte leicht an ihn erinnern. Nach Möglichkeit soll er eine Assoziation zum Anwendungsgebiet wecken. Exzellentes Beispiel hierfür: Herzkraft. Bei den Namen verschreibungspflichtiger Medikamente wie dem Blutdrucksenker Lopresor – „lowers pressure“ – sind zumindest Englischkenntnisse nötig, um eine Ahnung zu bekommen, um welches Arzneimittel es sich handelt.

Jedes Arzneimittel hat mindestens drei Namen: einen chemischen, einen Substanz- und einen Handelsnamen. Anhand des chemischen Namens können Kenner die Formel des Wirkstoffs aufzeichnen. Der Substanz- oder generische Name (Beispiel Paracetamol) ist vielen Verbrauchern schon eher geläufig. Diesen Namen gebrauchen Arzneimittel-Fachleute, wenn sie sich über den Wirkstoff austauschen und sich dabei nicht auf ein bestimmtes Markenprodukt einer Firma beziehen. Auf dem Rezept des Arztes steht schließlich der Handelsname (etwa Mexalen). Ihn hat die Firma ausgewählt, die das Arzneimittel herstellt; die Zulassungsbehörde hat ihm zugestimmt. Dazu muss der Name einmalig sein und darf mit dem anderer Medikamente nicht so leicht zu verwechseln sein.

Unterschiedliche Packungsgrößen

Es liegt im Interesse von Krankenkassen und Beitragszahlern, dass nur so viele Medikamente verkauft wie verbraucht werden. Untersuchungen zeigen zudem, dass sie zuverlässiger eingenommen werden, wenn der Inhalt der Packung mengenmäßig dem Therapieziel entspricht. Deshalb enthält die kleinste Packung eines Mittels zum Einnehmen so viele Tabletten, wie für die Behandlung des akuten Zustandes in aller Regel erforderlich sind.

Medikamente hingegen, die bei einer chronischen Krankheit wie Diabetes oder hohem Blutdruck jahrelang täglich eingenommen werden sollen, gibt es auch in größeren Packungen. Oft ist die Menge dann so bemessen, dass – bei durchschnittlicher Dosierung – der nächste Arztbesuch fällig ist, wenn die Packung aufgebraucht ist.

Farbe und Formen

Wie groß eine Pille ist und welche Form sie hat, hat wesentlichen Einfluss darauf, wie zuverlässig sie eingenommen wird. Am liebsten werden kleine Dragées geschluckt, obwohl Messungen belegen, dass ein längsovales Produkt schneller durch die Speiseröhre rutscht als ein rundes. Eckige Tabletten gelten ebenso als Quälerei wie große Kapseln. Auch die Pillenfarbe bleibt keinesfalls dem Zufall überlassen. Orientierungshilfe gibt die Farbpsychologie: Rot gilt als aktivierend, Blau als beruhigend. Ein Kreislaufmittel sollte rötlich-gelb gefärbt sein, blau ist eine beliebte Tönung für Schlafmittel. Für Medikamente, die über lange Zeit eingenommen werden müssen, bevorzugen die meisten Menschen das neutrale Weiß. Es ist emotional nicht besetzt und verschwindet darum nahezu unbemerkt im Körper. So wird man nicht permanent daran erinnert, dass das Leben oder zumindest ein beschwerdefreies Leben von der Verfügbarkeit einer Pille abhängt. Doch alles über Pillendesign bisher Erforschte ist hinfällig, wenn man das Potenzmittel Viagra zur Hand nimmt: Es ist rautenförmig und blau. Damit müsste Mann es eigentlich widerwillig schlucken und davon müde werden. Von beidem wurde bislang nichts berichtet.

Globalisierung am Pillenmarkt

Preisbewusste Verbraucher vergleichen. Warum nicht auch bei Arzneimitteln? Dismenol Neu, das Ibuprofen-Präparat gegen Regelschmerzen, kostet zurzeit 59 Schilling – in Deutschland dagegen zahlt man umgerechnet 67 Schilling dafür. Ein Voltaren-Zäpfchen mit 100 mg Diclofenac gegen Rheuma jedoch, das hier zu Lande 11,40 Schilling kostet, geht in Spanien für umgerechnet weniger als die Hälfte weg.

Die Arzneimittelhersteller beziffern die Kosten für die Entwicklung eines neuen Medikaments mit durchschnittlich 4,5 Milliarden Schilling (zirka 327 Millionen Euro). Gesetzliche Regelungen helfen ihnen, diesen horrenden Betrag wieder hereinzuholen. Schon während der Entwicklungszeit können die Firmen für eine neue Substanz ein weltweit gültiges Patent anmelden, das sie vor Nachahmern schützt. Allerdings ist für gewöhnlich bereits eine ganze Reihe von Jahren vergangen, wenn der neue Wirkstoff als Arzneimittel zum Verkauf zugelassen wird. Damit die Industrie ihr Exklusivrecht dennoch möglichst lange ausschöpfen kann, gibt es in der EU noch ein so genanntes Schutzzertifikat. Patentschutzzeit und anschließendes Schutzzertifikat bewahren ein zugelassenes Medikament so für maximal 15 Jahre vor Konkurrenz.

Staatlich reguliert oder frei

In einigen europäischen Ländern reguliert der Staat die Arzneimittelpreise, in anderen nicht. Neue Produkte bringt die Pharmaindustrie vorzugsweise in jenen Ländern auf den Markt, in denen sie den Preis ungehindert selbst kalkulieren darf. In Europa ist das vor allem Deutschland; Österreich ist ein daran gekoppelter Markt. Die Überlegungen bei der Preisgestaltung bewegen sich innerhalb zweier Grenzen: Wie viel lässt sich aus dem Markt maximal herausholen? Welcher Preis ist noch zumutbar? Um zum Beispiel ein neues Rheumamittel in dem gesättigten Markt zu platzieren, bedarf es erheblicher Werbeanstrengungen. Für ein konkurrenzloses Präparat hingegen, das zudem noch besondere Bedürfnisse befriedigt wie Viagra, lässt sich in der konkurrenzfreien Zeit nahezu jeder Preis fordern.

Der freie Markt ohne Preisregulierung führt dazu, dass, wie die OECD festgestellt hat, die deutschen Arzneimittelpreise 1993 im EU-Vergleich 50 Prozent über dem Durchschnittsniveau lagen. Den Firmen bringt das mehrfache Vorteile, denn die deutschen Arzneimittelpreise beeinflussen auch jene in den europäischen Staaten, in denen politische Entscheidungen dafür sorgen, dass die Bäume der Pharmaproduzenten nicht in den Himmel wachsen. In Spanien, Belgien und Griechenland werden die Preise staatlich festgesetzt; ihre Höhe orientiert sich an denen anderer Länder.

Ob ein Produzent ein Medikament auch in Österreich zulässt und zu welchem Preis, hängt wesentlich vom Ergebnis von Marketingstudien ab. Ein gesättigter Markt, in dem die Konkurrenz vieler die Preise drückt, verspricht keine Gewinn bringende Investition. Der österreichische Markt ist zu klein, als dass sich unter solchen Bedingungen Werbebemühungen rechneten. Das ist ein wesentlicher Grund, warum es hier zu Lande eine ganze Reihe von Präparaten nicht gibt, die im Ausland gang und gäbe sind.

Preiswerte Generika

Mit dem Ende der Schutzzeit rutscht der Preis eines Medikaments schlagartig in den Keller. Dann nämlich darf jeder Hersteller die Substanz zu einem Arzneimittel verarbeiten, ohne vom Erstanbieter die Lizenz erwerben zu müssen. So entstehen Nachfolgeprodukte, die so genannten Generika, deren Name oft, aber nicht immer, aus der Substanzbezeichnung und dem angehängten Firmennamen besteht (zum Beispiel Ibuprofen „Genericon“). Sie sind erheblich preiswerter als das Originalmedikament, denn viele Kosten fallen weg: keine Forschung, keine klinischen Untersuchungen, sogar die Zulassungsbedingungen sind erleichtert, indem die Nachahmerfirmen vieles für sich in Anspruch nehmen können, was der Erstanbieter erarbeitet hat.

Die „nachgebauten“ Generika müssen jedoch mit den Originalen nicht unbedingt identisch sein. Der Nachahmer kann zum Beispiel die Substanz mit anderen Hilfsstoffen zu Tabletten formen. Dadurch können sich die Wirkeigenschaften des Arzneistoffs verändern. In der Anfangszeit der Generikaproduktion führte das schon mal dazu, dass ein Arzneistoff, von dem man gewohnt war, dass er zum Beispiel nach einer halben Stunde wirkte, seine Wirkung erst nach zwei Stunden zeigte. Regelmäßige Kontrollen dieser so genannten Bioverfügbarkeit haben jedoch dazu geführt, dass solche Probleme mittlerweile als überwunden gelten.

Preiswert sind auch die so genannten Parallelimporte. Das sind hochpreisige, noch patentgeschützte Arzneimittel, die ein Händler in großer Menge in einem „Billigland“ einkauft, um sie dort zu verkaufen, wo das Mittel teurer ist. Die bedeutendsten parallel exportierenden EU-Länder sind Spanien, Portugal, Frankreich, Italien, Griechenland und Belgien. Importländer sind vor allem die Niederlande und Deutschland. Auch Österreich verzeichnet eine wachsende Zahl von Parallelimporten, an denen vor allem der Hauptverband der Sozialversicherungsträger großes Interesse hat; schließlich verspricht er sich davon eine Senkung der Arzneimittelkosten.

Immer deutsche Beipacktexte

Die importierten Medikamente benötigen eine Gebrauchsinformation und einen dem hiesigen Arzneimittelgesetz entsprechenden Packungsaufdruck in deutscher Sprache. Manchmal müssen sie auch gänzlich umgepackt werden. Gesundheitliche Bedenken bestehen gegen solche Importe nicht, denn sie müssen vom Ministerium zugelassen werden. In der Regel stammen sie aus den Produktionsstätten multinationaler Konzerne, in denen die Tabletten zentral für die verschiedenen Länder hergestellt werden. Probleme könnte es bei diesen Arzneimitteln vielleicht bei Rückfragen oder gar Rückrufaktionen geben, weil sich durch den Umpackprozess die verschiedenen Chargen des Medikaments nicht mehr oder nur sehr unzulänglich zurückverfolgen lassen.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, was mit den Wirkstoffen der Pillen geschieht, die Sie Tag für Tag schlucken? Sie scheiden sie aus – mit Urin und Stuhl, mehr oder minder unverändert. So landen Schmerzmittel, Antibiotika, empfängnisverhütende Mittel und anderes im Abwasser. Im Schlamm der Kläranlagen lagern sie sich ab und können die Abbauprozesse stören, denn schließlich sind nicht alle Stoffe biologisch abbaubar. Das zumindest vermeldet eine umweltmedizinische Untersuchung aus Freiburg in Deutschland. In der Wiener Kläranlage in Simmering fanden sich Abbauprodukte von Schmerzmitteln, einem Durchblutungsförderer und dem gegen Epilepsie am häufigsten eingesetzten Medikament.

Wenn die Bemühungen um bessere Filterung und intensiveren Abbau von unerwünschten Stoffen in den Kläranlagen auch laufen – was nicht ins Abwasser hineinkommt, muss auch nicht aus ihm entfernt werden. Eine überlegte Arzneimittelbehandlung kann so auch zum Gewässerschutz beitragen.

Im ersten Teil berichteten wir über Entwicklung und Zulassung von Medikamenten (siehe dazu: Weitere Artikel - "Medikamente: Teil 1"). Im nächsten Heft endet unsere dreiteilige Serie mit einem Beitrag über die Verschreibungspflicht und Pillen per Post (siehe dazu: Weitere Artikel - "Medikamente: Teil 3").

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