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Schmerztherapie - Leiden muss nicht sein

Chronische Schmerzen sind eine Qual. Als häufigste Ursache von Krankenständen und vorzeitiger Pensionierung belasten sie die Allgemeinheit. Doch das Problem wird kaum beachtet, und das Schmerzmanagement ist hierzulande noch mangelhaft.

Schmerzen sind ein Warnsignal

Akute Schmerzen sind ein Warnsignal oder Folge eines Gesundheitsproblems; sie helfen dem Arzt bei der Diagnosestellung. Die meisten akuten Beschwerden gehen durch gezielte ärztliche Maßnahmen oder Änderung des Lebensstils innerhalb einiger Wochen zurück. Bei jedem zehnten Schmerzgeplagten aber werden die Beschwerden chronisch. Unbehandelt führen sie nach Jahren des Leidens zu organischen Störungen, Depressionen, Ängsten, zu einem Mangel an Selbstvertrauen und in die Isolation. Schätzungen zufolge werden 700.000 Österreicher von anhaltend schweren Schmerzen geplagt.

Folge: arbeitsunfähig

Jeder fünfte Schmerzpatient wird arbeitsunfähig. Chronischer Schmerz ist mittlerweile die häufigste Ursache für Krankenstände und vorzeitige Pensionierung. Jeder sechste Suizid in Österreich ist das Resultat unerträglicher chronischer Schmerzen. „Die schmerzlindernde Versorgung in Österreich bleibt leider hinter dem Niveau zurück, das angesichts der positiven Entwicklung in der modernen Schmerzmedizin heute Standard sein müsste“, kritisiert Dozent Dr. Likar, Leiter der interdisziplinären Schmerzambulanz des Landeskrankenhauses Klagenfurt. Noch immer kommen bei weitem nicht alle Schmerzpatienten in den Genuss einer auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Schmerztherapie. Dabei könnte eine effektive und nebenwirkungsarme Schmerztherapie häufig zu einer verbesserten Lebensqualität verhelfen.

Warum leiden so viele unnötig?

Viele Menschen halten ihre Schmerzen geheim, aus Angst, den Arbeitsplatz oder gar den Lebenspartner zu verlieren. Im christlichen Kulturkreis gilt auferlegtes Leiden immer noch als gottgegeben, und die Einstellung, Schmerzen müsse man eben erdulden, lässt manchen „die Zähne zusammenbeißen“. Und so nehmen viele Menschen die Schmerzen einfach hin und warten viele Monate lang, bevor sie einen Arzt konsultieren. Das ist fatal. Denn je länger ein Schmerz dauert, umso mehr Chancen hat er, sich ins Gedächtnis „einzubrennen“ und desto schwieriger wird es, ihn zu behandeln.

Wohin soll ich mich wenden ...

Es kann Jahre dauern, bis Betroffene eine gezielte Behandlung erhalten. Häufig liegt es an der mangelhaften Versorgungsstruktur: So gibt es zum Beispiel in Österreich bei 600.000 Rheumakranken nicht einmal 200 spezialisierte Rheumatologen – im Burgenland gar nur einen einzigen. Wird akuter Schmerz aber nicht wirksam behandelt, sinkt die Schmerzschwelle und es entsteht, abgelöst von der ursächlichen Erkrankung, eine eigenständige „Schmerzkrankheit“. Einerseits wird chronischer Schmerz von vielen Ärzten noch nicht als eigenes Krankheitsbild wahrgenommen.

... wenn Schmerz mich beugt?

Andererseits wissen viele Betroffene nicht, wohin sie sich wenden sollen: Es gibt bislang kein Diplom der Ärztekammer für Schmerztherapie in Österreich. Die Fachärzte für Anästhesie werden zwar an den Universitäten auch „für Intensivmedizin, Notfallsmedizin und Schmerztherapie“ ausgebildet, doch das ist zu wenig bekannt. Der Anästhesist kann den Schmerz lindern, der eine Krankheit begleitet, nicht aber die Krankheit heilen. Bei Rheuma wird dies der spezialisierte Rheumatologe übernehmen, bei Krebs der Onkologe. Fachübergreifende Zusammenarbeit ist daher gefragt.

 

Welche Schmerzen häufig sind

Die größte Gruppe der Schmerzpatienten ist die der Vierzig- bis Fünfzigjährigen. Rückenleiden sind mit 26 Prozent am häufigsten, gefolgt von arthritischen Beschwerden mit 17 und Migräne mit 11 Prozent. Alterserkrankungen, insbesondere des Bewegungsapparates, erhöhen das Schmerzrisiko, und da die Lebenserwartung steigt, steigt auch die Anzahl der Menschen mit Schmerzen. Viele Krebskranke haben in der letzten Lebenszeit starke Schmerzen, und häufig erhalten sie nur eine ungenügende Schmerztherapie. Oft aber ist die Ursache des Schmerzes nicht einmal mehr erkennbar. All diese Patienten benötigen eine jahrelange, manchmal lebenslange Behandlung.

Versorgung bei Operationen verbessern

Auch die schmerzlindernde Versorgung bei Operationen lässt zu wünschen übrig: Laut IMAS-Umfrage litten zwei Drittel der Befragten nach ihrer letzten Operation an Schmerzen, zwanzig Prozent sogar an starken Schmerzen. Univ. Prof. Dr. Jürgen Sandkühler vom Zentrum für Gehirnforschung an der Medizinischen Universität Wien fordert, die Schmerztherapie nach einer Operation so lange fortzuführen, bis der Schmerz weitgehend abgenommen hat. Sein Team hat nachgewiesen, dass auch schwache Schmerzimpulse chronisch und stark werden können, und warnt deshalb davor, in der Schmerzbehandlung Lücken entstehen zu lassen.

Schmerz wird unterschiedlich empfunden

Schmerz kann nicht „objektiv“ gemessen werden; wie stark er ist, kann man nur selbst wahrnehmen. Abhängig von Ängsten und der eigenen Erwartung, von sozialen Bedingungen und dem finanziellen Zusammenhang wird Schmerz ganz unterschiedlich empfunden. In jüngster Gegenwart hat sich auch herausgestellt, dass Frauen Schmerz anders empfinden als Männer. Schmerzen können Symptome nicht nur für körperliche sondern auch für psychische Leiden sein, etwa Ausdruck eines inneren Konfliktes, der nicht lösbar scheint. Schließlich können sie für Betroffene auch einen positiven Sinn annehmen, etwa um die ersehnte Zuwendung und Aufmerksamkeit zu erhalten. Deshalb muss vor einer Behandlung eine umfassende Schmerzanalyse erstellt und es müssen möglichst alle Ursachen ergründet werden.

Schmerztagebuch hilft, Ursachen zu finden

Der Patient kann dazu beitragen, indem er ein „Schmerztagebuch“ führt. Darin wird eingetragen, wo und wann Schmerzen auftreten, wie stark sie sich anfühlen, was sie verstärkt oder lindert. Schmerzlineal und -tagebuch können in der Apotheke oder beim Österreichischen Hilfswerk kostenlos bestellt werden. Die Therapie wird dann individuell zugeschnitten. Um das Ziel der Schmerzlinderung und eine verbesserte Lebensqualität zu erreichen, ist es oft sinnvoll, zwei oder mehrere der verschiedenen zur Verfügung stehenden Methoden zu kombinieren.

Tragende Säule bei der Behandlung des Symptoms Schmerz ist die Medikation. Dabei hat sich folgende Grundregel etabliert: „Die richtigen Arzneimittel in der richtigen Dosis im richtigen Zeitintervall.“ Das bedeutet, von wirksamen Arzneien so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich entsprechend der Wirkdauer anzuwenden.

Opiate und Opioide (Morphine)

Die Mittel werden eingenommen, bevor der Schmerz wieder spürbar ist. Bei chronischem Schmerz werden Opiate und Opioide (Morphine) eingesetzt. Sie sind die besten Schmerzmedikamente, stark und gut verträglich. Allerdings erfordern sie Erfahrung des verschreibenden Arztes. Die ehemals weit verbreitete Angst davor, dass starke Morphine in der Schmerzbehandlung süchtig machen können, hat sich als unbegründet erwiesen. Auch sind frühere, abschreckende Hürden bei der Ausstellung von Suchtgiftrezepten gefallen.

Morphinverbrauch hat sich verfünffacht

Deshalb ist im letzten Jahrzehnt der Morphinverbrauch in Österreich, dessen schmerzleidende Bevölkerung lange unterversorgt war, auf nahezu das Fünffache gestiegen. Österreich liegt nun in Europa an zweiter Stelle nach Dänemark. Je nach Zweck und notwendiger Dosierung werden die Schmerzmittel (Analgetika) in Form von Kapseln, Tabletten, Tropfen, Saft, Zäpfchen, Injektionslösungen und Infusionen verabreicht. Das praktische Schmerzpflaster gibt den Wirkstoff über 72 Stunden kontinuierlich ab.

Begleitendes Gespräch mit Therapeuten

Medikamentenpumpen, die unter die Haut implantiert werden und regelmäßig die notwendige Dosis des Schmerzmittels abgeben, ermöglichen dem Patienten sogar, selbst den Zeitpunkt für eine neuerliche Gabe zu bestimmen. Je nach Situation sind auch andere Medikamente, zum Beispiel Antidepressiva gegen auftretende Depressionen, nötig und sinnvoll. Unerlässlich ist jedenfalls das begleitende Gespräch mit dem Schmerztherapeuten. „Deshalb braucht man bei jedem Termin eine halbe bis ganze Stunde Zeit, was leider von den Krankenkassen nicht bezahlt wird“, sagt Univ. Prof. Dr. Alexander Kober, Präsident von „Contra Dolorem“, einer Initiative, die sich der Aufklärung von Schmerzpatienten widmet.

Viele niedergelassene Anästhesisten bieten somit Schmerztherapie nur gegen Privathonorar an.

Kompressen, Wickel, Einreibungen, Massagen

Maßnahmen der physikalischen Medizin (Wärme- und Kälteanwendungen, Kompressen, Wickel, Einreibungen, Massagen) wie auch der Physiotherapie (Heilgymnastik, gezielte Bewegungsübungen) können in speziellen Fällen zur Besserung beitragen. Als hilfreich erweist sich auch die Verhaltenstherapie, bei der Schmerzpatienten lernen, sich abzulenken, den Schmerz weniger stark wahrzunehmen und anders damit umzugehen. Oder die Gesprächstherapie, in der psychische Ursachen ergründet und Probleme gemeistert werden können. Reicht die übliche Schmerzlinderung nicht aus, kann eine Neurostimulation helfen: Dabei wird die Übertragung der Schmerzsignale im Rückenmark durch elektrische Impulse unterdrückt.

Verhaltenstherapie wirkt

Mit einer Fernbedienung kann der Patient die Wirkung selbst steuern. Im Lauf der letzten Jahre haben sich neue minimal-invasive Verfahren etabliert, „Knopfloch-Techniken“, bei denen kein großer Hautschnitt nötig ist. Dazu zählt etwa die Nervenwurzelblockade, bei der unter Röntgen- oder CT-Kontrolle eine Kanüle bis nahe an die Wirbelsäule geschoben wird, um entzündungshemmende und abschwellende Medikamente oder Lokalanästhetika einzubringen.

Knopfloch-Technik

Diese effektiven, aber schonenden Maßnahmen ermöglichen die rasche Rückkehr in einen nun deutlich weniger vom Schmerz diktierten Alltag. Leider gibt es hierzulande noch wenige Spezialisten, die solche Techniken beherrschen. Zur Diagnose und Therapie wird neuerdings die Epiduroskopie eingesetzt – eine schmerzfreie „Knopfloch“-Methode, für die nur ein kurzer Krankenhausaufenthalt nötig ist und die mittels elektronischer Bildverarbeitung dem Operateur eine sofortige Behandlung ermöglicht. Komplementäre Schmerzlinderung Im Bereich der Komplementärmedizin gibt es viele Angebote, doch nur für wenige Methoden liegen Wirksamkeitsnachweise vor.

Autogenes Training, Muskelentspannung, Meditation

Sinnvoll sind regelmäßig ausgeübte Entspannungstechniken wie etwa Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung oder Meditation. Bei Migräne und chronischen Kopfschmerzen kann die Häufigkeit der Schmerzanfälle mithilfe der Biofeedbacktherapie (siehe „Konsument“ 4/2006 ) deutlich gesenkt werden. Das Verfahren ist insbesondere für Patienten geeignet, die häufig unter Migräne leiden und auf Medikamente schlecht ansprechen. Auch mit Qigong (siehe „ Qigong und Taichi" - "Konsument“ 2/2006 ) lassen sich Schmerzempfindungen senken. Man sollte diese Methoden jedoch unbedingt bei gut ausgebildeten Experten erlernen und unter ihrer Kontrolle einüben. Das gilt auch für schmerzlindernde Körperübungen des Yoga. Medizinische Hypnose, durchgeführt von ausgebildeten Spezialisten, ist geeignet, die Schmerzschwelle zu senken, das Schmerzgedächtnis zu beeinflussen.

Yoga, Hypnose, Musiktherapie

Musiktherapie kann die Behandlung sinnvoll ergänzen, speziell bei akuten Schmerzen nach einem chirurgischen Eingriff. Akupunktur wirkt nachweislich bei Fibromyalgie, Rückenschmerzen, Tennisellbogen, Zahnschmerzen und Kniegelenksarthrose, weniger bei Kopfschmerz und Migräne. „Das Wichtigste ist der rasche Weg zum spezialisierten Schmerztherapeuten“, so Dr. Kober. „Ob niedergelassener Anästhesist oder Schmerzambulanz, bleibt dem persönlichen Geschmack überlassen.“

Anlaufstellen/Mehr Infos zur Schmerztherapie

Österreichische Schmerzgesellschaft
Sekretariat: St. Veiter Straße 34,
9020 Klagenfurt
Tel.: (0463) 58 56-17,
www.oesg.at

Contra Dolorem
Österreichische Arbeitsgemeinschaft zur Schmerzbekämpfung und Schmerzforschungszentrum
(nähere Infos zu dieser Firma und Tel. Nr. veraltet, daher entfernt; die KONSUMENT-Redaktion)

Österreichischen Gesellschaft für Verhaltenstherapie
ÖGVT
www.oegvt.at .

Österreichische Rheumaliga
Mahlerstraße 3/2/7,
1010 Wien
Tel.: 0699 15 54 16 79
www.rheumaliga.at

Hilfswerk Austria
Tel. 0800 800 820
www.hilfswerkaustria.at

Schmerzmittel: Kompetent mit Konsument

  • Schmerzmittel nie in Eigenregie. Das fördert ein „Schmerzgedächtnis“ und bringt Risiken mit sich: Magenprobleme, schmerzmittelbedingte Kopfschmerzen, schließlich Nierenversagen.
  • Nicht hoffen, dass der Schmerz vergeht. Bei akuten Schmerzen möglichst früh den Hausarzt aufsuchen und den Schmerz genau beschreiben: Wann, wie, wie oft und wie stark tritt er auf? Welche Medikamente wurden bisher eingenommen?
  • Arztwechsel. Beim Gefühl, nicht richtig betreut zu sein, möglichst früh zum Anästhesisten oder in die Schmerzambulanz.
  • Recht auf Schmerztherapie. Eine optimale Schmerzbehandlung ist Patientenrecht und sollte auch eingefordert werden.
  • Kostenerstattung. Krankenkassen bezahlen Therapiekosten bei Vertragsanästhesisten oder -neurologen, in Schmerzzentren und -abteilungen; bei Nichtvertragsärzten erstatten sie 80 Prozent der Kosten eines Vertragsarztes.

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