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Blasenschwäche - Die Muskeln spielen lassen

Schätzungsweise jede vierte Frau und jeder zehnte Mann leidet irgendwann im Leben daran. Von Medizinern wird sie korrekt als Inkontinenz bezeichnet: Jene persönlich zutiefst verunsichernde Situation, dass man unfreiwillig Harn verliert.

Inkontinenz ist Symptom oder (vorübergehende) Folge vielfältiger Erkrankungen und Funktionsstörungen, wie zum Beispiel Entzündungen, Harnwegsinfektionen, Prostatavergrößerung, Diabetes, Schlaganfall oder Schädigung des Rückenmarks. Während Männer sehr selten in jüngeren Jahren Blasenschwäche haben, kämpfen Frauen mitunter schon ab dem 30. Lebensjahr damit. Dass sie diesbezüglich tatsächlich zum „schwachen Geschlecht“ zählen, ist anatomisch bedingt. Der Durchmesser des weiblichen Beckens ist größer als beim Mann, auch ein anderes Schließmuskelsystem macht anfälliger für die so häufige Stressinkontinenz – jenen unfreiwilligen Harnverlust beim Husten, Niesen, Lachen oder Treppensteigen – und für die Dranginkontinenz, dem unwillkürlichen Harnabgang, verbunden mit einem starken Drang. Schwangerschaft und Entbindung können durch die extreme Dehnung der Beckenbodenmuskulatur ebenso eine vorübergehende oder spätere Blasenschwäche verursachen wie hormonelle Veränderungen (etwa nach der Menopause).

Frauen besonders betroffen

Der Beckenboden ist die Muskelplatte, die sich vom Schambein zum Steißbein und zu den beiden Sitzhöckern erstreckt. Während sich die Blase langsam füllt, verschließt der Beckenboden die Harnröhre, die den Harn von der Blase nach außen leitet. Erst wenn der gedehnte Blasenmuskel dem Gehirn signalisiert, dass man auf die Toilette muss, entspannt er sich. Bei Frauen ist diese Platte dreimal unterbrochen (durch Mastdarm, Scheide und Harnröhre). Zudem ist die Harnröhre einer Frau nur etwa 5 Zentimeter lang, die des Mannes etwa 25 Zentimeter. Dadurch sind Frauen viel empfänglicher für Harnwegsinfektionen, die ebenfalls zu Blasenschwäche führen können.

Über 90 Prozent der Frauen erkranken an vorwiegend zwei Formen der Inkontinenz: An allererster Stelle (für mehr als 55 Prozent der Frauen) ist es die Erschlaffung der Muskelplatte und damit die Unsicherheit, nicht in allen Lebenslagen Kontrolle über das Entleeren der Blase zu haben. An zweiter Stelle stehen jene Formen, wo neben der Beckenbodenschwäche auch andere Ursachen wie beispielsweise chronische oder infektiöse Erkrankungen der Harnwege beteiligt sind. Man muss viel öfter auf die Toilette, als eigentlich notwendig.

Gesellschaftlich isoliert

Für Betroffene sind die Folgen meist weitreichend: Wer sich nicht mehr traut, in Gegenwart anderer zu lachen, zu niesen oder zu husten, zu essen und zu trinken, zu tanzen oder Sport zu betreiben, kurz, mit anderen gemeinsam sein Leben zu genießen, der vereinsamt sehr schnell. Depressionen sind nicht ausgeschlossen.

Niemand sollte sein persönliches Problem länger schamhaft verschweigen. Unter dem Motto „Man kann ruhig darüber reden und viel dagegen tun“ haben Fachärzte eine Aufklärungskampagne gestartet. Denn Hilfe gibt es in vielfacher Hinsicht. Nach ärztlicher Absprache können verschiedenste Therapien wie Medikamente oder Hormone erfolgreich sein. Vermehrt setzen Ärzte und Experten aber auf bereits bewährte sanfte Praktiken, die allesamt dazu dienen, den Beckenboden wieder bewusst zu machen und zu kräftigen: Durch Elektrostimulation, Biofeedback (bei dem Frauen mittels eines Geräts sehen, inwieweit sie ihre Beckenbodenmuskulatur beherrschen) sowie der Hilfe zur Selbsthilfe durch Muskeltraining (Beckenbodengymnastik). „Vor allem bei Stress- und Dranginkontinenz sowie den Mischformen ist sie nach wie vor am zielführendsten“, weiß Univ.Pof. Dr. Veronika Fialka-Moser, Leiterin des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation am Wiener AKH. „Frauen lernen, ihren Beckenboden willentlich anzuspannen und zu entspannen.“

Selbsthilfe ist möglich

Das Allerwichtigste ist dabei zunächst, ein Gefühl für eine funktionierende Beckenbodenmuskulatur zu bekommen. Dazu bieten sich zwei Möglichkeiten als kleine Vorübung an: Erstens der Versuch, den Harn vor dem Wasserlassen für einige Sekunden zurückzuhalten. Als zweites sollte das Gesäß so zusammengepresst werden, als ob man Blähungen zurückhalten wollte. Beides spannt die Beckenbodenmuskeln an und lässt sie spüren. Darum geht es auch rund um die Muskulatur der Vagina. Ihr willentliches Anspannen ist eines der Ziele der Beckenbodengymnastik.

Wichtig ist, unter fachkundiger Anleitung zu lernen. Denn nur gemeinsam mit der richtigen Atemtechnik kann es auch gelingen. Bei unsachgemäßem Üben wird nur die Bauchmuskulatur stimuliert, aber nicht jene des Beckenbodens.

Verschiedene zusätzliche Therapiegeräte wie Vaginalkone (die der Arzt für zu Hause verschreiben kann) helfen, weiter oder wieder Kontrolle über die so wichtigen weiblichen Regionen zu erhalten: Die Kegel, wie Tampons in die Scheide eingeführt, werden in verschiedenen Gewichtsklassen angeboten: Je nach Stärke der Muskulatur müssen sie, mit der abgerundeten Spitze nach unten, durch reine Muskelanspannung getragen werden. Das anfängliche Gefühl des „Verlierens“ löst eine Nervenreaktion aus, die den Beckenboden veranlasst, sich zusammen zu ziehen. Nach einigen Wochen lernt „frau“, die Beckenbodenmuskeln auch ohne den Gebrauch von Konen anzuspannen.

Positive Nebenwirkungen

Ein weiterer positiver Nebeneffekt des Trainings ist damit ebenfalls angesprochen: Das Kontrollieren kann den sexuellen Genuss beim Geschlechtsverkehr erhöhen.

In allen Kursen werden wichtige Tipps und Ratschläge weitergegeben, wie der Beckenboden im Alltag entlastet werden kann: Erst das richtige Atmen, Stehen, Sitzen oder Heben hilft, den auf ihm lastenden Druck durch Körpergewicht oder Eingeweide zu vermeiden.

Rechtzeitig, das heißt schon als Gesunde/r zu üben hilft, später Blasenschwäche zu vermeiden. Während und nach jeder Schwangerschaft, besonders aber ab 45, ist Beckenbodengymnastik besonders wichtig. „Das tägliche Training sollte so selbstverständlich werden wie das Zähneputzen“, ist Christine Putz, Fachschwester für Kontinenz- und Stomaberatung in Wien, überzeugt.

Für detaillierte Auskünfte und Informationen stehen die Medizinische Gesellschaft für Inkontinenzhilfe Österreich (6020 Innsbruck, Speckbacherstraße 1, Telefon: 0512/504 20 17) und das eigens eingerichtete Inkontinenz News Büro zur Verfügung. Es gibt unter der Telefonnummer 01/402 12 83 auf Wunsch auch anonym Auskunft und hat überdies jeden Montag von 17 bis 18 Uhr eine ärztliche Hotline eingerichtet.

Weitere Adressen für Informationen und Kursangebote können Sie über unser Abonnenten-Service anfordern: 01/588 770.

Oft wiederholen. Üben Sie das spezielle Anspannen der Muskulatur, während Sie sitzen, stehen oder gehen.

Täglich üben. Das Training täglich einplanen.

Zeit nehmen. Darauf achten, dass Sie dabei locker und entspannt sind.

Richtig atmen. Halten Sie den Atem nicht willkürlich an. Beim Anspannen ausatmen.

Nicht überanstrengen. Dauer und Intensität der Übungen nach der Tagesverfassung ausrichten.

Geduld haben. Auch ein Sportler sieht den Erfolg nicht in wenigen Tagen.

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