Interview mit
    VSLÖ-Präsidentin Anna-Marie Kern
Babynahrung wird immer noch 
idealisiert
     
Die Babynahrungshersteller behaupten, dass sie den 
internationalen Kodex zur Beschränkung der Marketingaktivitäten für Babynahrung 
einhalten. Kritiker in aller Welt hingegen – allen voran das Aktionsnetzwerk 
IBFAN 
         
        
         –sprechen von 
systematischen Verletzungen. Wer hat Recht?
Die Hersteller halten vielleicht die österreichische Verordnung ein, die auf 
einer Richtlinie der EU basiert. Darin wird Anfangsnahrung strenger 
reglementiert als Folgenahrung. Aber international ist das nie unterschieden 
worden. Der internationale Kodex bezieht sich auf Muttermilchersatzprodukte, 
darunter fallen alle Produkte, die für Säuglinge unter sechs Monaten angeboten 
werden. Die WHO empfiehlt, Kinder 6 Monate ausschließlich zu stillen. Verbunden 
damit wird die Aufforderung an alle Staaten, alles zu tun, um Frauen dabei zu 
unterstützen. Leider sind die Vorschläge in der EU nur in abgeschwächter Form 
übernommen worden.
Hat sich in den letzten Jahren etwas gebessert?
           
         
           
        
            
   Früher sind viele Stillprobleme mit dem Abstillen gelöst worden. Heute 
weiß man, dass beispielsweise wunde Brustwarzen bei richtiger Stillposition meist vermieden werden können, oder 
dass eine Frau bei einer Brustentzündung trotz Antibiotika-Abgabe weiterstillen kann. Dass 
Probepackungen mit Anfangsnahrung so einfach ausgeteilt werden, das gibt es heute auch 
nicht mehr.
Babynahrung
 immer noch idealisiert 
Jedoch die Idealisierung von Babynahrung – die gibt es immer noch. „Das 
sichere Gefühl das Richtige zu tun, weil ich dich lieb hab`“(Nestle), “ Das 
Beste aus der Natur“ (Hipp), „Ihre Liebe. Unser Wissen“ (Milupa) –meiner Meinung 
nach sind solche Werbesprüche klare Verstöße gegen das Verbot der Idealisierung. 
Aber da kann man lange diskutieren... 
Erfreulich ist, dass in den 14 von WHO/UNICEF ausgezeichneten 
„Stillfreundlichen Krankenhäusern“ in Österreich der internationale Kodex 
eingehalten wird und keine Werbung für Flaschennahrung gemacht wird.
Wie viele Babys werden eigentlich gestillt? 
          
             
          
          
         
 Die letzte österreichweite Datenerhebung dazu gab es 1998. Umfragen zufolge möchten über 
90 Prozent der Frauen ihr Kind stillen. Das heißt, in 
Österreich ist die gesellschaftliche Stimmung relativ gut. Das sind sehr gute Voraussetzungen, 
wenn sie die nötige Anleitung und Unterstützung bekommen. Die Unterstützung in 
den Krankenhäusern ist sehr unterschiedlich, je nachdem,  wie viel Fortbildung das Personal 
hat. 
Keine Daten über Zufütterung
Wir haben keine Daten dafür, wie viele Kinder aus den Krankenhäusern 
entlassen werden, die nichts zugefüttert bekommen haben. Je besser Frauen in den 
ersten Tagen beim Stillen angeleitet und unterstützt werden, desto weniger muss 
zugefüttert werden. Für Wien etwa kann man annehmen, dass maximal 30 % der Babys 
im Krankenhaus nicht zugefüttert werden. 
Was ist denn das Haupthindernis dafür, dass 
sich das Stillen nicht stärker durchsetzt?
            
           
           
        
            
             
       
      Prinzipiell sind alle 
fürs Stillen. Was vielerorts fehlt, ist eine fachgemäße Unterstützung der 
Frauen. Stillen spielt in der Ausbildung des Personals noch immer 
eine untergeordnete Rolle. Es sollten einheitliche Pflegestandards, „Evidence 
Based Care“, ausgearbeitet werden, an die sich alle halten können 
– von der Hebamme bis zum Kinderarzt. Eine 
weitere Schwierigkeit ist die, dass in Gesundheitseinrichtungen die Werbung 
für Flaschennahrung großteils weiterhin präsent ist. 
Primarii verzichten nicht auf Geschenke
Viele Institutsvorstände möchten, angesichts der Einsparungen im 
Gesundheitswesen, auf die Zuwendungen der Hersteller nicht verzichten. Das kann 
von einer Kaffeemaschine oder einem Fernseher bis zu Einrichtungen der 
Schwesternzimmer oder medizinischen Geräten reichen. Firmen organisieren und 
finanzieren selbst Fortbildungen oder übernehmen für Ärzte die Kosten für 
Kongresse. Stationsschwestern werden zu einer Österreichrundreise in die 
tollsten Wellness-Hotels eingeladen, und beliebt sind auch die Weihnachtsfeiern, 
die von den Firmen finanziert werden. 
Wichtig ist mir zu betonen, dass Flaschennahrung in manchen Fällen gebraucht 
wird, nicht alle Frauen können es sich aussuchen, ob sie stillen oder nicht. Es 
ist begrüßenswert, dass es Flaschennahrung in guter Qualität gibt. Das will ja 
niemand wirklich in Frage stellen. In Frage zu stellen sind aber bestimmte 
Marketingmaßnahmen, wie für Flaschennahrung geworben wird. 
Wird Ihrer Ansicht nach nur 
der internationale Kodex verletzt oder werden auch Gesetze gebrochen?
           
  
Meiner Meinung nach wird auch die österreichische Verordnung nicht 
eingehalten, etwa wenn es um das Verbot von Werbegeschenken an Geburtskliniken 
geht.
Informationsmaterial, das Müttern ausgehändigt wird, darf keine Bilder 
enthalten, mit denen die Verwendung von Säuglingsanfangsnahrung idealisiert 
wird. An diese Bestimmung halten sich die Hersteller nicht.
Stillen Herstellern Verluste
              
            
            
           
             
           
   
Sie müssen sich vorstellen, was das für ein Markt ist. Es gibt rund 80.000 
Geburten pro Jahr, die Kosten für Flaschennahrung belaufen sich auf 75 Euro 
monatlich. Wenn die Stillrate nur um einen Monat verlängert würde, gehen der 
Industrie sechs Millionen Euro verloren. Ein beliebtes Argument ist: „Wenn eine 
Mutter stillen will, dann lässt sie sich von der Werbung nicht davon abhalten.“ 
Aber glauben Sie wirklich, dass eine Firma Marketingmaßnahmen setzt, die sich 
nicht im Umsatzwachstum niederschlagen? 
Welche Methoden sind aus Ihrer 
Sicht besonders zu verurteilen? 
        
Es wird mir immer wieder berichtet, dass von den Vertretern der 
Herstellerfirmen ganz gezielt gegen die Initiative „Stillfreundliches 
Krankenhaus“ argumentiert wird und Falschmeldungen kolportiert werden.
Wie ist die Situation 
anderswo? 
    
Die Auswirkungen von Flaschenernährung sind in den sogenannten 
Entwicklungsländern am dramatischsten. Dort gibt es kein sauberes Wasser und 
auch keine Möglichkeit, das Wasser abzukochen. Und gerade dort sind die 
Werbemaßnahmen am stärksten, weil die höchsten Geburtenraten locken. Da ist es 
ganz selbstverständlich, dass den Frauen bei der Entlassung ein Paket mit 
Flaschennahrung mitgegeben wird. 
Indien: Werbung verboten
In Indien jedoch ist es gelungen, dank einer Gruppe engagierter Kinderärzte, 
die Werbung für Flaschennahrung gänzlich zu verbieten. 
 
          
 
Anne-Marie Kern, Präsidentin des 
VSLÖ
          
  
    
VSLÖ – Verband der Still- und Laktationsberaterinnen 
Österreichs