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24-Stunden-Betreuung: Pflegerinnen - Scheinlösungen

Selbstständige Pflegerinnen aus Osteuropa nehmen uns den Großteil der Altenbetreuung ab. Gedankt wird es ihnen kaum: Sie sind scheinselbstständig, rechtlos und finanziell am Existenzminimum.

Legalisierung der 24-Stunden-Pflege

Mit der Legalisierung der 24-Stunden-Pflege – sie trat 2007 in Kraft – sollte die vormals häufige Praxis der illegalen Betreuung rechts­konform gemacht werden. Betreuungs­bedürftige Haushalte können seither selbst eine Betreuungskraft beschäftigen oder ­Betreuer von einer Sozialorganisation engagieren oder aber eine selbstständige Person unter Vertrag nehmen. In der Praxis gibt es so gut wie ausschließlich selbstständige ­Betreuer: Unselbständige machen laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes (WIFO) aus dem Jahr 2017 gerade einmal 0,18 Prozent der Förderfälle aus.

Was ist da selbstständig?

In der Theorie würde das heißen: Die Betreuer arbeiten selbstständig in einem freien Gewerbe. Sie können sich ihre Auftraggeber aussuchen und mit ihnen ausverhandeln, welche Dienstleistung sie für welchen Preis erbringen. Sie können entscheiden, wann sie arbeiten, ob sie Pausen einlegen oder eine Vertretung schicken wollen.

Jedoch: All diese für Gewerbetreibende selbstverständlichen Arbeitsbedingungen gibt es in dieser Branche nicht. Es ist die Vermittlungsagentur, die der Betreuerin einen Betreuungsfall zuweist, die Vertragsbedingungen sind fix vorgegeben; das betrifft den Tarif, die Arbeitszeit, eventuelle Pausen und die exakte Beschreibung der zu erfüllenden Tätigkeiten. Was an dieser Tätigkeit ist also selbstständig? Genau nichts – ein klarer Fall von Scheinselbstständigkeit?

Mangelnde Deutschkenntnisse

Die Probleme sind zu einem Großteil in den mangelnden Deutschkenntnissen der Betreuungspersonen begründet. Viele Neu­ankömmlinge wissen gar nicht, dass sie selbstständig sind; sie werden in dem Glauben gelassen, angestellt zu sein – und ihre Tätigkeit ist ja auch alles andere als eigenverantwortlich.

Es sind überwiegend Frauen, die den Beruf der 24-Stunden-Betreuung ausüben. Die WIFO-Studie kommt gerade einmal auf einen Anteil männlicher Betreuungskräfte von 5,2 Prozent. Es sind meist ältere Frauen – nur ein Viertel ist unter 40 Jahre alt. Das deutet darauf hin, dass auch in den Ländern Osteuropas die Attraktivität eines 24-Stunden-Jobs in Österreich überschaubar ist.

Lohnniveau gestiegen

Das Lohnniveau hat sich in den vergan­genen Jahren an den Westen angenähert, 40 bis 60 Euro am Tag kann man auch ­daheim verdienen – und das bei einem 8-Stunden-Tag. Nur für ältere Frauen gibt es offenkundig stark eingeschränkte Beschäftigungsmöglichkeiten.

Not macht erpressbar

Die Methoden, die in der Branche üblich sind, bewegen sich leider nur allzu häufig am Rande der Kriminalität. Arbeitswillige Frauen werden mit einem Kleinbus von ­ihrem Heimatort abgeholt, müssen bereits im Bus Verträge unterschreiben, die sie nicht verstehen, und werden zu einem ­Pflegefall geführt, über den sie zuvor nicht eingewiesen wurden.

Alle Rechte für die Agentur

Bei den Verträgen handelt es sich nicht selten um Knebel­verträge, die den Vermittlungsagenturen alle Rechte gewähren; die Betreuerinnen bekommen oft nicht einmal ihren Gewerbeschein oder eine Honorarnote zu Gesicht. Wenn sie dies verlangen, lässt man sie ­wissen, dass man sie ja auch austauschen könnte, es gebe genug Anwärterinnen, die es billiger gäben. So kommt es zu unverschämten Abzockmethoden, die lange Zeit unentdeckt bleiben. Ein Beispiel: Eine ­Familie zahlte der Agentur 2.700 Euro pro Monat für die Betreuung, die Pflegerin selbst hat nur 1.000 Euro bekommen.

Gebühren, Mitgliedsbeitrag, Spesen

Oft wird den Arbeitssuchenden bereits ­daheim eine Vermittlungsgebühr von der ortsansässigen Agentur abgeknöpft, in Öster­reich müssen sie der Partneragentur nochmals etwas für die Vermittlung zahlen. Dazu kommen laufende Verwaltungsgebühren, die 2.000 Euro pro Jahr erreichen können, die Sozialversicherung, die 4.000 bis 5.000 Euro ausmachen kann, und der Mitgliedsbeitrag bei der Wirtschaftskammer. Ihr Verdienst übersteigt selten 11.000 Euro im Jahr (ab diesem Betrag wären sie einkommensteuerpflichtig, was die Arbeit noch unattraktiver macht).

Schulden machen erpressbar

So starten viele der Betreuerinnen ihre Karriere mit Schulden, aus denen sie nur schwer herauskommen, wie Roland Loidl, Geschäftsführer der Agentur IPB (Institut für Personenbetreuung), schildert. Sie werden erpressbar, müssen sich vieles gefallen lassen, weil sie es sich nicht leisten können, auch nur kurzfristig ohne Arbeit dazustehen.

Schichtbetrieb

Eigentlich ist vorgesehen, dass zwei Pfle­gerinnen sich einen Pflegefall teilen. Jede arbeitet 14 Tage pro Monat und wird dann abgewechselt. Kann die Agentur keinen Ersatz auftreiben, müssen sie aber oft zwei oder drei Monate durcharbeiten. Krank werden dürfen sie natürlich auch nicht. „Und wenn sie Jahrzehnte gearbeitet haben und schwer krank werden, können sie sich nicht einmal das Sterben leisten“, beklagt IPB-Obfrau Katarina Staronova das Schicksal von Frauen, die sich einen Großteil ihres Lebens für andere aufgeopfert haben und am Ende nicht einmal eine existenzsichernde Pension bekommen.

Zehntausende suchen Hilfe

Manchmal spielen auch die Pfleglinge eine unrühmliche Rolle. Erst kürzlich wieder ­wurde eine Betreuerin gekündigt, weil sie die zwei Stunden Pause, die ihr von ihrer Agentur eigentlich zugestanden werden, beanspruchte. In einer einschlägigen Studie an der Karl-Franzens-Universität Graz (siehe Kasten „Mehr zum Thema“) wird eine Betreuerin zitiert, deren Klientin ihr immer ­wieder an den Kopf warf: „Du bist die Rund-um-die-Uhr-Hilfe und ich bezahle dich dafür“.

Zehntausende suchen Hilfe

Wenn das alles Einzelfälle sein sollen, wie von der Wirtschaftskammer beteuert wird, so muss das große Interesse erstaunen, ­dessen sich Facebook-Gruppen erfreuen, in denen Pflegerinnen über ihre Erfahrungen berichten. Sie warnen sich gegenseitig vor betrügerischen Vermittlungsagenturen oder Fallstricken, die in der Branche alltäglich sind. Es gibt eine ganze Reihe solcher Social-Media-Gruppen. Die größte ist eine rumänische mit 23.000 Mitgliedern, die von der engagierten Elena Popa initiiert wurde. Auch sie arbeitet übrigens im erwähnten Institut für Personenbetreuung IPB mit, das sich zum Ziel gesetzt hat, Missstände in der Branche aufzudecken und den ausgebeu­teten Betreuungskräften zu ihrem Recht zu verhelfen.

Einschüchterungsversuche

Elena Popa lässt sich auch durch Einschüchterungsversuche nicht bremsen – so wurde sie bereits von einem Mann daheim aufgesucht, der drohte, man werde sie für verrückt erklären. Und eine der umtriebigsten Agenturbesitzerinnen Rumäniens hat sie wegen übler Nachrede und Kreditschädigung verklagt.

Warum es "24-Stunden-Pflege" nicht geben kann

Der Begriff "24-Stunden-Pflege" hat sich umgangssprachlich durchgesetzt. Fachlich ist er nicht korrekt und darüber hinaus fördert er auch Missverständnisse.

Hilfe im Haushalt

Die Tätigkeit soll auf Hilfestellung im Haushalt beschränkt sein, also Kochen, Reinigen, Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen, usw. Klassische Pflegetätigkeiten wie Unterstützung bei der Körperpflege, beim Essen und Trinken oder bei der Arzneimitteleinnahme sind nur unter bestimmten Umständen – wenn keine pflegerischen Gründe dagegensprechen – möglich.

Anlegen von Verbänden

Aber auch ärztliche Tätigkeiten wie das Anlegen von Verbänden, Verabreichen von Insulinspritzen oder Blutzuckermessungen können durchgeführt werden – es wäre unrealistisch, zu erwarten, dass mehrmals täglich ein Arzt oder ein diplomierter Pfleger den Pflegebedürftigen aufsucht. Man behilft sich mit der Bestimmung, dass solche Tätigkeiten explizit delegiert werden müssen und nur nach fachlicher Anleitung durchgeführt werden dürfen. 

Viel Verantwortung, beschränkte Qualifikation

Letztlich ist das ein recht umfangreicher Verantwortungsbereich für Betreuungskräfte, die laut Gesetz keinerlei Qualifikationen nachweisen müssen. Will der Betreuungsbedürftige die staatliche Förderung in Anspruch nehmen, muss allerdings eine Ausbildung im Ausmaß von 200 Stunden nachgewiesen werden.

Betreuung, nicht Pflege

Eine saubere Lösung sieht anders aus – dennoch: Formal korrekt muss von Betreuung und nicht von Pflege gesprochen werden. Vermutlich ist das auch empfehlenswert, um Missverständnissen bzw. überzogenen Erwartungen seitens unbedarfter Klienten vorzubeugen. Denn es gibt ja auch Menschen, die „24 Stunden“ wörtlich nehmen und den Betreuerinnen keine Atempause einräumen wollen.

ibp-Obfrau Katarina Stronova

„Und wenn sie Jahrzehnte gearbeitet haben und schwer krank werden, können sie sich nicht einmal das Sterben leisten“, klagt ibp-Obfrau Katarina Staronova

"Und wenn sie Jahrzehnte gearbeitet haben und schwer krank werden, können sie sich nicht einmal das Sterben leisten“, klagt ibp-Obfrau Katarina Staronova.

Mehr zum Thema

Simona Durisova: Die Organisation der Ausbeutung. Soziale und arbeitsrechtliche Benachteiligung der Pflege- und Betreuungskräfte im Rahmen der 24-Stunden-Pflege, unter besonderer Berücksichtigung
der Rolle von Vermittlungsagenturen. Masterarbeit, Karl-Franzens-Universität Graz. Oktober 2017

Beiträge in KONSUMENT

 

Buchtipp: "Der Pflege-Ratgeber"

Der Pflege-Ratgeber, 2. Auflage

www.konsument.at/pflege-ratgeber

Etwa 450.000 Menschen beziehen in Österreich Pflegegeld, sind also auf Betreuung und Hilfe angewiesen. Ihre Angehörigen stehen vor der Herausforderung, deren Pflege zu organisieren. Doch welche Möglichkeiten gibt es? Kann der oder die Betroffene zu Hause betreut werden oder ist ein Heim die bessere Lösung? Wie findet man einen guten Pflegedienst oder das passende Heim? Wo erhält man Rat und Hilfe? Und schließlich: Was kostet das alles? Der "Pflege-Ratgeber“ unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen bei allen Fragen rund um dieses schwierige Thema.

Aus dem Inhalt

  • Pflege organisieren und finanzieren
  • Unterstützung für Angehörige
  • Pflegegeld und private Vorsorge 
  • Pflegeheim und Heimvertrag 
  • 24-Stunden-Betreuung
  • Das neue Erwachsenenschutzrecht 
  • Sterbehilfe

320 Seiten, € 24,90 + Versand; ISBN 978-3-7093-0630-7

 

 

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