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Fahrradboten - Prekär unterwegs

Sie prägen das Wiener Straßenbild: Fahrradboten mit riesigen bunten Rucksäcken. Was jung und dynamisch wirkt, hat einen schalen Beigeschmack. Die Fahrer arbeiten häufig unter fragwürdigen Bedingungen.

„Oft fahre ich drei bis vier Stunden ohne Pause.“ Maximilian Schenner (21) ist neben seinem Studium als Fahrradbote bei Foodora beschäftigt – als freier Dienstnehmer. Die Boten mit den pinkfarbenen Rucksäcken bestimmen seit 2015 das Wiener Straßenbild. Halb Wien scheint sich nun das Essen nach Hause oder ins Büro liefern zu lassen. „Ich arbeite meist abends, weil es da die meisten Bestellungen gibt“, sagt Schenner.

Konkurrenzkampf in Wien

Anbieter wie Lieferservice.at und Jam machten den Anfang: Während Jam als reine Online-Plattform für Essensbestellungen keine Fahrradboten beschäftigt, ist die Plattform Lieferservice.at seit Kurzem mit einer eigenen E-Bike-Flotte in Wien für Vapiano, Türkis oder Nordsee unterwegs. Seit gut einem Jahr liefern sich Foodora und Uber Eats einen Konkurrenzkampf: Per Fahrrad wird Essen auch von solchen Restaurants zugestellt, die bisher keinen Lieferservice angeboten haben.

Sparen auf Kosten der Boten

„Foodora und Uber Eats kämpfen um die Monopolstellung in Wien, daher wird viel Geld investiert“, weiß Benjamin Herr, Arbeitssoziologe der Uni Wien. Er unterzog sich einem Selbstversuch und ließ sich beim Essenszusteller Foodora als Fahrradbote beschäftigen.

Das Geld, das beispielsweise in Marketing fließt, wird bei den Beschäftigten eingespart: Nur ein Sechstel der Fahrradboten bei Foodora ist angestellt, alle anderen sind freie Dienstnehmer. Im Durchschnitt kommen Fahrradboten bei Foodora auf neun bis zehn Euro pro Stunde plus Trinkgeld.

Verfehlte Personalplanung

Verfehlte Personalplanung

Sobald es draußen kalt wird, bleiben die Menschen lieber zu Hause und die Zahl der Bestellung steigt; im Frühling geht sie dagegen zurück. Das bekommt auch das Personal bei Foodora zu spüren. Im April 2017 wurden 70 Fahrer gekündigt. „Verfehlte Personalplanung“, konstatiert Herr, dem Unternehmen seien die Schwankungen bewusst. „Wir sind bezüglich entsprechender Flottenplanung zu saisonbedingten Schwankungen im Austausch mit dem Betriebsrat“, lautet die Stellungnahme des Foodora-Sprechers Vincent Pfeifer.

Fahrer zahlen für Reparatur

Eingespart wird auch bei den Betriebskosten: Die Fahrer müssen selbst für Instandhaltung und Reparaturen ihrer Fahrräder aufkommen. „Ich habe für die Reparatur eines kaputten Reifens 50 Euro gezahlt“, erzählt Schenner. Dazu fallen Gebühren für mobile Daten und Telefonkosten an, um über die unternehmenseigene App erreichbar zu sein: „Man loggt sich zu Arbeitsbeginn ein und kann von den Disponenten zugeteilt werden.“ Diese haben ihren Arbeitsplatz nicht etwa in Wien, sondern seit 2016 in Berlin, von wo aus sie gleich mehrere Städte verwalten. „Dadurch ist keine direkte Kommunikation möglich“, so der Arbeitssoziologe Herr. Den Disponenten fehle zudem lokalspezifisches Know-how.

Konkurrent Uber Eats beschäftigt nach eigenen Angaben ausschließlich Fahrradboten in freien Dienstverhältnissen. „Der Verdienst der Fahrradboten ist flexibel und steigt mit der Anzahl der Aufträge und der gefahrenen Distanz“, so Uber Eats-Sprecherin Barbara Bednar. Auch bei Uber Eats müssen die Fahrer alle anfallenden Kosten selbst tragen.

Boten streiken

Boten streiken

Nicht nur in Wien steigt aufgrund der Einsparungen der Unmut der Fahrradboten: In europäischen Städten wie Berlin, Turin oder London fanden im vergangenen Jahr Proteste von Fahrradboten statt. Selbst für die wenigen Angestellten von Foodora in Wien gab es kürzlich Abstriche: Die neuen Verträge sehen kein 13. und 14. Monatsgehalt mehr vor. Immerhin wurde im März 2017 ein Betriebsrat für die angestellten Fahrer gewählt, einen Kollektivvertrag gibt es aber (noch) nicht. Laut Wirtschaftskammer steht die Integration der Fahrradbotendienste in den KV für Kleintransportgewerbe im Raum.

Auch Vorteile

„Nicht alle Fahrer sind unzufrieden“, räumt Benjamin Herr ein. Für sportliche Menschen, die gerne draußen unterwegs sind, sei der Job in Ordnung. Maximilian Schenner fügt hinzu, dass die freie Zeiteinteilung Vorteile habe. Dennoch kritisiert Soziologe Herr eine „Dekonstruktion von Zeit“. Oft gebe es zwischen den Aufträgen Zeitlöcher, wodurch man auf Arbeitstage von bis zu 12 Stunden komme.

Während Angestellte fixe Arbeitszeiten hätten, müssten freie Dienstnehmer um jede Schicht kämpfen. „Wer auf 40 Stunden kommen will, bemüht sich darum, möglichst viele Schichten zu bekommen“, sagt Herr. Abrechnungen würden am Wochenende gemacht, viele Fahrer seien abends oder am Wochenende unterwegs, da es zu diesen Zeiten am meisten Trinkgeld gebe.

Verpackungsmüll inklusive

Einen weiteren Kritikpunkt sieht Herr im anfallenden Müll. „Jede Essensportion wird in Plastik verpackt, etwa Curry und Reis extra. An guten Tagen kommen schon mal 1.000 Bestellungen zusammen – man kann sich ausrechnen, was da an Müll anfällt.“ Auch die Rucksäcke der Fahrer seien billig gefertigt und kurzlebig. „Am Material wird bewusst gespart und kaputte Rucksäcke werden einfach weggeworfen.“

Die Idee einiger Fahrer, richtiges Geschirr zu verwenden, das ein zweiter Fahrer nach der Lieferung wieder abholt, wurde von der Geschäftsführung abgelehnt: zu wenig profitabel. Foodora-Sprecher Pfeifer dazu: „Wir empfehlen all unseren Restaurantpartnern die Verwendung umweltfreundlicher und ressourcenschonender Verpackungsmaterialien.“

Mehr zum Thema

Benjamin Herrs Bericht „Ausgeliefert: Apps, Fahrräder und die ,neue‘ Art der Essenszustellung“ soll im April 2018 in Buchform erscheinen.

Leserreaktionen

Gefährlich

Fahrradboten fahren oft auch abends ohne Licht, häufig gegen Einbahnen und immer wieder auf Gehsteigen. Sie stellen daher eine Gefahr für sich selbst, den übrigen Verkehr und insbesondere für Fußgänger dar. Grund dafür dürfte wohl Zeitdruck sein. Die Fahrräder sollten Kennzeichen haben, die Fahrer eine Pflichtversicherung.

User "Barney_HdB"
(aus KONSUMENT 6/2018)

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