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Paketdienste: Blick hinter die Kulissen - Den Letzten beißen die Hunde

, aktualisiert am

Briefträger? Nein: Paketzusteller! DHL, DPD, GLS, TNT, UPS, Hermes und Post - moderne Logistikunternehmen verlangen für ihre Dienste ordentliche Gebühren und machen Milliardenumsätze. Die kleinen Zusteller hingegen verdienen fast nichts. Ein Blick hinter die Kulissen der Paketdienste.

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Warten auf ein Paket

Herr M. ist stocksauer: Das dringend erwartete Paket ist noch immer nicht eingetroffen. Obwohl es den ganzen Tag auf der Post-Seite zur Sendungsverfolgung hieß: „Sendung in Zustellung“. Er ahnt Unbill: Schon ein halbes Dutzend Mal wurden Paketsendungen an seine Adresse am Rande Wiens nicht zugestellt – obwohl er daheim war. Gleichgültig, ob es vom Absender an die Post, an Hermes oder einem der anderen „Global Player“ im Express- und Paketdienst übergeben worden war. „Empfänger nicht angetroffen, Benachrichtigung hinterlegt“, hieß es dann immer. So auch diesmal.

Von wegen. Denn Herr M. ist durchaus stolzer Inhaber von einem der 1.619.052 „einzelnen Hausbriefkästen“ – sprich Postkastln – in Österreich. Dieses aber ist leer. Über die Zahl der Postkastln führt die Post-Behörde („Post-Control-Kommission, PCK) penibel Buch. Vom – wichtigeren – Rest hat sie kaum Ahnung. Etwa von der Zahl der Menschen, die in der Paketzustellung tätig sind. Schon gar nicht, zu welchen Bedingungen.

Anrufe und Bemühungen

Was nun folgt, ist für Herrn M. schon Rou­tine: Anruf bei der Post-Hotline, dort nette Leute mit Kärntner Akzent, Fall geschildert, ja, man ­werde sich bemühen, ja, man werde eine E-Mail an die Zustellungsbasis senden, ja das Paket kommt dann morgen, ja, ganz bestimmt ...
Es kommt natürlich nicht; auch am nächsten Tag und etliche Anrufe später nicht.

Wo ist die "Frau Vorstand" geblieben?

Einfacher wäre es, die Sendung von der Zustellbasis der Post selbst abzuholen, die kann ja nicht weit sein. Oder dort zumindest mit jemandem zu sprechen, von Angesicht zu Angesicht. Wie in der guten, alten Zeit: Hatte man Probleme mit der Post, ging man „aufs Amt“, sprach dort mit „dem Beamten“ hinterm Schalter oder, in schwierigen Fällen, mit „der Frau Vorstand“ in ihrem Kammerl. Die Sache klärte sich – von Mensch zu Mensch.

Heute hängt man an weitgehend anonymen Hotlines, bei denen man immer auf neue Gegenüber stößt, und die Post hütet die Rufnummern und Adressen ihrer Zustellbasen wie ein Staatsgeheimnis: Man findet sie in keinem Telefonbuch und auf keiner Website der Welt, der Support darf keinerlei Auskunft über Standorte oder Rufnummern geben. Man wird wissen, warum.

„Jetzt langt es aber“, sagt sich Herr M. am vierten Tag und will sich an übergeordneter Stelle beschweren. Aber wer und wo ist die? Dereinst gab es einen Post-Ombudsmann. Der wurde offenbar wegrationalisiert, denn die Suche auf der Website der Post führt zu keinem Treffer. Und auf Eingabe des Such­begriffs „Beschwerde“ antwortet der Post-Server mit der Frage: „Meinten Sie: Kundenservice?“. "Nein, verdammt, ich meinte Beschweeerde!“

Wo man sich beschweren kann

In dieser unbefriedigenden Situation macht Herr M. das wohl einzig Richtige: Er wendet sich an die „Rundfunk und Rundfunk & Telekom Regulierung: Konsumentenservice. Die vereint als Geschäftsstelle neben den Kontrollbehörden für Rundfunk und Telekom auch die Post-Control-Kommission (PCK). Mit einer E-Mail an poststreitschlichtung@rtr.at wird ein Schlichtungsverfahren ausgelöst, in dessen Rahmen der beanstandete Postdiensteleister schriftlich Stellung nehmen muss. Einzige Voraussetzung: Der Konsument hat bereits selbst versucht, das Problem mit dem Paketdienst zu regeln; es empfiehlt sich also, Schriftverkehr, Gesprächsaufzeichnungen etc. der (im übrigen formfreien) Beschwerde beizufügen.


KONSUMENT gab den 7 führenden Paketzustellern des Landes Gelegenheit zur Abgabe ihres Leistungsprofils. Die Antworten finden sie in der Tabelle. Auffällig: Nahezu alle geben ihre Laufzeiten kürzer an als in unserem Paketdienste - Ausgeliefert festgestellt.
 

Stundenlohn von 5 Euro

Ohnehin alles im grünen Bereich?

Diese Beschwerdemöglichkeit besteht bei Problemen mit allen Express- und Paketzustellerdiensten des Landes, nicht nur gegenüber der Post. Und dennoch gab es 2013 ­gerade einmal 69 Beschwerden. Ein Klacks, gemessen an den mehreren Tausend im ­Bereich Telekommunikation, also Telefonie. Der Verdacht liegt nahe: Die Konsumenten scheinen diese Möglichkeit schlichtweg nicht zu kennen. Sie ist auf unterster Ebene der RTR „vergraben“. Dort sucht man übrigens – sehr im Unterschied zum Telekom­bereich – auch vergebens nach einem Tätigkeitsbericht der Post-Behörde.

Zwei Milliarden Umsatz

Über Jahre tobt(e) ein Rechtsstreit zwischen der Behörde auf der einen und privaten ­Paketzustellern auf der anderen Seite. Die weigerten sich, der gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen, ihr Tun gegenüber der Behörde anzuzeigen: Eine bescheidene Mindestanforderung für die Ausübung dieses Gewerbes – dank Liberalisierung kann jeder Postdiensteleister werden –, in dem nach Schätzung der Behörde 2013 ein satter Umsatz von 2.087.981.925 Euro erzielt wurde. Der Verfassungsgerichtshof wurde bemüht (erklärte sich für nicht zuständig), Verfahren gegen UPS und TNT sind in dieser Sache noch heute beim Verwaltungsgerichtshof anhängig. Die Behörde erließ Bescheide und drohte mit dem Gerichtsvollzieher. Wirkung zeigte das nur beschränkt.

Zweierlei Maß?

Herr M. erinnert sich spontan des kuriosen Falles einer Wirtin, die eine kaputte Fritteuse gegen eine baugleiche, neue austauschte, ohne das gegenüber dem Wiener Magistrat angezeigt zu haben: In Wochenfrist fand sich die Androhung der behördlichen Schließung des Lokals im Postkastl. Und die international agierenden Zustelldienste können Bescheide einfach ignorieren? Sind vor dem Gesetz wirklich alle gleich?

Nur als Beispiel: die Post

Was der frustrierte Konsument in der Regel sieht, das ist der Zusteller, der Fahrer. Er kommt zu spät oder gar nicht, liefert die ­Pakete ungefragt bei Nachbarn an oder legt sie an der Türe ab, von einem zweiten Zustellversuch meist keine Rede. Unser aktu­eller Test bestätigt diese Beschwerdegründe erneut und eindrucksvoll. Aber trifft die ­Empörung mit den Zustellern auch die rich­tigen? Es bedarf eines Blickes hinter die ­Kulissen. Wir greifen dazu auf eine der wenigen verfügbaren Forschungsarbeiten zum Thema zurück: „Die Liberalisierung der europäi­schen Postmärkte und die Folgen für ­Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ der „Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA)“ in Wien, März 2014.

Post: Personal halbiert, Routen verdoppelt

Wirklich "gesund" geschrumpft?

Von 1998 bis 2012 wurden 48 Prozent der Stellen bei der Post ersatzlos gestrichen, im selben Zeitraum die Routen der Post-Zusteller verdoppelt. Unter 28 europäischen Staaten verzeichnete nur Zypern einen höheren Stellenabbau (50 Prozent). Parallel dazu wurden die Einkommen von Mitarbeitern, die ab 2009 eingestellt wurden, um 25 Prozent gekürzt. Für dieselbe Arbeit. Der Mindestlohn sank von 10,85 auf 8,68 Euro. Die Aktionäre hat’s wohl gefreut.

Alles ist relativ

Das sei doch ein Skandal, meinen Sie? Falsch. Das ist für viele ein unerfüllbarer Traum! Und zwar für die meisten, nicht bei der Post beschäftigten Zusteller. Denn während es bei der Post geregelte Arbeitszeiten und soziale Sicherheit gibt, scheint das im Rest der ­Branche alles andere als gesichert. Dort gilt es schon als Privileg, überhaupt angestellt zu werden. Deren Durchschnittslohn laut FORBA-Studie: 7 Euro.

Es kommen bis zu 6 verschiedene Kollektivverträge zur Anwendung, 6 Gewerkschaften wären zuständig. "Wären“ deshalb, weil der Organisationsgrad der (wenigen) Angestellten bei den "Privaten“ kaum 10 Prozent erreicht (Post: 80 Prozent). Denn das von multinationalen Transportunternehmen dominierte Geschäft läuft anders. Außer der Post beschäftigt ­KEINER der Express- und Paketdienste eigene Zusteller. Alle bedienen sich ihrer "Vertragspartner“ für die Zustellung.

Werden Sie Sub-, Sub-, Sub-Unternehmer ...

Das bedeutet: Die Multis errichten und unterhalten die Verteilerzentren und besorgen den Pakettransport zwischen diesen. Von Stadt zu Stadt, Land zu Land. Mit der eigentlichen Zustellung zum Empfänger haben sie nichts zu tun. Diese – und die soziale Verantwortung dafür – delegieren sie an „Vertragspartner“, also an Subunternehmer. Die engagieren ihrerseits Subunternehmer, diese wiederum weitere Subunternehmer. Und diese abgehetzten „Unternehmer“ sind es dann in den meisten Fällen, die an Ihrer Tür klingeln.

Wir haben es also mit bis zu vier Ebenen zu tun, auf denen verdient werden muss. Die Porti in unserem Paketdienste - Ausgeliefert lagen durchschnittlich bei 5,49 Euro pro Paket. Und das sind die hohen Konsumenten-Preise. Gewerbe­kunden und Versandhäuser bezahlen deutlich weniger. Auch die Retouren muss man mitdenken: Von den aktuell rund 40 Millionen Paketen aus dem Versandhandel werden jährlich 9 Millionen retourniert.

Vor der Türe abgelegt, dem Nachbarn übergeben

Unternehmer"lohn": 5 Euro brutto

Ihr Zusteller – der "Unternehmer“ – wird pro zugestelltem Paket bezahlt. Laut einer deutschen Fallstudie kommt er damit auf einen Stundenlohn von 5 Euro. Davon sind Ein­kommenssteuer und Sozialversicherung abzuziehen; ist er mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs, auch dessen Kosten: Anschaffung oder Leasing, Kfz-Steuer, Werkstattkosten, Treibstoff. Da sich das mit diesem Stundeneinkommen nicht ausgehen kann, muss mehr transportiert werden: 10 Stunden täglich sind die Regel, 15 Stunden keine Seltenheit.

Schnell vor der Türe abgelegt

Für manche bleibt da nicht genügend Zeit, nach abgelegenen Straßen zu suchen (Navis sind keine Selbstverständlichkeit), ein zweiter oder gar dritter Zustellversuch – wie von den Transportkonzernen versprochen – bedeutet einen zusätzlichen Weg in knapper Zeit. Es gibt keinen Cent zusätzlich dafür. Wen wundert es da, dass manches Paket doch lieber schnell vor der Türe abgelegt, dem Nachbarn übergeben oder in die Abholstelle gebracht wird?

Das Ende vom Lied

Die Beschwerde von Herrn M. war übrigens erfolgreich, trotz der skeptisch stimmenden Rahmenbedingungen. Nach einem Monat traf ein Entschuldigungsschreiben der Post ein. Kernaussage: „Als letztmögliche betriebsorganisatorische Maßnahme wird die Österreichische Post AG diesen Zusteller nicht mehr mit einer Paketzustellung be­auftragen." Im Klartext heißt das: der "Sub-Sub-Sub-Unternehmer“ wurde gefeuert. Empfindet der Beschwerdeführer darob Genugtuung? "Nein. Denn ein Mensch, der wohl auch zuvor kaum etwas verdient hat, steht jetzt vielleicht gänzlich auf der Straße“, denkt er, "aber am System ändert sich nichts: Den Letzten beißen die Hunde.“

Tabelle: Paketdienste wie sie sich selbst sehen

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Finger weg vom Versandhandel!

Allen mündigen KonsumentInnen – so sie nicht schwer gehbehindert sind – sei empfohlen, möglichst nichts übers Internet ins Haus zu bestellen. Denn geliefert wird fast ausschließlich mit Paketdiensten. Und bei diesen kann man nur vermuten, welcher noch asozialer und ausbeuterischer mit seinen „ Mitarbeitern“ umgeht als die anderen.

Ergänzend zum Report „Den Letzten beißen die Hunde“ (Paketdienste: Blick hinter die Kulissen - Den Letzten beißen die Hunde) empfehle ich die neuen Reportagen, die Günter Wallraff unter dem Titel „Die Lastenträger – flexibel schuften ohne Perspektive“ herausgegeben hat. Es sind alarmierende Fehlentwicklungen, die da – beginnend mit pseudoselbständigen Expressfahrern und Sklaven in Versandzentren – auf uns alle(!) zukommen.

Joe Püringer
E-Mail
(aus KONSUMENT 3/2015)

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